Muslime sollen keine Sündenböcke sein
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) lanciert einen Appell zur Toleranz gegenüber den 340'000 in der Schweiz lebenden Muslimen.
In ihrer am Freitag vorgestellten Stellungnahme verurteilt die EKR die Diskriminierung der Muslime und fordert ein aktives Eintreten gegen Vorurteile.
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) richtet sich an Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden, Sozialpartner, Lehrkräfte und Medien. Ziel müsse ein Zusammenleben mit den Muslimen im Sinne der aktuellen Jugendkampagne des Europarates «Alle anders – alle gleich» sein.
Der Bericht befasse sich mit den Beziehungen der Mehrheitsgesellschaft zur muslimischen Minderheit, sagte EKR-Präsident Georg Kreis. Er richte sich nicht an die Muslime, die einem Grundmisstrauen ausgesetzt seien, das zu Diskriminierungen und Diffamierungen führe.
Die Zahl der heute in der Schweiz lebenden Muslime hat sich seit 1970 auf 340’000 verzwanzigfacht. Nahezu 12% sind Schweizerbürger. Nur 10 bis 15% praktizieren ihren Glauben.
Für die grosse Mehrheit ist die Religion nicht in den Alltag eingebettet, für die Jungen ist sie eher eine Familientradition.
Trotzdem werden die Muslime vor allem über ihre Religionszugehörigkeit definiert, stellt die ERK fest. In der öffentlichen Debatte bestehe die Tendenz, Muslime kollektiv zu Sündenböcken für das Weltgeschehen verantwortlich zu machen und unter einen «terroristischen Generalverdacht» zu stellen.
Aufruf zum Dialog
Der politische Diskurs über Muslime sei deshalb von Stereotypen und Vorurteilen geprägt. Er sei bis vor kurzem über und nicht mit den Muslimen geführt worden. Nötig sei ein interreligiöser und interkultureller Dialog, wie ihn der Karikaturenstreit ausgelöst habe, an dem sich auch die Muslime beteiligt hätten.
Die ERK stellt im Alltag direkte oder indirekte Diskriminierungen fest, wenn Baugesuche für Minarette abgelehnt werden, obwohl die Zonenordnung diese zuliesse, oder wenn ein schickliches Begräbnis auf dem öffentlichen Friedhof nur den Angehörigen der Mehrheitsreligion ermöglicht wird.
Als Diskriminierungen sei auch zu werten, wenn bei Anstellungen und Kündigungen, bei Einbürgerungsfragen, im sozialen Leben die Religionszugehörigkeit eine Rolle spiele, auch wenn sie keinerlei sachliche Bedeutung habe. Wegen des Kopftuches verlören Frauen ihre Stelle oder würden gar nicht erst angestellt.
Appell an die Behörden
Die ERK appelliert an die Behörden, die Glaubensfreiheit und das Diskriminierungsverbot der Verfassung und die internationalen Menschenrechtskonventionen einzuhalten.
Diskriminierungen müsse aktiver entgegengetreten werden. Der Kampf gegen Terrorismus dürfe nicht zur Gleichsetzung der Muslime mit Terroristen führen.
Bau- und Zonenordnungen sollen flexibler ausgelegt werden, um die Errichtung von religiösen Zentren und Kultusgebäuden zu ermöglichen. Die Friedhofsordnungen sollen so geändert werden, dass eine Bestattung nach muslimischem Ritus auf den öffentlichen Friedhöfen sichergestellt ist.
Alle Religionen gleich behandeln
Die ERK plädiert weiter dafür, dass an den Hochschulen zusätzliche Lehrstühle für Islamwissenschaft eingerichtet werden. Der Unterricht soll an die gemischtreligiöse Realität angepasst werden.
Bei der Erteilung von Dispensen und in der Umsetzung von Feiertagsregelungen seien alle Religionen gleich zu behandeln.
swissinfo und Agenturen
Zu Beginn der 90er-Jahre musste die Schweiz ihr Strafgesetz revidieren, um sich der Internationalen Konvention zur Eliminierung aller Formen von Rassendiskriminierung anschliessen zu können.
1994 wurde das von der Opposition lancierte Referendum von 55% der Stimmenden verworfen.
Seit 1995 verbietet das Strafgesetz die Diskriminierung und Antastung der Würde einer Person oder Gruppe aufgrund von Rasse, Herkunft oder Religion und bestraft die Leugnung des Holocaust.
Ein Verstoss gegen diesen Artikel wird von Amtes wegen von den Justizbehörden verfolgt.
Ein neues revidiertes Gesetz ist in Vorbereitung. Sie hat den Hooliganismus und den Aufruf zur Gewalt im Visier.
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) wurde 1995 geschaffen.
Sie drückt das Engagement der Regierung (Bundesrat) für einen Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus aus.
Ihre Aufgabe ist es, jede Form von direkter oder indirekter rassenbedingter Diskriminierung zu bekämpfen. Grossen Wert legt sie auf die Prävention.
Daneben fördert die EKR ein besseres Einvernehmen zwischen Personen unterschiedlicher Rasse, Farbe, Herkunft oder Religion.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch