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Mit “Quiet Vacationing” gegen toxisches Arbeitsklima

Ein leeres Büro
Die Arbeitswelt ist seit der Pandemie nicht mehr dieselbe... Keystone

Anspruchsvolle Arbeitskultur, kaum Rücksicht auf das Privatleben: Deswegen praktizieren einige Arbeitnehmer "Quiet Vacationing". Dieser neue Trend besteht darin, Urlaub zu nehmen, ohne dies dem Arbeitgeber mitzuteilen.

Das neue Modewort der Arbeitswelt ist aktuell auf Social Media äusserst präsent. Zahlreiche Videos berichten über ein Phänomen, bei dem man sich entspannt, ohne Ferientage anzutasten.

Das Rezept für “Quiet Vacationing” ist einfach: Arbeitnehmerinnen oder -nehmer machen Ferien, teilweise im Ausland, ohne jemanden davon in Kenntnis zu setzen – und arbeiten nur so viel, dass er oder sie nicht erwischt wird. Man beantwortet nur unbedingt notwendige E-Mails oder nimmt nur an wichtigen Sitzungen teil.

Manchmal werden Mails geplant um 7 Uhr oder 21 Uhr versendet, um Überstunden vorzutäuschen oder es wird auf ein Tool zurückgegriffen, das Mausbewegungen simuliert, um Aktivität vorzutäuschen.

Nachfolger des “Quiet Quitting”

Das eher US-amerikanische Phänomen “Quiet Vacationing” ist ein geistiger Nachfolger des “Quiet Quitting”, bei dem man bei der Arbeit nur das Nötigste tut, um seine psychische Gesundheit oder seine persönliche Work-Life-Balance zu bewahren. “Quiet Quitting” hat sich vor rund zwei Jahren erstmalig in den sozialen Netzwerken verbreitet.

Toxische Arbeitskultur

Die hohe Arbeitsbelastung, der Druck, immer verfügbar zu sein und auf Anfragen zu reagieren und kaum Platz für das Privatleben: Auch das “Quiet Vacationing” ist eine Antwort auf eine toxische Arbeitskultur.

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Das Konzept ist zwar neu, aber solche Schummeleien gibt es, seit es Arbeit gibt, und nicht nur in der Telearbeit. “Es gibt Leute, die viele Stunden bei der Kaffeemaschine verbringen, die von ihrem Computer aus im Internet surfen, während sie im Büro sind”, sagt Anne Donou. “Auch Scheinmeetings in Terminkalendern haben wir schon gesehen.”

Die Etablierung der Telearbeit hat das Phänomen jedoch verstärkt, denn “sie führt dazu, dass man nicht direkt durch Vorgesetzte kontrolliert werden kann”.

Drohende Gegenreaktion

Die mediale Aufmerksamkeit für “Quiet Vacationing” lässt nun eine Gegenreaktion befürchten. “Wenn du Telearbeit machst, sei vorsichtig, denn die Firmen werden anfangen, sich Wege auszudenken, wie sie dich besser verfolgen können. Ich weiss, dass einige Unternehmen bereits GPS-Tracker in Computer einbauen”, warnt etwa eine Nutzerin auf Tiktok.

In der Schweiz darf ein Arbeitgeber verlangen, dass er weiss, wo seine Arbeitnehmenden arbeiten. Wenn er oder sie sich im Ausland befindet, kann dies Auswirkungen auf die Steuer- und Versicherungssituation haben. Ohne spezifische Anweisungen ist es jedoch möglich, von jedem Ort im Land aus Telearbeit zu leisten.

Trotzdem ist es ein grosses Risiko, mit “Quiet Vacationing” zu experimentieren. Der Arbeitsrechtler Rémy Wyler ist der Meinung, dass man sogar mit einer Kündigung rechnen muss, da die Angestellten während ihrer bezahlten Arbeitszeit arbeiten müssen.

Für Anne Donou zeigt das Phänomen vor allem, dass es notwendig ist, über die Organisation der Arbeit nachzudenken. Wie wird sie bezahlt? Ist das Monatsgehalt noch zeitgemäss? Und vor allem: Wie wird die Leistung jedes Einzelnen gemessen?

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