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Brisante Buchpreise

In England - ohne Preisbindung - kaufen viele Leute ihre Bücher nicht nur im Buchhandel, sondern häufig im Supermarkt. Keystone Archive

Nach langem Zögern hat die Schweizer Regierung einen Bericht veröffentlicht, der die Buchpreisbindung empfiehlt. Doch dazu Stellung nehmen will sie nicht.

Wie überall in Europa sind auch in der Schweiz die Buchpreise politisch hoch brisant. Fast ein Jahr lang lag eine Studie zum Buchmarkt und zur Buchpreisbindung in den Schubladen der Verwaltung, bevor sie letzte Woche vom Bundesrat veröffentlichte wurde – kommentarlos.

Die Studie, welche das Bundesamt für Kultur (BAK) beim Basler Wirtschaftsforschungs-Institut Prognos in Auftrag gegeben hatte, war eigentlich als Entscheidungs-Grundlage für Regierung und Verwaltung gedacht.

Doch es kam anders: Das BAK und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) konnten sich monatelang nicht verständigen. Zu tief waren und sind die ideologischen Gräben zwischen den marktwirtschaftlichen Liberalisierern im Seco und den Kulturbeamten im BAK, die – unterstützt vom Buchhandel – um den Bestand des Buches als Kulturgut fürchten.

Warten auf Bundesgericht

Der Bundesrat verzichtete deshalb vorerst auf eine Stellungnahme und wartet nun auf den Entscheid des Bundesgerichts. Dort ist eine Beschwerde des Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverbandes (SBVV) hängig, der sich gegen die von der Wettbewerbs-Kommission (Weko) verfügte und von der Rekurskommission gestützte Aufhebung der Buchpreisbindung wehrt.

Sollten sich auch die Lausanner Richter für den freien Wettbewerb aussprechen, will der SBVV den Bundesrat auffordern, die Preisbindung aus «überwiegendem öffentlichen Interesse» weiterhin zu erlauben. Sollte es soweit kommen, dann dürfte sich der Bundesrat gerne auf die Prognos-Studie stützen. Denn diese kommt zum Schluss, «dass die Nachteile einer Aufgabe des Systems der Buchpreisbindung die Vorteile überwiegen».

Abnehmender Liberalisierungsdruck

Der Bundesrat kann sich seine Zurückhaltung leisten, denn der Liberalisierungs-Druck hat rasant abgenommen. Die EU hat unlängst den jahrelangen Buchpreis-Streit im deutschsprachigen Raum beendet, die laufenden Wettbewerbsverfahren eingestellt und die nationalen Preisbindungen gebilligt.

Österreich und Deutschland haben darauf umgehend Bundesgesetze erlassen, welche die nationalen Buchpreisbindungen schützen.

Damit bleiben Schweden und Grossbritannien bis auf weiteres die einzigen Länder Europas, welche die Buchpreise dem freien Markt überlassen. In Frankreich, wo man die Preisbindung ebenfalls abgeschafft hatte, wurde sie nach zwei Jahren per Gesetz wieder eingeführt.

Keine kulturelle Verarmung

Die Erfahrungen von Schweden (seit 1970) und Grossbritannien (seit 1995) sprechen indes nicht a priori gegen eine Aufhebung der Buchpreisbindung, wie die Prognos-Studie trotz gegenteiliger Empfehlung zeigt.

Erwartungsgemäss wurden die Bestseller in beiden Ländern nach der Liberalisierung billiger und die übrigen Bücher – vor allem Fachliteratur – teurer. Die Buchpreise nahmen insgesamt nicht ab und stiegen in Grossbritannien sogar an.

Dennoch wurden mehr Bücher gekauft, und zwar vor allem Bestseller von Leuten mit wenig Einkommen und geringer Schulbildung. Dass bildungsferne Schichten, die sonst kaum eine Buchhandlung betreten, vermehrt Bücher kaufen, hat laut Prognos auch damit zu tun, dass Supermärkte und Warenhäuser in den Buchhandel eingestiegen sind.

Weder in Grossbritannien noch in Schweden nahm nach der Aufhebung der Preisbindung die Anzahl der verlegten Buchtitel ab. In Schweden sorgt ein staatliches Subventions-Programm dafür, dass die belletristische Vielfalt nicht abnimmt. Unterstützt wird nicht nur die Herstellung von Büchern, sondern auch die Gründung von Buchhandlungen.

Ideologischer Streit

Der internationale Erfolg schwedischer Autorinnen und Autoren wie Henning Mankell, Ake Edwardson und Helene Tursten zeigt, dass die Aufhebung der Preisbindung nicht zwingend das einheimische Literaturschaffen beeinträchtigt, wie dies auch die Prognos-Studie in ihrer Schlussfolgerung behauptet.

Doch Fakten spielen im ideologischen Streit um die Buchpreise nur eine untergeordnete Rolle. Da hilft es auch nichts, dass Schülerinnen und Schüler aus Schweden und Grossbritannien in der Pisa-Studie beim Lesen deutlich besser abschneiden als solche aus Ländern mit Buchpreisbindung.

Hansjörg Bolliger

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