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Historischer Schritt der Schweiz

Die Schweiz wird UNO-Mitglied - der Ausgang der Abstimmung war bis zuletzt eine Zitterpartie. swissinfo.ch

Die Schweizerinnen und Schweizer sagen Ja zum UNO-Beitritt und verabschieden sich aus der selbstgewählten Isolation. Ein historischer Sonntag.

Es war bis zuletzt eine Zitterpartie, doch schliesslich siegte das Ja, wenn auch nur äusserst knapp: Mit 55% der Volksstimmen zwar, aber nur gerade mit den unbedingt nötigen 12 der 23 Standes-Stimmen (Stimmen der Kantone).

Doch später einmal wird es nur noch heissen, dass die Schweizer und Schweizerinnen an jenem 3. März 2002 ein Zeichen setzten und dem Beitritt zur Völkerfamilie zustimmten.

Veränderte Stimmung

Das Ja zur UNO ist ein Zeichen der veränderten Stimmung im Lande. Eine Mehrheit wollte nicht mehr am Mythos «Sonderfall Schweiz» festhalten.

Schwierig abzuschätzen ist, wie viel die Ereignisse der vergangenen Monate, etwa der Swissair-Konkurs, dazu beitrugen, dass die Erkenntnis wuchs, wonach die Schweiz keine Insel sei. 1986, bei der letzten Abstimmung über einen UNO-Beitritt, hatte der Nein-Stimmen-Anteil noch bei rund 75% gelegen.

«Ihr seid willkommen»

UNO-Generalsekretär Kofi Annan zeigte sich sehr erfreut über den Ausgang der Abstimmung. Er begrüsse diesen «Ausdruck des Glaubens an die Arbeit und Ideale der UNO», hiess es in einer am UNO-Sitz in Genf veröffentlichten Erklärung des Generalsekretärs.

Die Schweiz, so der Generalsekretär weiter, sei in vieler Hinsicht ein lebendiges Beispiel für jene Werte, für welche die UNO eintrete: eine tolerante, friedliche, multikulturelle Gesellschaft, die auf demokratischen Werten beruhe.

Keine Angst vor Neutralitäts-Verlust

Im nahen Ausland wurde der Ausgang der Abstimmung erwartungsgemäss begrüsst. So erklärte Österreichs Aussenministerin Benita Ferrero-Waldner gegenüber swissinfo: «Natürlich respektieren wir immer das Verdikt des Schweizer Volkes. Doch heute freue ich mich besonders und begrüsse das Ergebnis als Aussenministerin eines befreundeten Landes, eines neutralen Landes, das selber schon seit 1955 Mitglied der Vereinten Nationen ist.»

An die Adresse jener Menschen in der Schweiz, die Angst davor haben, nun die Neutralität zu verlieren, erklärte die Aussenministerin: «Haben sie keine Sorgen. Die UNO stellt die ganze internationale Gemeinschaft dar – dazu gehören neutrale ebenso wie nicht-neutrale Staaten. Und man kann im Rahmen der UNO eine grosse Rolle spielen – zum Beispiel im Einsatz für den Frieden. Ich bin sicher, dass dies nun bald auch das Schweizer Volk erkennen wird.»

Glückwunsch aus Deutschland

Begrüsst wurde das Ja auch vom deutschen Botschafter in Bern, Reinhard Hilger. «Ich freue mich ganz ausserordentlich und möchte alle Schweizerinnen und Schweizer im Namen der deutschen Bundesregierung zu der Entscheidung beglückwünschen. Sie haben sich ja nun dafür ausgesprochen, die selbstgewählte Sonderrolle gegenüber den Vereinten Nationen zu beenden und als volles Mitglied in die Weltorganisation einzutreten.»

Schon bisher habe die Schweiz in den Sonderorganisationen an der Lösung grosser Aufgaben engagiert und sachkundig mitgearbeitet. Daher freue er sich, das dass Land nun auch bei den politischen Gremien mitmachen könne.

«Die Schweiz bringt ja da das Ansehen ein, das sie sich in Jahrhunderten durch eine gewisse Grundeinstellung des Ausgleichs, der Neutralität, der Toleranz und des aktiven Schutzes für Kriegsopfer erworben hat. Das sind Tugenden auf die sie Schweizer, das sage ich als Deutscher, stolz sein können und welche die UNO insgesamt bereichern werden bei ihrer Arbeit.»

Italien: Gut fürs Image

Positiv äusserte sich auch Italiens Regierung. Antonio Tajani, Chef der Forza Italia Fraktion im Europaparlament: «Die Schweiz hat immer geholfen, Frieden zu stiften. Und von jetzt an ist sie nicht mehr fern vom internationalen Geschehen. Sie wird zu einem der grossen Protagonisten.»

Tajani zeigte sich gegenüber swissinfo überzeugt, dass dieser Entscheid das Image der Schweiz verbessern werde. Auch in Italien selbst, wo es mit der Schweiz momentan wegen dem nicht unterzeichneten Rechtshilfeabkommen Probleme gebe – die aber überwindbar seien.

Britische Medien zitierten Aussenminister Jack Straw mit der Aussage: «Diese historische Entscheidung stellt eine der ältesten Demokratien dort hin, wo sie hingehört: Ins Herz der globalen Entscheidfindung.» Grossbritannien freue sich auf die Schweiz als Partnerin für die neuen Aufgaben der UNO.

Etwas Wehmut beim Vatikan …

«Also persönlich tut es mir leid, weil wir in den 15 Jahren so gut gemeinsam gefahren sind», kommentierte Monsignor Renato Martino, UNO-Vertreter des Vatikan in New York, den positiven UNO-Entscheid. «Aber für die Schweiz ist es besser so».

Martino, der im Verlauf seiner Uno-Tätigkeiten mit vier Schweizer Beobachtern zusammengearbeitet hatte, erklärte weiter, die Schweiz werde künftig ihre UNO-Arbeit viel effizienter anpacken. «Mit der Stimme eines Vollmitglieds versehen, kann sie sich ihre bisher bloss als Beobachter geleistete Arbeit ganz anders anerkennen lassen.»

… und Freude bei Schweizer Kolonien

Mit Freude und Erleichterung reagierte Elisabeth Michel, Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Vereinigungen in Deutschland, auf den Ausgang der Abstimmung. «Die Schweiz ist also doch in der Lage, sich nach aussen zu öffnen», erklärte die Auslandschweizerin auf Anfrage.

«Ein Nein wäre peinlich gewesen», so Michel weiter, «wir wären in einen grossen Erklärungsnotstand geraten.» Sie gehe davon aus, dass ein Grossteil der Schweizer und Schweizerinnen in Deutschland für den Beitritt gestimmt hätten.

In Norditalien verwies der Präsident der «Società svizzera di Milano», Gottfried Goetz, darauf, dass die Schweizer Gemeinde in Mailand Befürworter und Gegner umfasste. «Einige Mailand-Schweizer haben gegen den UNO-Beitritt gestimmt, da sie fürchten, gewisse traditionellen Schweizer Werte zu verlieren.» Gegenüber swissinfo führt Goetz die Furcht vor zusätzlichen Aufwendungen, vor dem Abbau der Neutralität und der Souveränität des Landes auf.

Aufnahme im September

Bis die Schweiz tatsächlich UNO-Mitglied wird, dauert es noch einige Monate. Erst nach der amtlichen Absegnung des Abstimmungsresultates kann die Regierung das Beitrittsgesuch nach New York schicken. Die UNO-Generalversammlung dürfte voraussichtlich am 10. September den Beitritt gutheissen.

Rita Emch

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