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Ist jetzt das Mass voll für Hooligans?

Kleinkrieg im Letzigrund: Vermummte Basler stürmen auf den Rasen und jagen Zürcher Fans. Keystone

Stoppt endlich die Hooligans, die Fussballspiele für Gewaltexzesse nutzen: Dies der Tenor nach den Krawallen der letzten Tage in Sitten, Zürich und am Mittwoch beim Cupfinal in Bern. Über das Wie gehen die Vorstellungen auseinander.

“Ich habe Angst, mit meinen Kindern in gewisse Stadien zu gehen, das ist nicht mehr normal”, spricht Massimo Lorenzi vielen Fussballbegeisterten aus der Seele.

Es ist eine Woche her, seit der Leiter des Sportressorts beim Westschweizer Fernsehen (TSR) am Rande des Matches Sion gegen Neuenburg Xamax von Walliser Anhängern tätlich angegriffen worden war.

Rasen nicht mehr heilig

Eskaliert war die Situation am letzten Sonntag auch in Zürich beim Spiel der Erzrivalen FC Zürich gegen FC Basel. Nach dem 1:3-Sieg der Gäste stürmten Basler Hooligans den Rasen und machten quer durch die Arena Jagd auf Zürcher.

Gewaltbereite Fangruppen, die einander verprügeln, auf Polizisten losgehen und Sachbeschädigungen begehen, wüteten auch vor und nach dem Cupfinal in Bern vom Mittwoch. Die Bilanz: Zehn Verletzte und 64 Verhaftungen.

Wut statt Freude

Eigentlich hätte der Cupfinal zwischen den Berner Young Boys und Abonnements-Sieger Sitten, das auch diesmal wieder triumphierte, zu einem Fussballfest werden sollen.

Aber statt der Freude über den herrlichen Siegestreffer Afonsos und die überschäumende Party der grossen Mehrheit der Walliser Fans herrscht vielerorts Wut darüber, dass eine kleine Minderheit den Fussball offenbar immer noch als Schauplatz für persönliche kleine Kriege nutzen kann.

Dies brachte Sepp Blatter, oberster Fussballfunktionär und selber Walliser, jetzt definitiv in Rage. “Stehplätze weg!”, forderte der Schweizer Fifa-Präsident am Donnerstag vom Schweizerischen Fussballverband.

Dies hätten die grossen europäischen Fussballländer längst gemacht. Wer im Stadion sitze, sei ruhiger, als wer stehe. Adressat von Blatters Appell ist der neue Präsident des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV), der im Juni gewählt wird.

Standpauke vom Fifa-Boss

“Ich hoffe, dass er sich dieses Problems annimmt und nicht nur sagt, das geht mich nichts an, das ist die Liga. Nein, das ist ein Problem des Schweizer Fussballs.”

Die Schweiz hinke der Entwicklung in anderen Ländern wie England oder Spanien fünf bis zehn Jahre hinterher, kritisierte Blatter. Diese hätten die Probleme mit besser organisierten Fanblocks, Erziehung und Stadionverboten gelöst.

Beim Schweizerischen Verband gibt man sich problembewusst. “Nach der Euro 2008 beruhigte sich die Lage, aber jetzt ist der Hooliganismus schlimmer denn je”, stellte Edmond Isoz, Direktor der Swiss Football League (SFL), gegenüber der Zeitung Le Temps fest. “Wir gehen allmählich davon aus, dass es erst einen Toten braucht, damit sich etwas ändert.”

Auch Sportminister Ueli Maurer meldete sich zu Wort. Er sprach von beschämenden Vorkommnissen. Der Bundesrat forderte, dass das Hooligan-Gesetz “rascher und konsequenter umgesetzt werden” müsse. Es sei wichtig, “diese Chaoten aus ihrer Anonymität herauszureissen”.

Strenges Gesetz vorhanden

Dabei stehen die Behörden im Kampf gegen die Gewalttäter alles andere als mit leeren Händen da. Eigens für die Euro 2008 wurde das Anti-Hooligangesetz in Kraft gesetzt. Es brachte ein nationale Hooligan-Datenbank, Stadionverbote, Reisebeschränkungen, Meldepflicht während der Spiele auf der Polizeiwache und gar eine präventive Haft von 24 Stunden.

Wie immer liegt die Krux eines Gesetzes in dessen Anwendung. Und hier happert es offenbar. Die Akteure – Verband, Klubs, Behörden – schieben sich den Ball gegenseitig zu.

Beim Verband ist man frustriert darüber. Innerhalb der Stadien obliegt die Sicherheit den Klubs. Diese heuern dafür private Sicherheitsfirmen an. Der Haken: Deren Mitarbeiter dürfen keine Verhaftungen vornehmen.

Dies kann die Polizei. Aber deren Vertreter sagen, dass die Beamten nicht für Einsätze innerhalb der Stadien ausgebildet seien, ausser bei Extremsituationen.

Durchgreifen!

“Wenn in Deutschland ein Fan im Stadion eine Rakete abfeuert, wird er verhaftet und auf die Wache geführt”, sagt Edmond Isoz. In der Schweiz könnten die Sicherheitsleute die Polizei nur informieren.

Zudem sei es schwierig, den Behörden Beweise zu liefern. “Die Hooligans agieren angesichts der Überwachungskameras sehr clever, indem sie sich vermummen.”

Piermarco Zen-Ruffinen, Rechtsprofessor an der Universität Neuenburg, plädiert deshalb für einen Paradigmenwechsel. Es sei jetzt höchste Zeit, dass sich der Staat auch ins Geschehen in den Stadien einmische.

“Ich bin für Eingriffe des Staates, denn es ist zu einfach, die Verantwortung immer nur den Stadionbetreibern zuzuschieben”, so Zen-Ruffinen.

Mühe bereitet ihm insbesondere die herrschende Mentalität der Trägheit. “Die Situation muss immer erst eskalieren, bevor Massnahmen ergriffen werden. Das zeugt von einem Mangel an Mut.”

Miteinander statt gegeneinander

Rezepte von Politikern und Experten sind auch diesmal schnell zur Hand. Das Naheliegendste: Das Gesetz strenger anwenden, insbesondere Stadionverbote durchsetzen. Im Verzeichnis des Bundes figurieren heute rund 500 gewaltbereite Fans.

Reto Nause, Direktor für Sicherheit in der Berner Stadtregierung, kritisierte nach dem Cupfinal vom Mittwoch die Berner Stadionbetreiber, dass sie die Stadionverbote gewisser Fans nicht genügend durchgesetzt hätten.

Sylvio Bernasconi, Präsident des FC Xamax Neuenburg, spielt den Ball zurück. “Ich kann nicht verstehen, weshalb wir nicht schaffen, was in Grossbritannien möglich ist. Dort sind die gewalttätige Fans polizeilich erfasst, und sie müssen sich während der Spiele auf dem Polizeirevier melden.”

Der Zürcher Hooligan-Experte Dölf Brack bestätigt die Wirkung solcher Massnahmen. Ein anderer Vorschlag Bracks: höhere Ticketpreise.

Match am Mittag?

Ulrich Pfister, der Verantwortliche für Sicherheit des Schweizerischen Fussballverbandes, bringt eine weitere Idee ins Spiel: Hochrisikospiele könnten schon mittags angepfiffen werden. Dann hätten die Fans weniger Zeit, sich vorher zu betrinken.

Aber auch nach den jüngsten Krawallen bleiben Zweifel, ob die Akteure jetzt tatsächlich zusammenstehen und im Kampf gegen die Hassfraktion auf den Rängen ernst machen. Oder braucht es bei den Fan-Prügeleien tatsächlich erst einen Toten?

Simon Bradley, swissinfo.ch und Agenturen
(Adaption aus dem Englischen: Renat Künzi)

2006 hat das Parlament im Hinblick auf die Euro 2008 und die Eishockey-Weltmeisterschaft 2009 ein Massnahmenpaket verabschiedet im Kampf gegen Gewalt bei sportlichen Veranstaltungen.

Darunter figurieren Massnahmen wie die Erstellung von Datenbanken von Hooligans oder die Verpflichtung, dass Hooligans während der Spiele bei der Polizei vorsprechen müssen oder nicht an Auslandspiele reisen dürfen.

Angesichts der kantonalen Kompetenzen bei Polizeiaufgaben war das Eidgenössische Parlament der Meinung, dass die Massnahmen auf interkantonaler Ebene mit einem Konkordat abgeglichen werden sollten. Eine Mehrheit der Kantone hat das Konkordat angenommen.

Zahlreiche europäische Länder haben spezielle Gesetze zur Bekämpfung des Hooliganismus erlassen.

England, das in den 1980er-Jahren mit Gewaltexzessen von Hooligans konfrontiert war, hat als erstes Land strenge Massnahmen ergriffen.

Im Allgemeinen werden die Sicherheitsanstrengungen in den Nachbarstaaten der Schweiz von der öffentlichen Hand unterstützt.

In Frankreich und Deutschland übernimmt der Staat die Kosten für die Sicherheit am Rande der Stadien. Die Klubs sind für die Sicherheit im Innern der Stadien verantwortlich, so wie in der Schweiz auch.

Diese Aufteilung der Verantwortlichkeit strebt auch die italienische Regierung an. Besonders rechtsextreme Ultras terrorisieren Klubs, Fans und Öffentlichkeit mit Gewaltexzessen. Diese führten zu mehreren Todesfällen sowohl auf Seiten der Polizei als auch bei den Hooligans.

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