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Sissis letzter Genfer Spaziergang

Elisabeth von Österreich-Ungarn ("Sissi"), die beliebteste Prinzessin der Geschichte. www.cronologia.it

Die vielreisende Elisabeth von Österreich-Ungarn, "Sissi" genannt, hielt sich öfters in den Luxushotels rund um den Genfersee auf.

An einem Spätsommertag in Genf, an der Seepromenade vor dem Beau Rivage, wurde die Kaiserin aus Wien Opfer eines italienischen Anarchisten.

Samstag, 10. September 1898, gegenüber dem Hotel Beau-Rivage. Ein Rabe überfliegt das Haupt von Elisabeth von Österreich-Ungarn, die mit einer Freundin auf einer Bank an der Genfer Seepromenade sitzt.

Die Miene der Kaiserin verdüstert sich, sie denkt an ein Unglücks-Vorzeichen.

Von weitem beobachtet ein Mann die Dame mit dem Schirm. Kaum haben sich die beiden Freundinnen erhoben und in Richtung Schiffs-Landungssteg bewegt, nähert er sich, stürzt sich auf Sissi und reisst sie zu Boden.

Zunächst erscheint alles nur wie eine böswillige Anrempelung. Nach dem ersten Schreck begibt sich Sissi auf den Dampfer, der sie nach Montreux zurück bringen soll, wo sie wohnt.

Doch nach wenigen Minuten fühlt sie sich schlecht, sie fällt aufs Deck. Ihr Gesicht ist bleich. Man öffnet ihr das Korsett, um sie wieder zu beleben, als ein Blutfleck zum Vorschein kommt – auf Herzhöhe. Ein herbeigeeilter Arzt kann nur noch den Tod feststellen.

Eine Prinzessin, des Lebens müde

«Schweizer Volk, deine Berge sind wunderschön und deine Uhren pünktlich. Doch wie gefährlich für uns ist deine königsmordende Rache.» Aus diesen wenigen Zeilen, die Elisabeth schon 1880 zu Papier gebracht hatte, zeigt sich ihre Furcht, in einem Land zu leben, das Anarchisten und Revolutionären Zuflucht bot.

Beim Durchblättern ihrer Biografie jedoch fällt auf, dass in den letzten Jahren ihre Furcht vor der anarchistischen Gefahr verflogen schien. Ihres Lebens müde, schien die Kaiserin mit einer gewissen Ungeduld geradezu auf den Tod zu warten.

Das ging so weit, dass sie zuletzt auch auf den Schutz von Leibwächtern verzichtete, trotz den eindringlichen Warnungen der Schweizer Polizei.

1893: Ruhe an den Gestaden des Genfersees

«Angekommen in Territet um 15 Uhr mit dem Zug aus Nizza, in Begleitung von acht Bediensteten und 42 Koffern», ist in Montreux am 20. Februar 1893 amtlich festgehalten.

Aufgerieben von einer Ehekrise, nachdem sie ihren Ehemann, Kaiser Franz-Josef, in den Armen einer Gräfin überraschte, folgt Sissi dem Rat ihres Hofarztes und begibt sich auf Reisen.

So beginnt eine lange Odyssee durch ganz Europa, die Sissi auch kurz durch Zürich, Luzern und Genf führt, bevor sie im Hotel des Alpes in Territet Halt macht.

Leidenschaftlich begeistert von den Wanderungen entlang des Genfersees und den Exkursionen in die Berge, reist Sissi wiederholt an die Waadtländer Riviera zurück.

Laut Evelyne Lüthi Graf, der Gemeinde-Archivarin von Montreux, schätzte die Kaiserin vor allem die Ruhe der Gegend.

Ein hoch verehrter Gast

Verliebt in die Luxushotels entlang des Genfersees, entschied sich Sissi während ihres Besuchs bei der Baroness Rothschild in Genf für das Beau Rivage.

Der Geist der Erinnerung an die österreichische Kaiserin schwebt auch heute noch diskret über den Räumen des Fünfstern-Gebäudes.

«Die Figur der Sissi bleibt immer mit unserem Hotel verknüpft», sagt Charles Buffle, kommerzieller Direktor des Hauses. «Viele Leute kommen, um ihre Suite und das kleine Museum zu ihren Ehren zu besuchen.»

1898: Die letzten Tage einer Touristin

Der letzte Schweizer Aufenthalt der Kaiserin beginnt Ende August 1898. Dieses Mal residiert sie nicht in ihrem geliebten Territet, sondern in Caux, über Montreux. In ihrem Grand-Hotel-Zimmer befindet sie sich weit von den Massen am Seeufer entfernt.

Weder Besuche des Château Chillon und des Dorfes Glion noch Ausflüge nach Bex oder mit dem Boot auf den See genügen jedoch, der Kaiserin ihre innere Unruhe zu nehmen. Jeder weitere Tag bringt Sissi näher an ihr tragisches Ende.

Die letzte Erinnerung an sie verflüchtigt sich während eines Septembertages des Fin de siècle. Merkwürdigerweise erwies ihr Luigi Lucheni, der italienische Anarchist, der sie tötet, damit einen Gefallen.

Er ermöglichte ihr eine Todesart, die sie sich sehnlichst wünschte: plötzlich, schmerzlos, entfernt von ihrer Familie, um sie nicht zu verängstigen und umgeben von der Natur, die sie so liebte.

Um es in ihren Worten auszudrücken: Das Messer von Lucheni erlaubte es Elisabeth, aus ihrem Leben einfach davon zu fliegen wie ein Vogel.

swissinfo, Luigi Jorio
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Elisabeth von Österreich-Ungarn, kurz «Sissi» genannt, kommt am 24. Dezember 1837 in München zur Welt.

Erst 16-jährig vermählt sie sich mit ihrem Cousin, dem österreichischen Kaiser Franz-Josef, und wird zur höchsten Frau der Monarchie.

1867 wird das Wiener Herrscherpaar auch zum Souverän von Ungarn gekrönt. Fortan spricht man vom österreich-ungarischen Kaiserreich.

Am 10. September 1898 wird Sissi am Genfer Seeufer von einem italienischen Anarchisten niedergestochen und tödlich verletzt.

Februar 1893: Elisabeth von Österreich kommt zum ersten Mal nach Territet bei Montreux.
1893–1898: Zahlreiche mehr oder weniger lange Aufenthalte an der Waadtländer Riviera und in Genf.

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