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Österreichs Bundespräsident in der Schweiz

Die beiden kennen sich schon: Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer und sein Schweizer Kollege Moritz Leuenberger in der Wiener Hofburg Januar 2006 Keystone

Die Schweiz kennt und schätzt er: der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer, der auf Staatsvisite weilt.

Im Gespräch mit swissinfo rühmt er die engen Verflechtungen zwischen den beiden Staaten und gibt seiner Bewunderung Ausdruck für die pluralistische Schweiz, die sich durch eine eindrucksvolle Stabilität auszeichne.

swissinfo: Wie gut kennen Sie die Schweiz und welches sind Ihre Beziehungen zum kleinen Nachbarn?

Heinz Fischer: Ich kenne die Schweiz sehr gut. Ich habe sie als Tourist besucht, als Bergsteiger und Skifahrer, aber auch als Parlamentarier. Mein Bild von der Schweiz ist ein sehr dichtes und gutes, das viele Jahrzehnte zurückreicht.

swissinfo: Im Gegensatz zur Schweiz ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Hat sich der Beitritt gelohnt oder gibt es auch Nachteile?

H.F.: In dieser Frage gehen die Meinungen in der Bevölkerung auseinander. Meiner Meinung nach hat sich der EU-Beitritt für Österreich eindeutig gelohnt.

Ich betrachte diese Mitgliedschaft nicht nur unter dem etwas egoistischen Gesichtspunkt ‹was bringt es uns und was kostet es uns›. Für mich ist das europäische Projekt ein Friedensprojekt.

Man hat aus den Katastrophen der beiden Weltkriege gelernt, dass Europa zusammenarbeiten muss und Konflikte in Europa niemals wieder militärisch ausgetragen werden dürfen.

Und dieser Sehnsucht und diesem Wunsch kommt die Europäische Union entgegen, weil innerhalb der EU Krieg unmöglich gemacht wird.

swissinfo: Die Schweiz gehört nicht zur EU. Wie wird sie in Ihrem Land wahrgenommen: als Insel? Als Rosinenpicker-Land? Als Aussenseiter-Nation?

H.F.: Von Aussenseiter-Nation kann keine Rede sein. Die Schweiz pflegt ja beste Kontakte zur EU, und die wichtigsten Nachbarländer der Schweiz gehören zur EU.

Ich werde mich natürlich hüten, irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Ich glaube, dass die Schweiz in wachsendem Mass die Zusammenarbeit mit der EU ausbaut und intensiviert, aber wie sie sich letzten Endes zum Thema Mitgliedschaft verhält, das entscheiden gerade in der Schweiz mit ihrer basisdemokratischen Struktur ausschliesslich die Schweizerinnen und Schweizer.

swissinfo: Für Sie gehört die Schweiz also trotzdem zu Europa?

H.F.: Die Schweiz ist in der Mitte Europas. Es gibt wenige Staaten, die so europäisch pluralistisch sind wie die Schweiz. Dieses enge Zusammenleben verschiedener Kulturen und Sprachen in einem Staat, der sich durch eindrucksvolle Stabilität auszeichnet, macht den besonderen Charme der Schweiz aus.

swissinfo: In der Schweiz ist zur Zeit eine Neutralitätsdebatte im Gang. Österreich hat vor 5 Jahren seine «immerwährende Neutralität» ersetzt durch eine «Allinanzfreiheit». Hat sich das bewährt?

H.F.: Unser Neutralitäts-Verfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 ist nach wie vor in Kraft. Österreich ist noch immer ein Staat, der sich dem Prinzip der Neutralität verpflichtet fühlt. Bemühungen allenfalls eine Nato-Mitgliedschaft in Erwägung zu ziehen, sind heute gegenstandslos.

Alle wichtigen politischen Parteien bekennen sich zur Neutralität. Die EU-Mitgliedschaft hat aber dazu geführt, dass andere Pflichten, wie Solidaritäts-Pflichten, hinzukamen.

Der entscheidende Punkt für mich ist, dass niemand Österreich verpflichten kann, an militärischen Aktionen im Rahmen der EU teilzunehmen.

Unsere Entscheidung wird von der Verfassung dominiert und von dem, was unsere politische Intention ist, nämlich an Friedensaktionen der UNO teilzunehmen – aber das alles mit Augenmass, mit Behutsamkeit.

swissinfo: Die Fussball-Europameisterschaft O8 wird von Österreich und der Schweiz gemeinsam organisiert. Ein Dream-Team?

H.F.: Dass die Schweiz und Österreich das gemeinsam machen, hat schon sehr viel Charme. Wir verdoppeln damit unsere Kapazitäten, unser Know-how, unsere Organisationskraft. Es ist gut, wenn die Talente der Schweizer und jene der Österreicher gebündelt werden.

Ich kann mir vorstellen, dass dieses Vorgehen zum Modell für die Zukunft werden könnte.

swissinfo: Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen den beiden Staaten, mal abgesehen von der Bergidylle und der Volksmusik?

H.F.: Man könnte viele Parallelen, aber auch viele unterschiedliche Entwicklungen heraussuchen. Die Schweiz und Österreich sind durch die Geschichte der letzten Jahrhunderte von ähnlichen kulturellen Entwicklungen geprägt und haben – teilweise zumindest – die gleiche Sprache.

Es gibt aber auch Verschiedenheiten, und das ist der Reiz. Daraus ergibt sich vielleicht sogar ein fruchtbares Spannungsverhältnis – mit der Betonung auf fruchtbar.

swissinfo: Die Österreicher haben bei uns den Ruf, freundlicher als die Schweizer zu sein. Stimmt das?

H.F.: Ich tu mich ein bisschen schwer mit Pauschalurteilen. Es gibt auch grantige und unfreundliche Österreicher und sehr charmante und freundliche Schweizer.

Vielleicht ist man ein guter Beobachter, wenn man sagt, die Österreicher könnten ganz besonders charmant sein und die Schweizer ganz besonders tüchtig und fleissig.

Ich bin mit der Verteilung der Talente zwischen Schweizern und Österreichern eigentlich sehr zufrieden. Da ist mit grosser Gerechtigkeit vorgegangen worden.

swissinfo: Zirkulieren in Österreich Witze über die Schweizer wie es bei uns Österreicher-Witze gibt?

H.F.: Österreicher-Witze könnte ich Ihnen auf Anhieb 20 erzählen, Schweizer-Witze fallen mir im Moment keine ein. Aber es muss welche geben, denn es gibt kein einziges Land, über das es nicht auch Witze gibt.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

Österreich hat 8,2 Mio. Einwohner und ist doppelt so gross wie die Schweiz.
Seit 1995 ist Österreich Mitglied der Europäischen Union.
Beide Länder sind politisch neutral.
Beide praktizieren das Bankgeheimnis.
Das Handelsvolumen betrug 2005 nahezu 12 Mrd. Franken.

Heinz Fischer wurde am 9. Oktober 1938 in Graz geboren.

Er studierte in Wien Rechts- und Staatswissenschaften.

Seit den 1960er-Jahren übte Fischer in der sozialistischen SPÖ verschiedene Ämter aus: Er war Parlamentsabgeordneter, Fraktions-Vorsitzender, stellvertretender Parteichef, Wissenschaftsminister, Nationalratspräsident.

Seit dem 8. Juli 2004 ist er Bundespräsident der Republik Österreich.

Die Schweiz lädt in der Regel einmal pro Jahr ein ausländisches Staatsoberhaupt zu einem Staatsbesuch ein. 2006 ist es der Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer, der am 7. und 8. September 2006 die Schweiz besucht.

Bei den Gesprächen zwischen dem österreichischen Staatsoberhaupt und der Schweizer Regierung geht es um eine Vertiefung der Beziehungen, um Europa-Fragen, Fussball-EM 08, aber auch um wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit.

Geplant ist auch ein Ausflug in den Südschweizer Kanton Tessin.

Der letzte österreichische Staatsbesuch fand 1992 statt.

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