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Der Rodel holt auf

Schlitteln, der heimliche Renner im Schweizer Wintertourismus. Schweiz Tourismus

Schlitteln hat in den vergangenen zehn Jahren in der Schweiz einen Aufschwung erlebt. Kaum ein Winterort kann heute ohne Schlittelbahn sein.

Doch immer mehr klassische Davoser oder Grindelwaldner Schlitten werden von den Newcomern, den rassigen Rodeln, überholt.

Nebst Skifahren, Snowboard und Langlauf blüht immer weniger im Verborgenen eine Sportart, die gleichzeitig ein Familienvergnügen ist: Schlitteln und Rodeln.

Vor Jahren noch belächelt, vom Skisport total verdrängt und von den Winterorten nur vereinzelt – wie etwa im bündnerischen Bergün – ernst genommen, gehört heute der Schlittel- oder Rodelweg zum «Normalangebot» im Schweizer Wintertourismus.

Dabei war dieser «Zeitvertreib» im 19. Jahrhundert – offenbar von den Engländern propagiert – schon einmal sehr populär in der Schweiz.

Die Wiederentdeckung des Schlittens habe vor rund zehn Jahren begonnen, sagte Veronique Kanel von Schweiz Tourismus gegenüber swissinfo. Heute gebe es in der Schweiz über 150 Schlittelbahnen.

Um all die vielen Bahnen und Pisten herunterzufahren braucht es auch das geeignete Gerät. Auch hier hat sich einiges getan: Zunehmend steigen der sportliche Fahrer, die Fahrerin, auf den Rodel um.

Besser zu steuern

Doch wo liegt der Unterschied? «Grob gesagt ist der Rodel ein lenkbarer Schlitten», sagt Erwin Dreier, Betriebsleiter bei Graf-Schlitten im thurgauischen Sulgen, einem der grossen Schlitten- und Rodelhersteller der Schweiz.

Im Gegensatz zu einem Schlitten (z.B. Grindelwalder, Davoser) sind beim Rodel die Kufen leicht gebogen. Zudem ist die Bank beweglich mit den Kufen verbunden und nicht wie bei einem Schlitten fest verleimt.

Die seitlich aufgekanteten Kufen ermöglichen ein präzises und sicheres Steuern. Durch Gewichtsverlagerung und Druck auf die entsprechende Kufe wird der Rodel in die gewünschte Richtung gelenkt.

Die gebogenen Kufen bewirken ausserdem einen optimalen Schwerpunkt. Dadurch wird der Drehwiderstand kleiner als bei einem Schlitten und die Wendigkeit wesentlich grösser. Das bedeutet ein viel besseres Kurvenfahren als bei einem Schlitten.

Die einfachen Holzschlitten wie Davoser oder Grindelwalder sind dagegen starre Hörnerschlitten, die nur auf fester Unterlage gut gleiten.

Qualität hat ihren Preis

Erwin Dreier weiss nicht genau, wie viele Schlitten in der Schweiz pro Jahr verkauft werden. «Wir haben seit 1978 über 50’000 Qualitätsschlitten verkauft.» Mit Betonung auf Qualitätsschlitten! 80% der Ware in der Schweiz gehörten zum Billigbereich und stammten aus dem Ausland.

Bei Grafs kostet ein Davoser oder Grindelwaldner-Schlitten zwischen 180 und 250 Franken. Die Rodel bewegen sich in der selben Preisklasse. Spitzenmodelle kosten aber gut und gerne über 500 Franken. Sportrodel schlagen mit 1500 Franken zu Buch.

In der Schweiz gibt es noch weitere Schlitten- und Rodelhersteller. Alles Kleinbetriebe, gar Einzelbetriebe. Jeder stellt pro Jahr zwischen 500 und einigen Tausend der fahrbaren Untersätze her.

Einheimisches Holz

Alle verwenden zu fast 100% Schweizer Holz. Erwin Dreier: «Für unsere Schlitten kaufen wir ausschliesslich hiesiges Eschenholz. Ich will wissen, in welchem Wald dieser Baum gestanden hat.»

Der Berner Schlittenbauer Paul Burri erklärte der Zeitung Bund, wie er einen Schlitten herstellt: «Zuerst kommt das zugesägte Eschenholz in ein Dampfdruckbad, wo es rund zwei Stunden bei rund 130 Grad weichgekocht und anschliessend bogenförmig gespannt wird.»

Anschliessend werde das so gebogene Holz in zwei gleiche Stücke zersägt, die Flächen geschliffen und die Kanten aufgehobelt. Füsse und Traversen würden verleimt, die fünf oder sechs Sitzlatten verschraubt. «Erst jetzt werden die Stahlkufen montiert.» Ganz zuletzt werde der fertige Schlitten im Lack kurz gebadet.

Burri schwört übrigens auf Eschenholz. «Das oft verwendete Buchenholz schneidet deutlich schlechter ab», sagt er.

Alle Hersteller fahren ihre Produkte auch regelmässig. Nur wer selber fahre, könne gute Schlitten bauen, sagt Burri. Während Erwin Dreier vom Rodel schwärmt: «Sie müssen mal so ein Ding gefahren haben, dann wissen Sie, was es heisst, auf zwei Kufen die Bahn zu kitzeln.»

swissinfo, Urs Maurer

In der Schweiz gibt es pro Jahr rund 7000 Unfälle beim Schlitteln.

Gerade bei Kindern führen Unfälle nicht selten zu schweren Kopfverletzungen oder Beinbrüchen.

Laut Beratungsstelle für Unfallverhütung gehören zur Ausrüstung: Wanderschuhe mit gutem Profil (für Profis Bremsschuhe), Handschuhe, Stulpen, Skihose, Mütze, Skibrille, Helm für Kinder und Sportrodler.

Die klassischen Schlitten, wie Davoser oder Grindelwaldner, sind starre Hörnerschlitten.
Rodel sind bewegliche Konstruktionen und lassen sich besser steuern.
Plastikbobs gehören nicht auf Schlittelbahnen oder Eis, weil sie dort sehr schnell werden und nicht mehr zu steuern sind.

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