Schengen als Zankapfel für Datenschützer
Die Abkommen von Schengen und Dublin basieren auf zwei gigantischen Datenbanken. Dies weckt Ängste vor einem unzureichenden Datenschutz.
Der Datenschutzbeauftragte glaubt zwar, dass die Abkommen ausreichende Garantien geben, doch aus dem linken politischen Lager kommen kritische Stimmen.
Als im Herbst 1989 die Berliner Mauer fiel, wurde auch die Schweiz mit der Geschichte des Kalten Krieges konfrontiert. Bei einer Untersuchung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) tauchten 900’000 Fichen der Bundespolizei auf, auf denen Personen und Organisationen erfasst waren, die angeblich die innere Sicherheit der Schweiz bedrohten. Kaum waren die Fichen entdeckt, erhob sich ein Chor an Protesten.
Inzwischen hat sich das Blatt wieder gewendet. Phänomene wie Organisierte Kriminalität und Terrorismus haben der inneren Sicherheit wieder oberste Priorität gegeben. Einem rigiden Datenschutz steht heute der Wille nach einer effektiven Bekämpfung der Kriminalität im Weg.
In einigen Kreisen der politischen Linken weckt der anstehende Beitritt der Schweiz zu internationalen Sicherheitsabkommen gleichwohl alte Ängste vor einem «Schnüffelstaat». Besonders kritisch sieht man den Beitritt zum Abkommen Schengen/Dublin, über den am 5.Juni abgestimmt wird.
Das Herzstück von Schengen/Dublin sind zwei gigantische Datenbanken zur Erhöhung der inneren Sicherheit.
Schengener Informationssystem und Eurodac
Beim Schengener Informationssystem (SIS) handelt es sich um eine Datenbank, die von den Mitgliedstaaten gemanagt wird. Enthalten sind Personendaten (vor allem über Asylbewerber, aber auch über verschwundene oder anderweitig gesuchte Personen) sowie Objektdaten, beispielsweise zu gestohlenen Autos, Dokumenten, Kunstgegenständen oder Banknoten.
Die Daten werden von den national zuständigen Stellen ins SIS eingespeist. In der Schweiz wäre das Bundesamt für Polizei zuständig. Bei den Personendaten sind Alter, Nationalität, Geschlecht, Grund des Eintrags und die allfällige Gefährlichkeit vermerkt.
Zur Zeit sind im SIS über 11 Millionen Datensätze vorhanden. Die personenbezogenen Einträge übersteigen eine Million, davon betreffen 800’000 Ausweisungen oder Eintrittsverbote für den Schengen-Raum. 15’000 Personen werden wegen Straftaten gesucht.
Im Jahr 2003 hat der Aufbau der Datenbank Eurodac begonnen, in der sämtliche digitale Fingerabdrücke von Personen von mehr als 14 Jahren erfasst sind, die in einem Mitgliedsstaat des Dubliner Abkommens einen Asylantrag gestellt haben. Mit dieser Datenbank verfolgt man das Ziel, dass ein abgewiesener Asylbewerber nicht in einem anderen Staat nochmals ein Aufnahmegesuch stellen kann.
Heikler Datenschutz
Das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen enthält eine Reihe von Garantien zum Datenschutz (Artikel 102-118). Demnach müssen die Personendaten drei Jahre nach Einspeisung ins SIS überprüft werden.
Für registrierte Personen existiert das Recht, den Eintrag anzuschauen und allenfalls Falschinformationen zu korrigieren. Das Übereinkommen sieht zudem nationale und internationale Kontrollinstanzen vor. Wenn Fehlinformationen nachweislich den erfassten Personen Nachteile bringen, haben diese Anrecht auf Entschädigung.
Garantien für ausreichenden Datenschutz
Für den Schweizer Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür gibt das Schengen-Abkommen ausreichende Garantien für einen effizienten Datenschutz. «Unsere eigenen Gesetzgebung wird dadurch konsolidiert», erklärte Thür gegenüber der welschen Tageszeitung «Le Temps». Das Abkommen beinhalte zudem rigide Vorschriften für den Informationsaustausch.
Die Erklärungen Thürs reichen der an einer Annäherung an Europa interessierten Linken aus, die Bedenken in Bezug auf den Datenschutz wegzuwischen. «Schengen ist kein Abkommen zur Überwachung der europäischen Bevölkerung, sondern für die Kriminalitätsbekämpfung», betonte SPS-Präsident Hans-Jürg Fehr in der linken «Wochenzeitung».
Linke Abweichler
Auch auf der Linken gibt es sehr skeptisches Stimmen. Zwar hat man darauf verzichtet, wie die antieuropäische Rechte ein Referendum gegen die Abkommen von Schengen und Dublin zu ergreifen, doch die Probleme werden öffentlich angeprangert.
«Thür betrachtet einzig die gesetzlichen Garantien im Abkommen von Schengen», meint Heiner Busch von der Menschenrechts-Organisation «Solidarität ohne Grenzen». Im Alltag sei es dann aber sehr schwierig, wirklich Zugang zu den eigenen Daten zu haben. Zumal jedes Land eine eigene Praxis verfolge.
Äusserst schwierig ist es laut Busch, die Korrektur eines bereits erfolgten Dateneintrags zu erreichen. «Ohne Anwalt ist dies praktisch unmöglich», meint er.
Skeptisch ist Busch auch in Bezug auf Eurodac, selbst wenn diese Datenbank keine Namen enthält: «Man kann sich fragen, ob alle Asylbewerber über 14 Jahren zentral erfasst werden müssen, nur um einen zweiten Asylantrag zu vermeiden».
swissinfo, Andrea Tognina
(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Das Schengener Informationssystem (SIS) wird heute von 15 Mitgliedsstaaten genutzt. Es hat seine Kapazitätsgrenzen praktisch erreicht.
2001 begann in Hinblick auf die EU-Erweiterung die Arbeit am System der zweiten Generation (SIS II). Dieses soll 2007 funktionstüchtig sein und die Schweiz muss sich im Falle eines Beitritts zum Schengen-Abkommen bis zu diesem Jahr gedulden.
Die neue SIS-Version beinhaltet nicht nur eine technische Verbesserungen. Diskutiert wird auch über eine Ausweitung der zu erfassenden Personenkategorien, insbesondere auf Gewalttäter, denen der Einlass zu sportlichen oder politischen Veranstaltungen verwehrt wurde.
Zudem soll die Datenbank allenfalls um biometrische Daten erweitert werden.
Das Schengener Informationssystem (SIS) enthält mehr als eine Million Einträge zu Personen.
800’000 Einträge betreffen Personen, die nicht in den Schengen-Raum einreisen dürfen.
15’000 Personen werden wegen Strafdelikten gesucht.
Im Jahr 2003 ist das System Eurodac funktionsfähig.
Eurodac registriert die digitalen Fingerabdrücke von Asylbewerbern über 14 Jahren.
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