Die Gratis-Botschafter der Schweiz
Die Auslandschweizer im Norden Deutschlands haben kein Verständnis für die baldige Schliessung des Generalkonsulats in Hamburg. Am dortigen Hafenfest trafen sich Vereinspräsidentinnen und -präsidenten zum Arbeitseinsatz - und liessen Dampf ab.
Der Stand der Schweizer Vereine in Deutschland am Hafenfest in Hamburg wird regelrecht belagert.
Die Gäste wollen Kaffee und Kuchen, einige nehmen Informationen über die Schweizer Vereine mit, andere gehen lieber gleich zum Glücksrad.
In Trachten hinter dem Tresen stehen unter anderen die Präsidentinnen und Präsidenten von sechs norddeutschen Auslandschweizer Vereinen.
«Der Anstoss dazu, dass wir Trachten tragen, kam von einer jungen Frau», sagt Vreni Stebner, Mitorganisatorin des Standes und Präsidentin des Schweizer Vereins «Helvetia» Hamburg.
Die Arbeit am Stand ist ehrenamtlich, wie alle Arbeiten, die die Vereinsmitglieder in ihrer Freizeit machen.
Generalkonsulat macht zu
Ab Oktober dürfte es deutlich mehr Arbeit werden. Denn am 30. September wird das Generalkonsulat in Hamburg endgültig seine Tore schliessen.
Der Grund: Seit einigen Jahren erhöht das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die Präsenz der Schweiz in Asien und schliesst dafür Konsulate in Europa. In diesen Ländern seien die Distanzen viel grösser als im eher kleinräumigen Europa.
Die Schweiz sei nicht das einzige Land, das immer mehr Vertretungen in aussereuropäische Staaten verlagere, um auch dort mit Berufsdiplomaten präsent zu sein, heisst es.
Zwar verspricht das EDA, dass in Hamburg ein Honorarkonsul eingesetzt werde. Doch für die Auslandschweizer ist dieser ehrenamtliche Job kein Ersatz, könne doch eine solche Person keine amtlichen Funktionen ausüben.
«Wir werden als Verein viel mehr frequentiert werden mit Anfragen. Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Das ist ein grosses Problem», betont Stebner, die auch im Auslandschweizer-Rat sitzt.
«Ich glaube, der Trend geht dahin, in Europa die Konsulate mehr oder weniger alle zu schliessen», befürchtet sie.
Unzählige Anrufe
«Es kommt auf jeden Fall mehr Arbeit auf uns zu», sagt auch Elisabeth Michel, Präsidentin der Auslandschweizer-Organisation (ASO) Deutschland und des Schweizer Vereins Osnabrück.
«Wir sind ja jetzt schon in vielerlei Hinsicht Auskunftsbüro. Ich kann die Anrufe, die ich täglich oder wöchentlich bekomme, gar nicht zählen», schildert sie ihre Erfahrungen.
Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer würden immer mehr zu Gratis-Botschaftern: «Wir machen jetzt schon ganz viel ehrenamtlich und kriegen allenfalls im Auslandschweizer-Rat ein Mittagessen für die ganze Arbeit. Aber was wir an privaten Kosten in unsere Arbeit hineinstecken, kann man nicht messen.»
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ASO
Kritik an Calmy-Rey
Dass immer mehr Konsulate in Europa geschlossen werden, liegt für Michel in der Politik von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. «Das ist in meinen Augen eine sehr unweitsichtige Aussenpolitik, die da betrieben wird. Denn wir können nicht in Europa die wichtigen Standbeine einfach wegnehmen.»
Die Auslandschweizer hätten natürlich an den Bundesrat geschrieben und dagegen protestiert, erklärt Michel. «Aber wir haben uns etwas zurückgehalten, weil wir dem Botschafter in Berlin, der sich ganz vehement gegen die Schliessung eingesetzt hat, nicht in die Quere kommen wollten.»
Jetzt, da alles verloren scheine, würde aber auch die Fünfte Schweiz mit härteren Bandagen gegen die Schliessung kämpfen. «Frau Calmy-Rey wird sich noch auf ein paar Briefe gefasst machen müssen.»
Schliesslich gehe es nicht nur um die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, gibt Michel zu bedenken. «Es geht auch um die Mobilität der Inlandschweizer im Ausland, um das Image der Schweizer schlichtweg, wo immer sie hinkommen in Europa. Und dazu gehören die Generalkonsulate als Anlaufstelle.»
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Fünfte Schweiz
«Nicht mehr dabei»
Vehement gegen die Schliessung ist auch Hans Vahlbruch, Präsident des nördlichsten deutschen Schweizer Vereins Schleswig-Holstein, der am Hafenfest zusammen mit Vreni Stebner den Auftritt der Schweizer Vereine leitet.
«Schauen Sie mal hier raus auf diesen Hafen», sagt er und zeigt auf die unzähligen Transportschiffe. «Wer hier die Tür zumacht, der will nicht mehr mitmachen.»
Hamburg habe eine enorme wirtschaftliche Bedeutung, auch für die Schweiz. Er ist enttäuscht, dass all die Briefe von Regierungsmitgliedern und Persönlichkeiten aus Norddeutschland keine Resonanz gefunden hätten.
«Das macht mich betroffen, dass man einfach mit einem Federstrich so etwas wegstreicht. Und ich denke, da machen sich die Politiker keinen guten Namen, wenn sie sich so verhalten.»
Christian Raaflaub, Hamburg, swissinfo.ch
Das Konsulat in der Hansestadt Hamburg besteht seit 1846.
Zum Vergleich: In Berlin wurde erst 1867 eine Schweizer Vertretung eröffnet.
Allerdings gab es schon vor Hamburg eine Schweizer Vertretung auf deutschem Gebiet – nämlich in Leipzig, wo 1835 ein Konsulat eröffnet wurde. Dieses wurde jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen.
Das Konsulat in Hamburg hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich.
So kamen Ende April 1945 der damalige Honorarkonsul Adolf Zehnder und seine Frau bei einem Bombenangriff der Alliierten ums Leben, wie das Schweizer Aussenministerium auf seiner Website schreibt.
1958 wurde das Hamburger Konsultat als erstes in Deutschland zu einem Generalkonsulat aufgewertet.
Nun soll das Konsulat mit 8 Vollzeitstellen im Herbst geschlossen werden, obwohl der Botschafter und der Generalkonsul lange gegen eine Schliessung angekämpft hatten.
Insgesamt sind in Hamburg 104 Konsulate domiziliert, die höchste Zahl in einer europäischen Stadt.
1990: Casablanca
1993: Lomé
1995: Bregenz, Le Havre, Dijon, Curitiba
1996: Freiburg, Windhoek
1998: Annecy, Nizza, Besançon, Palma de Mallorca, Malaga
2000: Venedig
2003: Johannesburg
2004: Mülhausen
2005: Manchester, Amsterdam
2006: Dresden, Las Palmas, Melbourne, Houston
2007: Neapel
2008: Bordeaux
2009: Hamburg
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