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Darmkrebs: Vorsorgen ja, aber wie?

Eine spezielle Kampagne der Krebsliga: Slogans auf Klopapier. swisscancer.ch

In verschiedenen europäischen Ländern gilt die Darmspiegelung als das Optimum der Krebsvorsorge. Nicht so in der Schweiz.

Hierzulande haben sich Gesundheitsexperten gegen eine Massenvorsorge entschieden.

Die Krebsliga Schweiz hat sich für ihre aktuelle Kampagne «Darmkrebs nie?» etwas ganz Besonderes ausgedacht: Ihre Botschaften sind auf Klopapier gedruckt.

«Wissen Sie, dass Darmkrebs behandelbar ist, je früher er erkannt wird, desto besser?», lautet einer der Slogans vom laufenden Meter. Trotz dieser klaren Aussagen ist die Aktion Teil einer Kampagne, die der pauschalen Darmkrebsvorsorge eine Absage erteilt. Stattdessen setzt sie auf individuelle Empfehlungen, die sich am persönlichen Risiko orientieren.

Diese Entscheidung traf die Krebsliga gemeinsam mit Ärzten, Apotheker und Krankenkassen.

Druck von Fachverbänden und ausländischen Entscheiden

Die Krebsliga musste handeln, weil Fachverbände und Vereine auf ein Vorsorge-Programm gedrängt hatten. Mit ihrer Pilotaktion wollten sie «den Druck wegnehmen», sagt Zybach.

Der kam auch aus den Nachbarländern: In Österreich beschlossen die Kassen Anfang 2003, ein Programm aufzulegen (wie es aussehen soll, ist noch offen). In Deutschland hat seit Oktober 2002 jeder Versicherte ab dem 55. Lebensjahr Anspruch auf zwei Untersuchungen des kompletten Darms im Abstand von 10 Jahren. Und in Italien ist die Darmspiegelung schon seit dem Frühjahr 2002 etabliert.

Eine der häufigsten Krebsarten

Der Ruf nach einem Screening-Programm, nach einer systematisch durchgeführten Untersuchung ganzer Bevölkerungsgruppen, scheint berechtigt.

Denn Darmkrebs ist ohne Zweifel die Tumorart, bei der eine Vorsorge die grössten Erfolge verspricht: Das Kolonkarzinom ist in der Schweiz mit insgesamt 3500 neuen Fällen pro Jahr bei Männern der dritthäufigste, bei Frauen der zweithäufigste Krebs.

Der Tumor entsteht meist aus gutartigen Vorstufen, den so genannten Polypen, die sich bei einer Spiegelung so einfach wie Pilze im Wald erkennen und beinahe ebenso problemlos abrupfen lassen.

Bis sich ein Polyp zum bösartigen Tumor entwickelt, vergehen viele Jahre. Genug Zeit also, um rechtzeitig einzugreifen. Die Spiegelung des gesamten Dickdarms, bei welcher der Arzt ein bis zu zwei Meter langes, biegsames Kabel den gesamten Dickdarm hochschiebt, gilt als Standard-Methode bei der Früherkennung des Darmtumors.

Wegen der grossen Fehleranfälligkeit des Tests auf Blut im Stuhl bevorzugen gerade Darmkrebs-Spezialisten meist die Spiegelung. Sie wird deshalb als Screening-Methode favorisiert.

Gefahr von «Überdiagnosen»

Doch auch die Darmspiegelung ist nicht frei von Fehlern: Denn nicht alle Darmtumore entstehen aus Polypen, nicht alle Polypen werden wirklich entdeckt und nicht alle Tumore wachsen langsam.

Ausserdem ist die Prozedur unangenehm, aufwändig, teuer und mitunter gefährlich: Der Darm muss mit tagelanger Diät, starken Abführmitteln und literweise Flüssigkeit komplett entleert werden.

Mitunter kommt es zu Blutungen und der Schlauch kann sogar die Darmwand durchstossen. Schliesslich bergen unzureichend gereinigte Geräte die Gefahr einer Darminfektion.

Ein grosses Problem sind die so genannten Überdiagnosen: Nur ein kleiner Teil der gutartigen Vorstufen hätte sich zu einem Karzinom weiter entwickelt.

Die meisten untersuchten und behandelten Patienten werden also den zwar geringen, aber dennoch bestehenden Gefahren der Prozedur ausgesetzt, ohne dass sie einen Nutzen davon haben.

Dazu kommt: Eine Lebensverlängerung dank Screenen, so plausibel sie auch erscheint, ist in wissenschaftlichen Studien zwar für den Stuhltest belegt, nicht aber für die Darmspiegelung.

Eine von 25 Personen profitiert

Und wie gross wäre der Gewinn? Das durchschnittliche Sterbealter mit Darmkrebs entspricht in etwa dem Sterbealter insgesamt – das Bild vom Killerkrebs, der junge Menschen frühzeitig aus dem Leben reisst, trifft für die meisten Opfer also nicht zu.

Und so häufig Darmkrebs auch ist: 24 von 25 Menschen sterben an etwas anderem. Ihnen kann die Vorsorge also keinen Nutzen, sondern nur einen Schaden bringen.

Für Menschen, die sich ausgewogen ernähren und keine Verwandten ersten Grades mit Darmkrebs haben, ist das Verhältnis von möglichem Nutzen zu möglichem Schaden weit ungünstiger, für Obst- und Gemüseverächter mit familiärer Belastung weit günstiger. Dem trägt die Krebsliga Rechnung, indem sie nur Menschen mit erhöhtem Risiko zur Untersuchung rät.

Hätte man es vor zwei Jahren mit der Evidenz ganz genau genommen, sagt der Münchner Darmkrebs-Spezialist Berndt Birkner, der sich seit Jahren für die Darmkrebs-Früherkennung einsetzt, wäre auch in Deutschland weiterhin der Stuhltest Methode der Wahl und die Koloskopie Menschen mit Darmkrebsfällen in der Familie vorbehalten geblieben.

So aber seien die familiär belasteten Menschen bei der Festschreibung der neuen Screening-Richtlinien «total vergessen» worden.

Genaueres Wissen frühestens in 10 Jahren

Die Krebsliga Schweiz hat nun einen differenzierten Weg eingeschlagen. Ob er auch akzeptiert wird, ist offen. Gespannt verfolgt deshalb Ursula Zybach die weitere Entwicklung – auch in Deutschland –, um mit ihren «Partnern sofort zu reagieren und die Empfehlungen zu verändern, wenn die notwendige Evidenz gegeben ist».

Die alles entscheidende Frage, ob das Screening die Darmkrebs-Sterblichkeit senkt, wird jedoch nur schwer zu ermitteln sein. Im besten Falle zeichnet sich in zehn Jahren ein erster Trend ab.

Dann wird man erneut darüber spekulieren können, ob das Vorpreschen der Deutschen oder das Zaudern der Schweizer der richtige Weg gewesen ist.

swissinfo, Christian Weymayr

Christian Weymayr ist Autor des Buch «Mythos Krebsvorsorge», Eichborn Verlag.

Das Schweizer Programm unterscheidet zwischen nicht erhöhtem, mässig erhöhtem und deutlich erhöhtem Risiko. Entsprechend unterschiedlich sind die Empfehlungen.

Massen-Untersuchungen von ganzen Bevölkerungs-Gruppen hingegen gibt es beispielsweise in Nachbarländern.

In Deutschland hat seit Oktober 2002 jeder Versicherte ab dem 55. Lebensjahr Anspruch auf zwei Untersuchungen des kompletten Darms im Abstand von 10 Jahren. Und in Italien ist die Darmspiegelung schon seit dem Frühjahr 2002 etabliert.

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