Mehr Illegale wegen gekürzter Sozialhilfe?
Abgewiesene Asylbewerber erhalten ab April keine Sozialhilfe mehr. Dies könnte mehr Menschen in die Illegalität drängen, befürchtet die Flüchtlingshilfe.
Der Bund hingegen glaubt, die Massnahme entlaste das Asylwesen, weil sie Asylmissbrauch einschränke.
Ab 1. April erhalten Asylbewerber, auf deren Gesuch nicht eingetreten wird, keine Sozialhilfe mehr. Der Bundesrat, respektive das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF), setzt die neuen Massnahmen als Teil des Entlastungsprogramms 2003 in Kraft.
Dieser kontroverse Sparplan soll die gesamten Ausgaben des Bundes um 3,3 Mrd. Franken verkleinern. Das Asyl-Budget gehört zu den am härtesten betroffenen Posten: Es wird in den in den kommenden drei Jahren um 137 Mio. Franken gekürzt.
Asyl-Missbrauch verhindern
«Mit diesen Massnahmen möchten wir erreichen, dass die Schweiz für Asylsuchende, die dies missbräuchlich tun, an Attraktivität verliert», sagt Mathias Stettler vom BFF.
Das BFF glaubt, dass die Einstellung der Sozialhilfe-Zahlungen an abgewiesene Asylsuchende den Druck auf sie erhöht, aus der Schweiz auszureisen. Der Bund erhofft sich auch langfristige Einsparungen, weil die Schweiz dadurch für nichtpolitische Flüchtlinge an Reiz einbüsst.
Kantone sind nun gefordert
Die Asylbewerber haben jedoch gemäss Bundesverfassung das Recht auf Nothilfe. Diese muss nun von den Kantonen und Gemeinden gewährt werden.
Der Bund will Kantone jedoch für die geleistete Nothilfe entschädigen. Aus Bern sollen 600 Franken für die Nothilfe pro Asylsuchenden in die Kantone fliessen. Sie erhalten ausserdem 1000 Franken pro Asylbewerber, der das Land verlassen hat.
Um einen unerwünschten «Nothilfetourismus» zwischen den Kantonen zu verhindern, sollen die Nothilfeleistungen durch alle Kantone nach möglichst einheitlichen Kriterien gestaltet werden.
Der Vorstand der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) hat deshalb Empfehlungen zur Nothilfe ausgearbeitet: Hygiene, Bekleidung, Unterkunft, medizinische Notversorgung und die nötige Beratung. Die Hilfe soll, wenn möglich, in Form von Naturalien gewährt werden.
Essen und Seife für acht Franken pro Tag
Ausserdem sollen die Leistungen unter jenen der geltenden Sozialhilfenormen liegen und auch tiefer als die Ansätze für anerkannte Asylbewerber sein. Für Nahrung und Hygiene sind dabei pro Tag und Person Naturalien im Wert von acht Franken vorgesehen.
Die Unterkunft soll einfach sein und preisgünstig. In Kollektivunterkünften sollen die Asylbewerber mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid von den übrigen getrennt werden.
Doch die Schweizer Flüchtlingshilfe (SFH) glaubt, zahlreiche kantonale Stellen seien mit diesen Prozeduren überfordert und würden die abgewiesenen Bewerber nicht genügend klar auf ihre Rechte aufmerksam machen.
Befürchtungen bezüglich des Untertauchens
«Wir befürchten, dass sich als Folge dieser Massnahme viele Leute dafür entscheiden, illegal im Land zu bleiben, was sie vom Gesetz entfernen würde», sagt Jürg Schertenleib, SFH-Sprecher, gegenüber swissinfo.
Schertenleib glaubt, dass der unumgängliche Zuwachs an Obdachlosigkeit und Kriminalität, zusammen mit den Kosten der Nothilfe, den Aufwand der Kantone und der Obdachlosen-Infrastrukturen erhöhen könnte.
Als weitere Folge nennt Schertenleib auch den Umstand, dass abgewiesene Asylsuchende solange eingesperrt werden könnten, bis sie ausgeschafft werden können. Dies würde ebenfalls die Kosten erhöhen.
Kantone ohne Erfahrungen
Die Kantone hatten über ein Jahr Zeit, sich auf die neuen Massnahmen vorzubereiten. Doch Stettler vom BFF gibt zu, dass nicht alle bereit seien. «Es liegt in der Verantwortung der Kantone und nicht des Bundes, entsprechende Massnahmen vorzubereiten.»
Stettler gibt auch zu, dass ein Risiko bestehe, dass abgewiesene Asylbewerber untertauchen. Er glaubt aber, dass diese Zahl vernachlässigbar klein bliebe.
«Wir haben bereits viele Ausländer hier, die sich illegal aufhalten», sagt Stettler. «Im laufenden Jahr werden ungefähr 4000 Asylsuchende abgelehnt. Davon wird nur ein kleiner Teil bleiben und Nothilfe beanspruchen.»
Mehr Asylbewerber abgewiesen
2003 sank die Anzahl der Asylbewerber um einen Fünftel und fiel auf 20’806. Demgegenüber stieg die Anzahl abgelehnter Anträge von 6445 im Vorjahr auf 7818 im Jahr 2003.
swissinfo, Joanne Shields
(aus dem Englischen von Alexander Künzle)
Laut SFH kostet ein Tag:
50 Fr. im Flüchtlingsheim
150 Fr. in einer Nothilfe-Unterkunft
300 Fr. im Gefängnis
Laut Schweizer Gesetz kann ein Asylgesuch abgelehnt werden, wenn die betreffende Person ihre Identität nicht preisgibt, ihre Papiere nicht vorzeigt oder während des Verfahrens nicht vollständig mit den Behörden kooperiert.
Dasselbe gilt für Personen aus sogenannt sicheren Ländern und solchen, die ein Gesuch einreichen, nachdem sie sich bereits illegal in der Schweiz aufgehalten haben.
2003 haben 20’806 Personen ein Asylgesuch gestellt, 20% weniger als im Vorjahr. 7’818 Personen wurden abgewiesen.
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