Freispruch zweiter Klasse für Kachelmann
Der Schweizer Wettermoderator Jörg Kachelmann ist am Dienstag vom Vorwurf der schweren Vergewaltigung freigesprochen worden. Zwar ist seine Unschuld nicht erwiesen, doch die Indizien reichten nicht aus, um ihn hinter Gitter zu bringen.
Kurz nach neun schliessen sich die Türen von Saal 1 des Mannheimer Landgerichts. Nur zwei Minuten später ist von drinnen lauter Jubel zu hören: Jörg Kachelmann ist ein freier Mann.
Nach 44 Verhandlungstagen und einem fast neun Monate dauernden Indizienprozess hat ihn die Strafkammer vom Verdacht der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall freigesprochen.
Mit unbewegter Miene soll der Schweizer den Richterspruch aufgenommen haben, und auch das mutmassliche Opfer, eine Ex-Freundin Kachelmanns, blieb gefasst. Nur die zahlreichen Anhänger Kachelmanns im Saal taten ihre Erleichterung spontan mit Applaus kund.
Allerdings blieb wohl manchem Kachelmann-Fan der Jubel im Hals stecken. Denn es ist ein Freispruch «zweiter Klasse»: Die Richter sprachen Kachelmann aufgrund mangelnder Beweise frei – und nicht, weil sie seine Unschuld als erwiesen ansehen.
Die anschliessende, knapp einstündige Urteilsbegründung der Strafkammer war denn auch ausführlich und differenziert – und machte klar, wie knapp Kachelmann einer Verurteilung entgangen ist. Die Indizien hätten nicht ausgereicht, um ihn zu verurteilen, so das Fazit.
Auch wenn viele belastende Momente gegen einen Freispruch gesprochen hätten, könne ein Urteil nicht aufgrund einer blossen Verdachtslage gesprochen werden.
Die Verdachtsmomente hätten sich zwar im Laufe der Verhandlung «abgeschwächt, aber nicht verflüchtigt», betonte der Vorsitzende Richter Michael Seidling. Das Urteil beruhe deshalb nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld Kachelmanns oder einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt sei. Das Gericht habe jedoch begründete Zweifel an der Schuld des Angeklagten.
Experten nicht überrascht
In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten, also. Für Rechtsexperten kommt dieses Prozessende nicht überraschend. So verwickelte sich die Klägerin im Laufe der Verhandlungen in Widersprüche, und auch die rechtsmedizinischen Gutachten liessen keinen eindeutigen Schluss zu, ob Kachelmann tatsächlich seine damalige Freundin mit einem Messer verletzt hatte, oder ob sich die Frau die Schnittwunden selbst zugefügt hatte. Bis zum Schluss stand Aussage gegen Aussage.
Kachelmanns Verteidiger Johann Schwenn zeigte sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. Allerdings nutzte der charismatische Verteidiger die Gelegenheit vor den Medien noch einmal, um die Behandlung seines Mandanten scharf zu kritisieren.
So hätten die Richter während der gesamten Verhandlungen und auch in ihrer Urteilsbegründung jeweils «ausführlich die Verteidigung beschimpft und den Angeklagten schwer beschädigt».
«Das zeigt, dass die Kammer zu gerne den Angeklagten verurteilt hätte – sich aber bewusst ist, dass sie damit nicht durchkommen würde», sagte Schwenn.
Ob der Schweizer TV-Moderator Schadenersatz fordern wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Pflichtverteidigerin Andrea Combé sagte, sie werde gemeinsam mit Schwenn und Kachelmann die weiteren Schritte beraten.
Ganz andere Worte fand die Journalistin Alice Schwarzer nach der Urteilsverkündung. Der Prozess habe gezeigt, dass Kachelmann «nicht nur diese Frau gezielt manipuliert hat». «Er kommt nicht ins Gefängnis, es bleibt alles offen», sagte Schwarzer, die den Prozess gegen Kachelmann als umtriebige Gerichtsreporterin für Bild verfolgt hatte.
Kachelmann steigt wieder ein
Für die 132 Tage in Untersuchungshaft wird Kachelmann entschädigt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse Baden-Württembergs. Ob die Staatsanwaltschaft das Urteil mit einer Revision angreifen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar.
Der Wetterdienst Meteomedia gab bereits bekannt, dass Kachelmann nach dem Freispruch wieder voll im Unternehmen einsteigen werde. Auch bei Radio Basel, wo Kachelmann seit Monaten einmal die Woche auf Sendung ist, werde der Schweizer künftig öfters zu hören sein, sagte Chefredaktor Christian Heeb der Nachrichtenagentur dpa.
Kachelmann wurde beschuldigt, in der Nacht zum 9. Februar 2010 seine ehemalige Geliebte mit einem Küchenmesser bedroht und vergewaltigt zu haben. Kachelmann bestätigte einen Streit, wies jedoch die Vorwürfe der Vergewaltigung stets zurück.
Am 20. März, unmittelbar nach der Rückkehr von den Olympischen Winterspielen in Kanada, wurde der Schweizer auf dem Flughafen Frankfurt am Main verhaftet. Mitte Mai erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Verdachts der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall sowie der gefährlichen Körperverletzung.
Kachelmann kam für mehr als vier Monate in Untersuchungshaft; die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre und drei Monate Haft. Am 6. September 2010 begann vor dem Landgericht Mannheim der Prozess, der Medien und Öffentlichkeit über ein Jahr lang in Atem hielt.
Die Warteschlangen vor dem Mannheimer Landgericht, wenn wieder ein Verhandlungstag im Kachelmann-Prozess anstand, waren jeweils beachtlich.
Einmal live dabei zu sein bei dem spektakulären Prozess – dafür nahmen viele Deutsche stundenlanges Ausharren morgens vor verschlossenen Türen in Kauf.
Grundsätzlich gilt für deutsche Strafprozesse das Prinzip des öffentlichen Verfahrens. So soll unter anderem sichergestellt werden, dass Öffentlichkeit und Medien eine Art Kontrollfunktion übernehmen.
Doch wie in kaum einem anderen Prozess nutzte das Mannheimer Gericht die Möglichkeit, die Öffentlichkeit von den Verhandlungen auszuschliessen: So verbannte man die Zuschauer und Journalisten aus dem Saal, als die Mutter der angeblich von Kachelmann vergewaltigten Frau als Zeugin aussagen sollte.
Für viele Strafrechtsexperten ging das zu weit. Wenn es um intime Details gehe, habe die Öffentlichkeit im Gerichtssaal tatsächlich nichts verloren, hiess es. Doch vorsorglich und pauschal den Ausschluss der Öffentlichkeit anzuordnen, sei nicht rechtens.
Auch Kachelmann-Anwalt Johann Schwenn beantragte mehrmals den Ausschluss der Öffentlichkeit, unter anderem, als der Staatsanwalt bei seinem Plädoyer Details aus dem SMS-Verkehr zwischen dem 52-jährigen Schweizer und seiner Ex-Geliebten vorlesen wollte.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch