Koblet oder der kurze Sommer des Charmes
Sieger der Tour de France, Frauenschwarm, früher Tod: Hugo Koblet wurde zum James Dean des Radsports. Er wäre letztes Jahr 80 Jahre alt geworden.
Eine Hommage an den «Pédaleur de charme», die erste internationale Kultfigur des Schweizer Sports – Teil I.
Das imaginäre Bild: Es zeigt Hugo Koblet und Marco Pantani. Ein komisches Radrennfahrer-Paar: Der 187 Zentimeter lange Zürcher – vielleicht hat er einen seiner Scherze gemacht, denn beide lachen – überragt den kleinen Italiener um mehr als einen Kopf.
Ironisches Detail: Während der eitle Koblet schwer unter dem Höherrücken seines Haaransatzes leiden sollte, ist das Markenzeichen des Kletterers von der Adriaküste sein kahlrasierter Schädel.
Die ungleichen Kollegen haben vieles gemein: Beide sind die stärksten Fahrer ihrer Epoche, begeistern mit ihrer generösen Fahrweise und ständigen Attacken Millionen Menschen am Strassenrand.
Und beide sind als Träger klingender Übernamen schon zu Lebzeiten Legenden: Hier der blendend aussehende Koblet, der «Pédaleur de charme», dort Pantani, wegen seines Kopftuchs und des grossen Ohrrings überall als «Pirata» angefeuert.
Absturz
So möchten wir die Beiden am liebsten in ewiger Erinnerung behalten. Doch ein zweites Bild überlagert das erste, und dieses ist dunkel und tragisch: Beide schafften den Sprung in ein Leben nach dem Sport nicht, beide gerieten in eine unentrinnbare Abwärtsspirale, keiner wurde 40 Jahre alt.
Koblet prallte 1964 mit dem Auto in einen Birnbaum – mit 39. Pantani starb 2004 an einer Überdosis Kokain, er war erst 34. Suizid liegt bei beiden auf der Hand. Ihr geteiltes Schicksal trägt denselben Namen: Doping.
Sepp Renggli, Sportreporter des Schweizer Radios (damals Radio Beromünster), sass im Flugzeug über Mexiko, als er in jenem November 1964 in den «Mexican News» die Nachricht vom schweren Unfall Hugo Koblets liest. Vier Tage später ist dieser tot.
«Ich war konsterniert», erinnert sich der heute 81-jährige Renggli gegenüber swissinfo. Der Nestor der Schweizer Sportjournalisten ist einer der Autoren, die dem grossen Champion in einem jüngst erschienen prächtigen Bildband ein würdiges Andenken setzten.
«Pédaleur de charme»
Koblets Stern geht im Sommer 1950 kometenhaft am Radporthimmel auf: Sieg am Giro d’Italia, als erster Nicht-Italiener. Erst in letzter Minute war Koblet als Ersatzfahrer in ein italienisches Team nachgerückt. In Rom wird der Sohn der Zwinglistadt vom Papst in einer Privataudienz empfangen.
Sportreporter Renggli wird einen Sommer danach Zeuge, wie Koblet endgültig den Radsport-Olymp erklimmt: Bei seiner ersten Teilnahme an der Tour de France fährt der 26-Jährige die Konkurrenz in Grund und Boden. Koblet gewinnt fünf Etappen und trägt die letzten elf Tage das Maillot Jaune des Gesamtersten. Das Ziel in Paris erreicht er mit dem unglaublichen Vorsprung von 22 Minuten vor seinen nächsten Verfolgern. Der «Pédaleur de charme» war geboren.
«Es war die bestbesetzte Tour aller Zeiten», unterstreicht Renggli. Nie vor- und nachher seien die Weltbesten derart komplett auf die «Grande Boucle» gegangen: Die italienischen «Campionissimi» Fausto Coppi und Gino Bartali, ihr Landsmann Fiorenzo Magni, die Franzosen Louison Bobet, Raphael Geminiani und Jean Robic sowie der Belgier Stan Ockers.
Vom anderen Stern
Koblet fährt wie von einem anderen Stern: Er dominiert die Flachetappen ebenso wie die beiden langen Zeitfahren. Die Sensation erfolgte aber in den Pyrenäen und Alpen: Der gefürchtete Roller erweist sich auch im Gebirge als das Mass der Dinge. Seine ausgezeichnete Verfassung erlaubt ihm eine Taktik, die heute unvorstellbar ist: Angriff jeden Tag.
«Koblet war in der Form seines Lebens, er hat sich unheimlich schnell erholt», sagt Renggli. Auch er hatte anfänglich zu den Skeptikern im Tour-Tross gehört, die über den Zürcher nur den Kopf geschüttelt hatten. Besonders auch bei Koblets legendärer Soloflucht über 136 Kilometer von Brive nach Agen. «Ich dachte, jetzt hat’s ihm ausgehängt, das war ein reines Selbstmord-Unternehmen», war es damals Renggli durch den Kopf gegangen. «Doch der Erfolg hat Koblet Recht gegeben».
Seine phänomenalen Leistungen im Sattel machten Koblet zum neuen Champion. Er wurde aber weit mehr als das: Ein internationaler Star, berühmt über die Welt des Sports hinaus. Denn es gab da noch eine Reihe augenfälliger Dinge, die den Zürcher von seinen Konkurrenten abhob.
swissinfo, Renat Künzi (Ende Teil I)
Hugo Koblets Sieg an der Tour de France 1951 gilt als der grösste Triumph in der Geschichte des Schweizer Radsports.
Der Bäckerssohn aus dem Zürcher Arbeiterquartier Aussersihl avancierte damit zum ersten internationalen Sportstar der Schweiz. Dies auch wegen seiner bis heute unerreichten Eleganz auf dem Rennvelo.
Eine Dopingspritze machte Koblets Herz dermassen kaputt, dass er nie mehr die Form von 1950/51 fand.
Nach seinem Rücktritt 1958 schaffte er den Übergang ins Leben «danach» nicht.
Koblet starb 1964 im Alter von 39 Jahren nach einem Autounfall. Er hinterliess einen Abschiedsbrief.
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