Gemischte Gefühle nach Polanskis Festnahme
Die Festnahme des Filmregisseurs Roman Polanski in der Schweiz hat in Kreisen von Politikern, Kulturschaffenden und Juristen zu einer heftigen Debatte geführt. Laut seinem französischen Anwalt reichte Polanski gegen den US-Auslieferungsbefehl Rekurs ein.
Die Chancen für Polanski stünden schlecht, einer Überstellung in die USA zu entgehen, schätzte am Montag der Lausanner Rechtsprofessor Laurent Moreillon gegenüber swissinfo.ch. Eine solche droht dem Filmemacher wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen, den er vor über 30 Jahren in den USA begangen und auch zugegeben hatte.
Paradoxerweise würde Polanski das Erscheinen vor einem US-Gericht Chancen erhöhen, die Freiheit wiederzuerlangen, führt Moreillon aus.
«Es wäre besser für ihn, die Auslieferung zu akzeptieren und in den USA einen Rechtsvergleich auszuhandeln. Ich zumindest würde dies versuchen. In der Schweiz sehe ich wenig Möglichkeiten für ihn, dagegen anzugehen», sagt der Jurist.
Die amerikanischen Behörden haben nun 60 Tage Zeit, von Bern die Auslieferung zu verlangen. Doch Polanski, Regisseur von Filmenklassikern wie «Tanz der Vampire», «Rosmarys Baby» oder «Der Pianist», kündigte laut seinem französischen Advokaten Hervé Témime Haftbeschwerde an.
Möglich ist dies am Bundesstrafgericht in Bellinzona. Dessen Urteil könnte er bis an das Bundesgericht als höchste Schweizerische Rechtsinstanz weiter ziehen.
Am Montag Abend hat die Staatsanwaltschaft in Los Angeles bekannt gegeben, dem provisorischen das definitive Auslieferungsgesuch nachzuliefern.
Hausarrest in Gstaad?
Inzwischen hat der 76-jährige US-Regisseur mit französischem und polnischem Bürgerrecht den Schweizer Anwalt Lorenz Erni beauftragt, ihn gegen Kaution aus der Haft zu holen. Dies ist eine Möglichkeit, welche die Schweizer Behörden nicht völlig ausschliessen.
Denkbar ist auch ein Hausarrest in Polanskis Chalet in Gstaad, sagte ein Sprecher des Justizministeriums in Bern. Laut Témime habe er dieses Jahr bereits drei Monate dort verbracht.
Die Anwälte bezeichneten das Auslieferungsbegehren der USA auf Grund eines 32 Jahre zurückliegenden Vergehens als illegal. Das polnische Konsulat in Zürich verlangte ein Besuchsrecht.
Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und den USA ist primär der bilaterale Auslieferungsvertrag von 1990 massgebend. Zur vorläufigen Auslieferungshaft heisst es dort in Artikel 13, dass diese «in dringenden Fällen» beantragt werden kann. Das Abkommen trat 1997 in Kraft.
Die USA haben für Polanski 2005 einen internationalen Haftbefehl für Straftaten ausgestellt, die in ihrem Land nicht der Verjährung unterliegen. Dazu zählt auch sexueller Missbrauch von Minderjährigen.
«Natürlich hätte man einiges anders machen können», sagt Moreillon. «Man hätte Herrn Polanski sagen können, dass sein Aufenthalt in der Schweiz nicht erwünscht ist.» Aus rein juristischer Sicht habe die Schweiz aber gar keine andere Option als die Festnahme gehabt.
Eine Frage des Rechts?
Die Schweizerische Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sagte, dass es bei der Festnahme des Oscar-Preisträgers überhaupt keinen politischen Druck seitens der Amerikaner gegeben habe. Obschon Polanski schon früher die Schweiz besucht habe, er besitzt in Gstaad ein Chalet, sei es das erste Mal gewesen, dass die Behörden genau gewusst hätten, wann er in die Schweiz komme.
Die Justizministerin versicherte gegenüber dem Schweizer Fernsehen, es sei bei der Festnahme um die Durchsetzung des Rechts gegangen. «In diesem Fall trifft es eine sehr bekannte Person. Aber es spielt für das Schweizer Recht keine Rolle, wie bekannt jemand ist.»
Die Basler Zeitung wunderte sich über das Vorgehen der Schweizer Behörden im Fall des Zürcher Filmfestivals, wo es doch «für Polanski in Berlin, Cannes und Venedig möglich war, Preise entgegen zu nehmen».
Kein Verstecken möglich
Polanski war nach Zürich gekommen, um am dortigen Filmfestival einen Preis für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. Er war 1978 aus den Vereinigten Staaten geflohen, bevor er wegen Drogenkonsum und sexuellem Missbrauchs einer 13-Jährigen im Haus des Schauspielers Jack Nicholson verurteilt worden wäre.
Seither lebt er in Frankreich, das keinen Auslieferungsvertrag mit den USA besitzt.
Polanskis damaliges Opfer, Samantha Geimer, war bereits vor Jahren an die Öffentlichkeit getreten und hatte erklärt, sie habe ihm vergeben. Sie wünschte sich, dass die Anschuldigungen gegen Polanski fallen gelassen würden. Sie sehe sich eher als Opfer der Medien und der Staatsanwaltschaft, die den Fall nicht ruhen lasse.
Französische Behörden bezeichneten die Festnahme als «etwas unheimlich». Und Schweizer Politiker sorgten sich um das Image der Schweiz im Ausland.
«Dies dürfte unser Bild wohl kaum verbessern», sagte der freisinnige Tessiner Ständerat Dick Marty gegenüber der Tribune de Genève. «Hätte ich vor 30 Jahren in meinem Land jemanden umgebracht, könnte man mir heute nichts mehr tun.» Er wisse wirklich nicht, was mit der Schweizer Regierung los sei, so Marty.
Der sozialdemokratische Nationalrat Andreas Gross bezeichnete die Festnahme als «kapitalen Fehler. (…) Sie verhaften nicht eine derart bekannte Person auf Grund eines erstmals vor 30 Jahren erfolgten Haftbefehls. Die Schweiz sollte sich entschuldigen. Es ist beschämend.»
Christophe Darbellay, Präsident der Christlich-demokratischen Volkspartei (CVP), zeigte gegenüber dem Blick Härte. Kindsmissbrauch sei «ein schreckliches Verbrechen», er würde Polanski sofort in die USA ausweisen.
Unterschiedliche Kommentare
swissinfo.ch-Leser äusserten unterschiedliche Meinungen: Dass sich die Schweizer Filmschaffenden für Herrn Polanski einsetzen, sei «wohl eine Ohrfeige ins Gesicht jedes Missbrauchsopfers», so eine Stimme.
Ein Leser schreibt, es sei «typisch für unsere schwache Schweiz, die sehr wohl unterwürfig für die USA buckelte und den Haftbefehl ausführt.»
Ein anderer Leser bringt wenig Verständnis für Justizministerin Widmer-Schlumpf auf, die sich auf den Rechtsstaat berufe, in dem «grosse Namen keine Rolle spielen». Auch die «Erklärungs-Versuche weitere Polit-Parteipräsidenten seien lächerlich. Sie sollten lieber die wirklich brennenden Probleme in der Schweiz angehen.»
Tim Neville, swissinfo.ch, und Agenturen
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Die internationale Preisjuriy und die Organisatoren des laufenden Zurich Film Festivals haben am Montag die Festnahme von Roman Polanski scharf kritisiert.
Das Festival sei auf unfaire Weise ausgenützt worden, sagte die US-Schauspielerin und Jurypräsidentin Debra Winger in einem kurzen Statement vor einer halben Hundertschaft Journalisten und vor Kameras von rund einem Dutzend Fernsehstationen.
Die Jury hoffe, dass der Prozess um die Tat, die mehr als 30 Jahre zurückliege, rasch eingestellt werde.
Die Jury habe zudem beschlossen, dass sie trotz der Verhaftung Polanskis mit der Aufführung und Bewertung von Filmen fortfahre.
Nadja Schildknecht und Karl Spoerri, Co-Leiter des Festivals, hielten fest, dass sie von der geplanten Verhaftung Polanskis selbstverständlich zu keiner Zeit Kenntnis gehabt hätten.
Die Jury habe bereits vor Monaten entschieden, Polanski auszuzeichnen.
Raymond Polanski wurde als Sohn polnisch-jüdischer Eltern am 18. August 1933 geboren. Er verbrachte die erste drei Jahre in Paris, bevor die Familie nach Polen zurückkehrte.
1940 floh er aus dem Warschauer Ghetto. Seine Mutter starb in Auschwitz als Opfer des Holocausts.
Sein erster Film «Knife in the Water» gewann auf Anhieb Preise.
1969 wurde Polanskis schwangere Ehefrau, Sharon Tate, und sechs weitere Menschen von Sektenmitglieder rund um Charles Manson brutal umgebracht.
Polanski gewann 2003 einen Oscar als bester Regisseur für «Der Pianist». Ein Jahr vorher hatte er in Cannes die Goldene Palme gewonnen.
Die Aussenminister von Polen und Frankreich, Radek Sikorski und Bernard Kouchner, forderten in einem Schreiben an ihre US-Amtskollegin Hillary Clinton Gnade für den 76-Jährigen.
An die Regierung in Bern appellierten sie, Polanski auf Kaution freizulassen.
Die Schweiz habe keine andere Möglichkeit, als derartige internationale Haftbefehle umzusetzen, wenn eine gesuchte Person den Fuss auf Schweizer Boden setze, sagte Bundesrätin Doris Leuthard am Rande eines offiziellen Besuchs in Paris. Sie stützte sich dabei auf die Zusammenarbeitverträge mit den USA in Sachen Rechtshilfe.
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