Liebgewonnene arabische Wörter
Nach mehreren Monaten im Nahen Osten ist mir doch so einiges ans Herz gewachsen: nebst lieben Menschen, kulinarischen Köstlichkeiten und den verwinkelten Gassen Damaskus’ auch ein paar Wörter.
Meine Mitbewohner kochen Kaffee an einem Herd mitten im offenen Innenhof. Es ist klirrend kalt. Was denn los sei, will ich wissen. Tja, der Plättchenleger habe gesagt, er würde heute kommen, deshalb hätten sie gestern sämtliche Einrichtungen aus der Küche demontiert und in den Hof getragen. Doch er sei nicht gekommen. Noch nicht. Er komme bestimmt bald. Wenn nicht heute, dann morgen, wenn nicht morgen, dann übermorgen.
So Gott will
Insch’allah heisst so viel wie «So Gott will» – und Gott scheint für vieles verantwortlich zu sein in Syrien, ob der nächste Minibus bald kommt, morgen die Sonne scheint, ein frisch verheiratetes Paar bald Kinder kriegt oder der Plattenleger endlich auftaucht.
Dessen Verspätung wird in bewundernswerter Weise akzeptiert, hat er doch beim Vereinbaren des Termins zweifellos «insch’allah» angefügt. Doch Gottes Wege sind ja bekanntlich unergründlich, auch in Bezug auf Verspätungen.
Neben der gesunden Portion Lockerheit, die der Gebrauch von «insch’allah» mit sich bringt, hat das Wort noch weitere Vorteile. So kann frau zum Beispiel den xten freundlich lächelnden, seine Ware mit flinkem Mundwerk preisenden, mich herzlich zum Tee einladenden Verkäufer auf dem Basar ohne schlechtes Gewissen mit «insch’allah» vertrösten:
«Nein, heute habe ich es leider eilig, aber morgen, insch’allah.» «Insch’allah» ruft er gut gelaunt zurück. Manchmal wäre so ein «insch’allah» auch in der Schweiz ganz praktisch…
Al hamdul’illah
Die Syrer sind sehr gottesfürchtig. Zumindest wird Allah bei allen Möglich- und Unmöglichkeiten angerufen. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass dies vor allem auf die wohlklingenden Wörter zurückzuführen ist. «Wie geht es dir?» «Gut, al hamdul’illah!»
Das H wird tief aus dem Rachen herausgeschleudert, das M vibriert sinnlich auf den Lippen, die Ls widerhallen kraftvoll im Gaumen. Da klingt die Kombination von g-t-d-k – «Gott sei Dank» – eher wie eine Artikulationsübung denn wie Musik in den Ohren.
Uasta
Kommen wir zu etwas Profanerem: Uasta, was so viel wie «Vitamin B» oder «Filz» bedeutet. Es ist immer gut, einen weiteren Begriff für komplexe, nicht ganz rechtmässige polit-ökonomische Verwicklungen und Verstrickungen zu kennen.
Uasta kommt zum Beispiel zum Tragen, wenn ein Bankdirektor den befreundeten Eltern gegenüber beteuert: «Ja, wir haben eine Stelle für ihre Tochter. Wir werden uns direkt bei ihr melden.» Meist folgt hier kein insch’allah. Ohne uasta geht kaum etwas in Syrien. Auch Polizisten werden oft aufgrund von Beziehungen rekrutiert.
Einmal angestellt, muss das Beziehungsnetzwerk dann sorgsam gepflegt werden. So kann man an Damaskus’ Strassenkreuzungen nicht selten folgendes Schauspiel beobachten: Ein Taxifahrer drückt einem ihn anhaltenden Polizisten beim Begrüssungshandschlag einen zusammengefalteten Schein in die Hand, weil er von diesem bezichtigt wird, bei Rot über die Strassenkreuzung gerast zu sein.
Ob er dies tatsächlich getan hat, ist nebensächlich, wird doch der Polizist dieser Strassenkreuzung nicht bloss schlecht bezahlt, sondern muss kurz vor Feierabend dem Verantwortlichen dieses Quartiers einen gewissen Betrag abgeben, der wiederum einen Teil seines Ertrags an die nächst höhere Ebene abliefert, etc.
Einen echten Rote-Ampel-Sünder für sein Vergehen zu ahnden oder einem korrekt fahrenden Taxichauffeur ein solches anzudichten, ist für den Polizisten einerlei. Hauptsache er hat am Abend seine Beziehungspflegescheine zusammen und noch etwas extra verdient als Zustupf für die Ausbildung seines Sohnes.
Jani
Wer kennt die Situation nicht: Am Rednerpult steht ein erfahrener Politiker oder eine gestandene CEO, doch die Sprache bleibt ihnen buchstäblich im Hals stecken. Heraus kommt bloss ein kratzendes «äh, äh».
Wie angenehm für das Publikum wäre hier der arabische Wortschatz. Statt des gepressten Lautes verfallen die Syrer in melodiöses Sinnieren. Wenn ihnen ein Wort ungreifbar auf der Zunge liegt. Jani klingt es durch den Saal, während die Zuhörer sich entspannt zurücklehnen.
Mafi muschkila
Kommt der Plättchenleger dann nach drei Tagen oder Wochen und entschuldigt sich für die Verspätung, erwidern die frierenden, bei 10°C im offenen Innenhof kochenden Wartenden sehr wahrscheinlich «mafi muschkila» – kein Problem.
Auch ein Zimmer in einem alten Damaszener Haus, das sich bei Regen in eine Tropfsteinhöhle verwandelt, oder das Warten während zweieinhalb Stunden auf fünf Stempel, drei Umschläge und zwei Unterschriften für ein offizielles Dokument, oder das Steckenbleiben nach Arbeitsschluss in einer Blechlawine verlangen jeweils nach einem «mafi muschkila». Es scheint, als ob es in Syrien keine Probleme gäbe. Insch’allah.
Franziska Sigrist, Damaskus, swissinfo.ch
Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen oder für ein Stage.
Franziska Sigrist ist 27 Jahre alt. Sie hat an den Universitäten Bern und Bordeaux Politik-Wissenschaften und internationales Recht studiert und im Frühsommer 2008 abgeschlossen.
Anschliessend bereiste sie mit ihrem Freund in einem Camper während einem Jahr den Nahen und Mittleren Osten (Türkei, Syrien, Jordanien, Iran).
Ab September bis Dezember 2009 absolvierte sie bei der Schweizer Botschaft in Damaskus ein Praktikum.
Auch in früheren Jahren verbrachte sie längere Zeit im Ausland: 2006 für sechs Monate in Äthiopien, wo sie für ihre Lizentiatsarbeit zum Thema «Nachhaltige Wasserpolitik» forschte und zwei Praktika (Unicef, NGO WaterAid) machte.
2005 war Franziska Sigrist zu einem Menschenrechts-Einsatz in Mexiko und 2004 für ein Praktikum im Bereich der Internationalen Entwicklungs-Zusammenarbeit in Bonn.
Nebst ihrer Muttersprache Deutsch spricht Franziska Sigrist Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und lernt nun Arabisch. Sie fotografiert auch gerne und spielt Klavier.
E-Mail-Adresse: franziska.sigrist@sunrise.ch
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