Provinzposse: Sessel- oder Gondelbahn?
Der Zwist um den Erhalt der Weissenstein-Sesselbahn oder den Neubau einer Gondelbahn hat in Solothurn unversöhnliche Fronten geschaffen. Resultat: Seit bald zwei Jahren gibt es gar keine Bahn mehr.
Eigentlich geht es «nur» um einen Sessellift, aus dem eine Godnelbahn werden soll. Aber in der Barockstadt Solothurn brodelt es deswegen. Die auf ihren Hausberg sehr stolzen Solothurner können seit bald zwei Jahren nicht mehr mit der alten, beliebten Zweiersesselbahn auf den Weissenstein fahren. Sie war die letzte Sesselbahn dieses Typs in der Schweiz und gilt als Technikdenkmal von nationaler Bedeutung.
Die hartgesottenen Solothurner bestiegen ihre «Sesseli» bei jeder Witterung. Gegen Wind und Wetter schützten sie sich mit alten Armeedecken und –blachen.
Ist man oben angelangt, derzeit eben nur via Teilzeitbuslinie, mit dem Privatwagen oder auf Schusters Rappen, wird man bei klarem Wetter mit einem Alpenpanorama beglückt, das von den Glarner bis zu den französischen Alpen reicht.
Harte Bandagen
Der Streit um die alten Sesseli oder eine neue Gondelbahn wird mit harten Bandagen ausgetragen. Beide Parteien, sowohl die Seilbahn Weissenstein AG und der Verein Pro Sesseli, haben Gutachten eingereicht, die dem Bundesamt für Verkehr, das noch diesen Sommer entscheiden soll, klar aufzeigen sollen, weshalb die neue Bahn nicht gebaut oder die alte Bahn unbedingt abgebaut werden müsse.
Die Sesselbahn Weissenstein AG ist eine private Aktiengesellschaft, die rund 12 Mio. Franken in eine neue Seilbahn investieren wolle, wie der Vizepräsident des Verwaltungsrates, Rudolf Studer, gegenüber swissinfo.ch erklärt. Wenn die Bewilligung an neue Sicherheitsauflagen oder andere Vorgaben geknüpft sei, könne es natürlich schon teurer werden, so Studer.
Dieser Betrag sei viel zu tief angesetzt, moniert Heinz Rudolf von Rohr von Pro Sesseli. Die AG hätte inzwischen bereits selbst zugegeben, dass die neue Bahn 15 Mio. oder mehr kosten könnte. Das Risiko trage allein die Aktiengesellschaft, entgegnet Seilbahn-Weissenstein-Vize Studer.
Dieses Argument greift Pro Sesseli-Aktivist Heinz Rudolf von Rohr zu kurz: «Wir haben beim Regierungsrat dieses Problem angetippt und gefragt, was würde geschehen, wenn die Bahn in finanzielle Schwierigkeiten geriete? Nach einigem Zögern kam die Antwort, dann müsse halt die öffentliche Hand dafür aufkommen.»
Es könne doch nicht sein, «dass wir dann mit unseren Steuern die private Seilbahn retten müssen», regt sich Rudolf von Rohr auf.
Aussagen gegen Aussagen
Am Anfang des Verfahrens hatte die Seilbahn Weissenstein AG argumentiert, der Neubau rentiere nur, wenn auf dem Ausflugberg eine Sommerrodelbahn und eine Tubing-Anlage errichtet würden. Nur damit liessen sich die nötigen Besucherzahlen erzielen. Die Kapazität der geplanten Gondelbahn ist doppelt so gross wie jene der Sesselbahn.
Weil der Weissenstein im Bundesinventar der Denkmäler und Naturlandschaften nationaler Bedeutung stehe, werde eine Bewilligung für solche Freizeitanlagen wohl nie erteilt werden, vermutet Rudolf von Rohr.
Tatsächlich spricht auch die Gondelbahn-Gesellschaft nicht mehr von diesen «Attraktivitäten». Studer sagt jedoch gegenüber swissinfo.ch: «Wir mussten sie zurückstellen, damit die Sache vorwärtsgehen kann. Aber gestorben ist das Projekt damit nicht. Man muss dann halt ein neues Verfahren aufrollen.»
Man habe auch andere Varianten geprüft, sagt Studer, «aber dazu sagen wir nichts mehr. Alles wird einem falsch ausgelegt. Wir wollen einfach diese Bewilligung».
Vorwürfe und Gegenvorwürfe
«Alle wollen uns sagen, was wir machen sollen», nervt sich Rudolf Studer weiter. «Aber die sollen selbst mal was in die Finger nehmen! Die machen nämlich nichts, Null! Stellen Sie doch denen mal die Frage, was sie mit dieser Bahn anfangen wollen. Die haben keine Betriebsbewilligung, keinen Betreiber, kein Geld. Die haben nichts. Wir haben noch nie ein Übernahmeangebot erhalten!»
Die Pro Sesseli-Antwort: «Es gab mehrere Schreiben an die Seilbahn AG – ohne Kaufofferte. Unser Verein möchte schon lange einen Experten auf die Bahnanlage schicken, der die Instandstellungskosten ermittelt. Weil uns dies bisher verweigert wurde, konnten wir auch keine konkrete Kaufofferte machen.»
Der Verein steht jedoch nicht mittellos da. Hansjörg Wyss, der ehemalige Besitzer des Orthopädie-Konzerns Synthes, hat einen «bestimmten» Millionenbetrag zugesagt. «Für uns ist klar, mit Unterstützung von Herrn Wyss könnte die Sesselbahn gerettet werden», so Rudolf von Rohr. Man sei sich jedoch bewusst, dass weitere Mittel aufgetrieben werden müssten.
Fehlende Transparenz?
Ein Dorn im Auge der Gondelbahn-Gegner ist auch die Anonymität der Aktionäre der Seilbahn AG. «Wir erwarten von einer im öffentlichen Raum operierenden Aktiengesellschaft, dass sie offenlegt, wer bei ihr das Sagen hat. Von den 12 Millionen Aktienkapital ist eine Million gezeichnet von Gemeinden, der öffentlichen Hand», sagt Pro-Sesseli-Vertreter Rudolf von Rohr.
Laut Rudolf Studer gehen die Besitzverhältnisse niemanden etwas an. Man sei eine private Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien. «Wir müssen niemandem sagen, wer bei uns Aktionär ist.»
Die Seilbahngesellschaft hatte am Anfang aber Namenaktien ausgegeben und erst nachträglich eine Umwandlung in Inhaberaktien vorgenommen. Dies ermöglichte die Anonymisierung der Besitzverhältnisse. Rudolf von Rohr fragt, ob es gut sei, wenn die Stadt Solothurn Aktienanteile von 400’000 Franken zeichne und nicht wisse, wer in dieser Firma eigentlich das Sagen habe?
Erschüttertes Vertrauen in die Politik
Von der Politik fühlt sich Pro-Sesseli-Vertreter Heinz Rudolf von Rohr im Stich gelassen. Seiner Ansicht nach hat sich der Kanton ganz klar auf die Seite der Seilbahn gestellt, da zwei Mitglieder des Regierungsrates im Patronatskomitee der Seilbahngesellschaft sitzen. Damit hätten sie ganz klar Partei ergriffen für das Projekt, das sie als Regierungsrat am Ende eigentlich beurteilen sollten.
«Wenn ich in Ländern Zentralasiens oder Osteuropas für Monate als Experte für Demokratiefragen eingesetzt werde, nach Hause komme und sehe, was hier eigentlich gespielt wird, muss ich sagen, dass Solothurn ein miserables Lehrstück für Demokratieverständnis aufführt», sagt Rudolf von Rohr. Und genau deshalb engagiere er sich bei Pro Sesseli.
Die Sesselbahn Oberdorf–Weissenstein führt in zwei Sektionen auf den Solothurner Hausberg auf eine Höhe von 1280 Metern.
Der Betrieb der 1950 nach einem System der Firma von Roll errichteten Sesselbahn wurde am 2. November 2009 abgestellt. Sie war die letzte Sesselbahn dieses Typs in der Schweiz und gilt als Technikdenkmal von nationaler Bedeutung.
Die Betreiberin, die Seilbahn Weissenstein, wollte die 2009 ablaufende Konzession nicht mehr verlängern. Ihrer Ansicht nach wären dazu zu grosse Investitionen nötig gewesen.
Zudem wollte sie Freizeitanlagen wie eine Sommerrodelbahn und eine Tubing-Anlage auf dem Berg installieren. Dies ist momentan nicht möglich, der Weissenstein befindet sich in einer Landschafts-Schutzzone. Die Pläne wurden zurückgestellt, aber nicht aufgegeben.
Dagegen möchte der Verein Pro Sesseli die alte Bahn erhalten. Er würde gerne die alte Anlage übernehmen und nach einer Gesamtrevision weiterbetreiben. Die Seilbahn Weissenstein AG denkt nicht daran, zu verkaufen, sie besteht auf der Errichtung einer modernen 6er-Gondelbahn.
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