Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Die Angst vor der Vogelgrippe

Kritisch wird es für den Menschen vorerst nur, wenn er sich nahe bei infizierten Vögeln aufhält. Keystone

Die Vogelgrippe rückt nach Europa vor. Mit einer Informations-Kampagne sollen Geflügelhalter in der Schweiz für die Gefahr sensibilisiert werden.

swissinfo sprach mit Christian Leumann von der Universität Bern über die Mechanismen und die Abwehr dieser Influenza-Krankheit, die auch auf Menschen übergreifen kann.

Stetig bewegt sich die aus Südostasien stammende Vogelgrippe, auch Geflügelpest genannt, in Richtung Westen. Das Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) hält Vogelgrippe-Ansteckungen in der Schweiz immer noch für wenig wahrscheinlich.

Trotzdem wolle man nun die Geflügelhalter mit einer Informations-Kampagne sensibilisieren für die Krankheit, sie informieren über Hygiene-Massnahmen, Symptome und das Verhalten in Verdachtsfällen. Bestätigt sich ein Verdacht, müssten der ganze Bestand eines Betriebs ausgemerzt und die Kadaver vernichtet werden.

Das Virus H5N1, ein besonders aggressiver Grippe-Erreger, das sich aus Asien kommend in Richtung Europa bewegt, wütet inzwischen gleichermassen unter Wildvögeln und Industriegeflügel.

Als gesichert gilt, dass sich Menschen direkt über Vögel angesteckt haben. Die Todesrate für Menschen bei dieser Krankheit beläuft sich auf 50% – gegenüber weniger als einem Prozent bei üblichen Grippen.

swissinfo sprach mit Christian Leumann, Professor am Departement für Chemie und Biochemie an der Universität Bern, über das Funktionieren von Viren, das Überspringen der Artenbarriere und über mögliche Massnahmen der Politik.

swissinfo: Es wird von Geflügel-Pest und Vogel-Grippe gesprochen. Die Kombination irritiert. Weshalb die beiden Namen?

Christian Leumann: ‹Geflügelpest› dürfte die volkstümliche Bezeichnung für die Vogelgrippe sein. Es handelt sich um dieselbe Krankheit, deren Erreger das Influenza-Virus des A-Typs ist.

swissinfo: Alle Grippekrankheiten haben ihren Ursprung in Südostasien. Weshalb?

Ch. L.: Influenza-Viren vermehren sich besonders gut und verändern sich besonders rasch in Gegenden, in welchen Vögel, Menschen und andere Tiere auf sehr engem, landwirtschaftlich stark genutztem Raum, unter hygienisch nicht immer besten Bedingungen zusammenleben. Dies ist in Südchina der Fall.

swissinfo: Grippeerreger haben die Eigenschaft, ständig zu mutieren. Weshalb kann ein Virus, das normalerweise von Tier zu Tier springt, plötzlich auch Menschen befallen?

Ch. L.: Das ist nicht neu. Viren tun das schon immer. Nur beim Influenza-Virus, von dem es verschiedene Formen gibt, ist das Überspringen der Artenbarriere besonders gut bekannt und untersucht.

Viren entwickeln und verändern sich laufend durch Mutationen. Einzelne Formen können dann plötzlich die Artenbarriere überschreiten. Im Fall der Vogelgrippe befällt nun das «aviane»-Virus H5N1 statt nur Vögel auch den Menschen.

swissinfo: Was passiert dann?

Ch. L.: Diese ursprünglich tierischen Viren können sich durch genetischen Austausch mit menschlichen Grippeviren noch schneller und vielfältiger verändern, was zu neuen unberechenbaren viralen Formen führt.

Die neuen Formen machen so dem Immunsystem des Körpers noch stärker zu schaffen.

swissinfo: Die Behörden möchten solche Krankheiten durch Heilmittel und Impfstoffe bekämpfen. Wo liegt der Unterschied?

Ch. L.: Ein Impfstoff wird dem Menschen verabreicht, bevor er vom Virus befallen wird. Dank der Impfung produziert man Antikörper, die bei einem Befall durch das Virus aktiv werden und das Virus bekämpfen.

Medikamente hingegen setzt man erst ein, wenn der Körper schon befallen ist. Sie sollen die Vermehrung des Virus verhindern und damit die Krankheit bekämpfen.

swissinfo: Alles spricht vom Medikament Tamiflu. Weshalb soll dieses bei der Vogelgrippe geeigneter sein als andere Grippemittel?

Ch. L.: Wird Tamiflu eingenommen, wird zumindest jetzt noch die virale Vermehrung gehemmt, da noch kein Resistenzproblem vorzuliegen scheint.

Viren mutieren rasch und werden resistent gegen bestehende Heilmittel. Es ist dasselbe Prinzip wie bei der Antibiotika-Resistenz.

Wird ein wirksames Heilmittel vorbeugend geschluckt, oder noch schlimmer, präventiv in Massen dem Geflügelfutter beigemischt, wird das Virus schneller resistent dagegen. Ein solches Verhalten ist deshalb unverantwortlich und entspricht nicht den internationalen Standards.

swissinfo: Ist das der Grund, weshalb Tamiflu in der Schweiz rezeptpflichtig ist?

Ch. L.: Das mag ein Grund sein. Hier liegt ein Paradebeispiel vor, das zeigt, dass mit den wenigen, aktiven Medikamenten vorsichtig umgegangen werden muss. Schluckt man Heilmittel zur Prophyaxe, statt sich impfen zu lassen, mag die Krankheit im Moment verhindert werden, aber das Virus taucht nur vorübergehend unter.

swissinfo: Ist dieser vorsichtige Umgang besonders jetzt angebracht, weil noch kein Impfstoff existiert?

Ch. L.: Ja, denn der jetzige Erreger wird als ‹hoch virulent› eingestuft. Bei Vögeln bedeutet ein Befall praktisch das Todesurteil.

Die Herstellung eines Impfstoffes auf diese neue Virusvariante braucht jedoch Zeit – sechs Monate oder länger.

Ich erinnere an die SARS-Geschichte, wo auch erst ein Impfstoff gesucht und hergestellt werden musste.

swissinfo, Interview: Alexander Künzle

1997 brach in den Geflügelfarmen Hongkongs eine neue Art von Vogelgrippe aus, deren Virus H5N1 erstmals in Menschen gefunden wurde.
2003 wiederholte sich ein weiterer Ausbruch.
Seither grassiert die Grippe in Südostasien. Millionen von Wildvögeln und Geflügel sind verendet, 112 Menschen wurden befallen, 57 davon starben.
Zur Zeit sind 13 Länder betroffen.
In den letzten Tagen erreichte das Virus Zentralasien.
Für die neuesten Fälle westlich des Urals, also in Europa selbst, gab es vorderhand eine Entwarnung.
Der Erreger wird von infizierten Tieren, aber auch über Eier, Geflügelfleisch oder Kleidung übertragen.
Die Sterblichkeit bei der Vogelgrippe beträgt für Menschen rund 50%.
Jene einer gängigen Grippe beträgt für Menschen weniger als 1%.

Influenza-Viren werden alle mit ‹H›, einer Zahl, gefolgt von ‹N› und einer weiteren Zahl benannt. Bei der Vogelgrippe handelt es sich um den H5N1-Erreger.

Man befürchtet, dass sich das Virus nach den üblichen Mutationen auf den Mensch überträgt.

Damit wären die Voraussetzungen für eine Grippe-Pandemie mit 50% Todesfolge gegeben.

Die übliche Herbstimpfung gegen die ‹Normalgrippe› dürfte gegen eine solche Pandemie wenig nützen.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft