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Dem tschechoslowakischen Uran-Gulag entflohen

Karel Kukal: Gitterstäbe hat er heute nur noch am Balkon. swissinfo.ch

Der Kampf für Demokratie kostete ihn seine Freiheit und Gesundheit. Im Kalten Krieg mussten politische Gefangene in Osteuropa ungeschützt Uran abbauen. Einer war Karel Kukal, der Arbeitslager und eine Flucht überlebt hat, wie er in einem Buch erzählt.

Wir sitzen auf Holzstühlen am Wohnzimmertisch in einer Mietwohnung in Bern, sonnendurchflutet an diesem Märztag. Hier haben sich Karel Kukal und seine zweite Frau gemütlich eingerichtet.

Während 14 Jahren war ein solches Daheim für den 83-Jährigen nur ein Traum. Karel Kukal hat die Erlebnisse aus der dunklen Zeit nicht aus seinem Gedächtnis gestrichen. Oft erwacht er noch heute mitten in der Nacht.

Kukal hatte sich mit einer kleinen Gruppe für demokratische Rechte stark gemacht und mit Hilfe zweier Agenten politischen Flüchtlingen zur Flucht in den Westen verholfen. Als diese verhaftet und daraufhin gefoltert wurden, geriet die Gruppe in die Mühlen der kommunistischen Justiz.

Was danach folgte, war eine Odyssee von kafkaeskem Ausmass, die immer wieder an jenen tschechischen Schriftsteller und seine Romane erinnert.

Zwei Jahre lang verrichtet Karel Kukal schwere Arbeit in einem Kaolinwerk. Als 1949 viele deutsche Kriegsgefangene entlassen werden, «brauchten sie mehr Personal», wie Kukal lakonisch bemerkt. Das Regime verfrachtet Wagenladungen von Gefangenen in die Region um Joachimsthal, das wegen seiner Uranvorkommen damals ein «geheimes Gebiet» war. Kunde der tschechoslowakischen Gruben war Russland.

Das Uran

«Wer Arme und Beine hatte, wurde dort hingeschickt», so Kukal, der Ende 1950 nach Joachimsthal gebracht wird.

Die Bedingungen, unter denen die Häftlinge leben müssen, sind unvorstellbar: «Im Erzgebirge herrschen Temperaturen bis minus 20 Grad. Die Kleidung war natürlich überhaupt nicht angepasst. Wir waren auch nicht gegen die Strahlung geschützt. Hunger, Kälte und natürlich Schikane, das war nicht so leicht», sagt Kukal.

Die Arbeit fordert einen hohen Preis: «Ich habe höchstwahrscheinlich wegen der Bestrahlung durch das Uran eine Degeneration der Makula im Auge (Gelber Fleck). Das ist der unangenehmste Schaden bei mir.»

Die Flucht

Als Kukal 1951 in das Lager XII in Slavkov verlegt wird, schliesst er sich einer Gruppe von Häftlingen an, unter denen sich auch einige kriegserprobte Partisanen befinden. Die Gruppe beschliesst, zu fliehen.

«Es war wahrscheinlich ein wenig leichtsinnig. Ich habe das Risiko nicht so ganz begriffen», sagt Kukal heute über diese Flucht, die sogar im Westen bekannt wurde und in einem deutschen Dokumentarfilm festgehalten wurde.

Die Uranarbeiter täuschen am 15. Oktober eine Störung vor, können so das Wachpersonal überwältigen und flüchten. Doch einer, der sich im letzten Moment der Gruppe anschliesst, kehrt nach wenigen Metern zurück. Er verrät die Flucht. Wichtige Stunden Vorsprung gehen so verloren.

Bereits am Morgen danach ist für Kukal Schluss: In einem Wald nicht weit entfernt vom Lager wird er angeschossen und kommt ins Spital. Die meisten der 12-köpfigen Gruppe werden erschossen. Nur Kukal und sein Kollege Zdenek Stich überleben. Der Titel seines Buchs «Zehn Kreuze» erinnert denn auch an jene, die auf dieser Flucht erschossen worden sind.

Der Prozess

Nach zahlreichen Lagerwechseln, Folter und Demütigungen kommt Kukal, zusammen mit anderen Geflüchteten, vor ein geheimes Gericht. Drei Männer werden zum Tod verurteilt, Kukal zu weiteren 25 Jahren Haft.

Die Kugel, die ihn beim gescheiterten Fluchtversuch traf, wird erst Monate später aus dem Bein operiert. Danach wird er erneut in Lager geschickt. Wieder Hunger, Kälte, Schikane, Einzelhaft. Kukal, ein stattlicher Mann von 1,91 Metern, wiegt schliesslich nicht einmal mehr 50 Kilo.

Nach erneuten Versetzungen und Spitalaufenthalten landet er in einer Fabrik, wo er Glaskristalle für Kronleuchter schleift. Die Fabrik wird zu seiner «Universität»: «Da kamen verschiedene Minister, Abgeordnete, Generäle und Äbte vorbei. Die haben gerne erzählt, aus Langeweile. Und ich habe das sehr gerne absorbiert.»

Die Schweiz

1960 erlässt der Staat eine Generalamnestie. Doch Kukal, der wegen seiner Flucht als Schwerverbrecher gilt, muss noch weitere 2 Jahre ausharren, bis auch er entlassen wird.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 flüchtet er mit seiner jungen Familie in die Schweiz. Eher per Zufall. «Ich habe die Gelegenheit benutzt, dass die Schweiz 10’000 Tschechen und Slowaken aufgenommen hatte. Österreich war damals bereits überfüllt.»

Wut und Hass auf Regime und Wärter verspürt er nicht mehr. «Mit der Zeit vergisst man auch das Unrecht», sagt er heute. «Andererseits spielte bei mir auch der Glaube eine Rolle, weil die Christen vergeben sollen.» Sehr wichtig seien für ihn auch die Hilfe unter Kameraden und der Galgenhumor gewesen. Sonst hätte er diese Odyssee nicht aushalten können.

Eine Art späte Wiedergutmachung erfuhr Kukal 2002, als er vom damaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel den Orden «Für Tapferkeit im Kampfe» erhielt. «Es war sehr angenehm», sagt er schmunzelnd. Und lehnt sich zufrieden zurück auf seinem Holzstuhl.

Karel Kukals Buch «Zehn Kreuze. Ausbrüche aus dem tschechoslowakischen Gulag» erzählt von den Bedingungen in den Lagern der Kommunisten.

Ausführlich erzählt er darin auch über seine eigene sowie andere Fluchten und Fluchtversuche aus den diversen Lagern.

Es kam erstmals 1993 auf Tschechisch in zwei Auflagen heraus. 2010 ist es im Verlag Novum Pocket auf Deutsch übersetzt und ergänzt worden.

Im Buch lässt der Autor auch ehemalige Weggefährten zu Wort kommen.

Die Schilderung Kukals wurde teilweise auch im deutschen TV-Dokumentationsfilm «Jahre des Schreckens» aufgenommen.

Der Vater von vier Kindern und Grossvater von 5 Enkelkindern lebt heute mit seiner zweiten Frau, einer Schweizerin, in Bern.

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