Singer untermauert Kritik an Schweiz
Die neutrale Schweiz sei nicht mit den Tätern des Zweiten Weltkrieges gleichzusetzen, trage aber eine Verantwortung, sagte Israel Singer in einem Interview.
Die Schweiz habe womöglich keine andere Wahl gehabt, räumte er in der jüngsten Ausgabe der «NZZ am Sonntag» ein.
Die neutrale Schweiz sei nicht mit den Tätern und Kollaborateuren des Zweiten Weltkrieges gleichzusetzen, sagte Singer in einem Interview in der jüngsten Ausgabe der «NZZ am Sonntag». Singer ist Vorsitzender des World Jewish Congress (WJC).
Aber auch die Schweiz habe eine Verantwortung und dürfe sich nicht auf ein einseitiges Selbstbild stützen. Sie müsse ihre historische Lektion noch lernen.
Die Neutralität sei für die Schweiz vielleicht die einzige Möglichkeit gewesen, unversehrt zu bleiben, räumte Singer zwar ein, «aber das Resultat ihrer Entscheidung sollte unter allen Aspekten erklärt werden».
«Es ist nicht so, dass alle Schweizer tapfer und mit einer Waffe in der Hand an der Grenze standen und aufpassten, dass die Nazis nicht hereinkommen konnten», so der WJC-Vorsitzende weiter.
Provokation
Seine Aussage, die schweizerische Neutralität sei angesichts des Bösen ein Verbrechen gewesen, sei vielleicht etwas provozierend gewesen. Aber die Schweizer Flüchtlingspolitik habe beim scheusslichsten Nazi-Verbrechen – dem Holocaust – mitgeholfen.
«Wenn die Erkenntnisse der Geschichtsforschung in der Schweiz schon ins Bewusstsein der Leute durchgesickert wäre, hätte es keine Empörung gegeben», sagte Singer. Er forderte die Schweiz auf, «keine Phantasien über die eigene Rolle» im Zweiten Weltkrieg zu pflegen.
«Entgleisung»
An der Berliner Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtslagers Auschwitz-Birkenau im Januar hatte Singer die Schweizer Neutralität im Zweiten Weltkrieg «angesichts des Bösen» als «Verbrechen» bezeichnet. Seine Äusserungen hatten in der Schweiz empörte Reaktionen ausgelöst.
Der Historiker Jean-François Bergier, Präsident der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, bezeichnete Singers Angriff als «Entgleisung».
Seine Äusserungen beruhten auf den Erkenntnissen der Bergier-Kommission, versicherte Singer nun.
Enge Verflechtungen
Im so genannten Bergier-Bericht hatten Historiker unter der Leitung Bergiers die Zusammenhänge der Schweizer Politik und Wirtschaft mit der Hitler-Diktatur untersucht.
Sie waren darin zum Schluss gekommen, dass Politik und Wirtschaft der Schweiz in manchen Bereichen sehr eng mit Nazi-Deutschland kooperierten und sich so an den Folgen des Holocaust mitschuldig machten.
Dies etwa, als Schweizer Behörden jüdische Flüchtlinge an der Grenze zurückwiesen im Wissen, dass dies für die Abgewiesenen den Weg zum Tod in den Vernichtungslagern bedeutete.
Keine «undurchsichtigen Transaktionen»
Bezüglich des umstrittenen Kontos des jüdischen Weltkongresses (WJC) in Genf sagte Singer, er hoffe, die Angelegenheit werde bald auch für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) abgeschlossen sein.
Es gebe keine «undurchsichtigen» Transaktionen, wie auch eine Prüfung durch PricewaterhouseCoopers ergeben habe. «Das Geld gehört dem WJC, und es war immer unter der Kontrolle des Weltkongresses», sagte Singer.
swissinfo und Agenturen
An der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 25. Januar in Berlin richtete der WJC-Vorsitzende Israel Singer erneut schwere Vorwürfe gegen die Schweiz.
Die Schweizer Neutralität im Zweiten Weltkrieg sei «angesichts des Bösen» ein «Verbrechen» gewesen, so Singer.
Seine Äusserungen hatten in der Schweiz empörte Reaktionen ausgelöst.
Der Historiker Jean-François Bergier, Präsident der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, bezeichnete Singers Angriff als «Entgleisung».
In einem Zeitungs-Interview schwächte Singer nun seine harten Worte ab.
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