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Härteres Vorgehen gegen häusliche Gewalt

Eine von fünf Frauen in der Schweiz wird Opfer von häuslicher Gewalt. swissinfo.ch

Opfer von häuslicher Gewalt sollen in der Schweiz besser geschützt werden. Dies sehen die neuen Bestimmungen im Zivilgesetzbuch (ZGB) vor, die auf den 1. Juli 2007 in Kraft gesetzt werden.

Zwar bringt dies Verbesserungen, wie gewalttätige Personen aus der gemeinsamen Wohnung auszuweisen. Doch gibt es Stimmen, die betonen, zuerst müssten die Kantone das Gesetz richtig anwenden.

Vom Sonntag an sollen Opfer von häuslicher Gewalt nicht mehr ihre Wohnung verlassen müssen, um sich vor Übergriffen zu schützen.

Sie haben nun die Möglichkeit, von einem Richter die Ausweisung des gewalttätigen Partners aus der gemeinsamen Wohnung für eine gewisse Zeit zu verlangen.

Die Gerichte können weiter ermächtigt werden, einer gewalttätigen Person zu verbieten, die unmittelbare Umgebung der Wohnung zu betreten oder sich dem Opfer zu nähern und mit ihm per Telefon oder brieflich Kontakt aufzunehmen.

Diese weiteren Schutzmassnahmen vor Drohungen und Nachstellungen (dem so genannten Stalking) sind unabhängig davon möglich, ob zwischen dem Opfer und der gewalttätigen Person eine Beziehung besteht oder je bestanden hat.

Für Stella Jegher von Amnesty International Schweiz bedeuten die Gesetzesänderungen, die seit langer Zeit gefordert wurden, einen grossen Schritt vorwärts. Doch sie warnt, dass diese Verbesserungen allein nicht genügten.

Knackpunkt Umsetzung

«Jede Wirkung des Gesetzes hängt davon ab, wie die Kantone die neuen Regeln umsetzen», sagte sie gegenüber swissinfo. «Einige wenden bereits ein ähnliches Gesetz an, doch andere müssen sich noch anpassen.»

Fälle von häuslicher Gewalt werden bereits heute automatisch verfolgt, falls die Polizei eingreifen muss. Polizisten werden darauf trainiert, auf diese Art von Situation zu reagieren, und Opfer müssen nicht Anzeige einreichen.

Für Jegher müssen die Kantone sicherstellen, dass ein gut eingeführtes Netzwerk zur Unterstützung von Opfern besteht, damit diese die richtigen Entscheide für ihre Zukunft treffen können.

«Es reicht nicht, dass sie alleine in ihren Wohnungen sitzen», betonte Jegher, die auch für die laufende Kampagne von Amnesty gegen Gewalt an Frauen verantwortlich ist.

Vergessene Ausländerinnen

Jegher warnt weiter, dass bei der Anpassung des Gesetzes eine Personengruppe vergessen ging, nämlich die ausländischen Frauen.

«Es gibt keinen spezifischen Schutz für diese Frauen», sagte sie. «Oft haben sie Angst, sich zu beklagen, weil sie fürchten, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren, der mit der Arbeit des Partners zusammenhängt.»

Eine Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer gibt es in der Schweiz in der Regel nur, wenn eine Person eine Arbeitsstelle hat. Das Parlament hat den Vorschlag abgelehnt, im Gesetz spezielle Bedingungen für Ausländerinnen festzuhalten.

Doch gibt das neulich vom Stimmvolk gutgeheissene Ausländergesetz den Kantonen die Möglichkeit, Opfern in Härtefällen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

Frage der Mentalität

Für Jegher ist klar, dass die häusliche Gewalt nicht abnehmen wird. «Die Gesetzesanpassung wird einige Personen über ihre Aktionen nachdenken lassen und ihr Bewusstsein zum Thema Gewalt etwas schärfen, doch das reicht nicht», sagte sie.

«Es ist ein Problem der Mentalität. Es ist immer noch viel Arbeit mit Männern nötig, bevor wirkliche Fortschritte gegen die häusliche Gewalt gemacht werden können.»

Um das Problem wirklich in den Griff zu kriegen, sei der Einsatz der gesamten Zivilgesellschaft gefragt, nicht nur jener von Politik, Spezialisten und Lehrer.

«Es reicht nicht, Erwachsene zu überzeugen, dass Gewalt eine schlechte Option ist», so Jegher. «Wir müssen dies den 16- und 17-Jährigen bewusst machen, bevor sie Gewalt anwenden.»

swissinfo, Scott Capper
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

Studien zeigen, dass eine von fünf Frauen in der Schweiz zumindest einmal in ihren Leben Opfer von häuslicher Gewalt wird – physisch oder sexuell.
Vier von zehn Frauen werden psychisch bedroht.
Physische Gewalt wird meistens von psychischer Gewalt begleitet.
Andere Studien schätzen, dass 5% der Männer Opfer von häuslicher Gewalt werden.

Eine Person ist dann von häuslicher Gewalt betroffen, wenn sie durch jemanden aus der Familie, durch ihren gegenwärtigen oder einen früheren Partner in ihrer physischen, psychischen oder sexuellen Integrität bedroht oder verletzt wird.

Häusliche Gewalt ist durch Gewalt oder Gewaltandrohung definiert, doch zählen dazu auch wiederholte Beleidigungen oder Schikanierungen.

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