Grundrechte über Gemeindeautonomie gestellt
Der Nationalrat will Gemeinden und Kantonen keinen Freipass für Einbürgerungs-Entscheide erteilen. Er hat einen entsprechenden Vorstoss abgelehnt.
Damit gewichtete die Mehrheit des Nationalrates das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot höher als die Gemeindeautonomie.
Der Nationalrat, die Grosse Kammer, lehnte am Montag mit 104 zu 73 Stimmen eine parlamentarische Initiative ab. Deren Urheber, Nationalrat Rolf Joder von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), wollte die Möglichkeit von Beschwerden gegen negative Einbürgerungsentscheide ausschliessen.
Joder wollte den Kantonen und Gemeinden bei der Vergabe des Bürgerrechtes eine weitgehende Autonomie zugestehen. Sie sollten selber entscheiden können, welche Organe die Einbürgerung in welchem Verfahren vornehmen. Dies ohne dass die Gerichte die Entscheide nachträglich kassieren können.
Gerichte gegen die Willkür
«Es geht nicht nur um die Grundrechte der Gesuchsteller, sondern auch um jene der Stimmbürger», sagte Joder. Bekämpft wurde dieses Anliegen von linker Seite und vor allem mit rechtsstaatlichen Argumenten.
Vielen Leuten genüge die Herkunft aus einem Balkanstaat, um ein Gesuch abzulehnen, sagte die Sozialdemokratin Vreni Hubmann. Der Ausschluss der Gerichte würde Tür und Tor für willkürliche und diskriminierende Entscheide öffnen. Grundrechte dürften auch durch Volksentscheide nicht umgestossen werden.
Der Grüne Jo Lang sagte, in einer liberalen Demokratie sei auch das Volk nicht allmächtig. FDP und CVP konnten zwar dem Anliegen der Selbstbestimmung in den Gemeinden durchaus etwas abgewinnen. Sie lehnten Joders Initiative aber mehrheitlich ab, da diese auch den Gang ans Bundesgericht ausschliessen wollte.
Bundesgericht stützte Diskriminierungsverbot
Eine solche Verabsolutierung der Gemeindeautonomie sei mit den verfassungsrechtlichen Grundrechten wie dem Diskriminierungsverbot nicht vereinbar, argumentierte der Christdemokrat Felix Walker.
Die Debatte um die richtigen Einbürgerungsverfahren beschäftigt das Parlament schon seit längerem und wird dies auch noch weiter tun. Beide Räte hatten sich bei früherer Gelegenheit gegen eine Beschwerdemöglichkeit ausgesprochen.
Während der Ständerat explizit dagegen votierte, war der Entscheid des Nationalrates von zwei wegweisenden Bundesgerichtsurteilen beeinflusst: Im Sommer 2003 war das höchste Gericht auf eine Beschwerde eingetreten, die sich auf das verfassungsmässige Diskriminierungsverbot stützte.
Ständerat versucht nun den Spagat
In einem anderen Fall erklärte es durch Urnenabstimmungen gefällte Einbürgerungsentscheide generell für rechtswidrig, da solche Entscheide nicht begründet seien. Nach diesen Entscheiden hielt es eine Mehrheit im Nationalrat nicht mehr für nötig, eine gesetzliche Beschwerdemöglichkeit zu schaffen.
Im Ständerat ist die zuständige Kommission derzeit daran, den Spagat zwischen Volksrechten und Rechtsstaatlichkeit zu versuchen. Sie will Urnenentscheide prinzipiell zulassen, dies aber nur, wenn diese Entscheide auch begründet werden können. Im Fall von Urnenabstimmungen sei etwa denkbar, dass auf dem Stimmzettel mögliche Gründe für eine Ablehnung angekreuzt werden können.
swissinfo und Agenturen
2003 hat das Bundes-Gericht entschieden, dass abgelehnten Kandidaten für die Schweizer Staats-Bürgerschaft das Recht auf eine Begründung für ihre Ablehnung zusteht.
So sollen willkürliche Entscheide vermieden werden.
Die Richter erklärten damit faktisch Einbürgerungs-Entscheide an der Urne als illegal und gaben Parlamenten und Gemeindebehörden das letzte Wort.
Der Entscheid des Bundesgerichts war eine Folge der Ablehnung von fast 100 Einbürgerungs-Gesuchen von Ausländern durch die Stimm-Berechtigten der Stadt Emmen bei Luzern.
Neben dem nun abgelehnten Vorstoss Joder sind auch im Ständerat Bestrebungen hängig, die Einbürgerungen neu zu regeln.
Noch bis zum 18. November läuft die Sammelfrist für eine SVP-Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen».
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