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Spanien, der richtige Weltmeister

Andres Iniesta und Spanien sind die verdienten Weltmeister, so die Schweizer Presse. Keystone

Alle mögen sie dem amtierenden Europameister den ersten WM-Titel gönnen. Doch weder das Finalspiel noch das ganze WM-Turnier sorgten in den Schweizer Medien für Begeisterung.

Tatsächlich, der Blick konnte es nicht lassen: «Viva Espana! Wir sind die Weltmeister-Besieger», weidet sich die Boulevardzeitung noch einmal am – letztlich brotlosen – 1:0-Sieg der Schweiz im Startspiel gegen die Iberer.

Dann erst gilt der Jubel dem neuen Titelhalter: «Fiesta Iniesta! Hollands Treten reichte nicht. Spanien wird erstmals Weltmeister. Danke Andres Iniesta. Olé!»

Doch das Fazit der WM in Südafrika sorgte selbst auf dem Boulevard für viel Nüchternheit. «Was hat sie dem Fussball gebracht? Sportlich leider nicht viel Gutes…» Viele durchschnittliche Spieler hätten plötzlich aufgetrumpft, die Superstars hingegen enttäuscht. «Das zeigt, dass die WM im Jahreszyklus eines Topspielers keine Priorität geniesst», so der Blick.

Nicht anders tönt es vom Rhein. «Die WM in Südafrika bot wenig überragenden Fussball. Aber am Schluss setzte sich das fussballerisch beste Team durch», bilanziert die Basler Zeitung.

Fussballerisches Gesamtkunstwerk

«742 Tage nach dem Euro-Finale das WM-Endspiel. Mit dem selben Sieger», schreibt das Westschweizer Blatt Le Matin. Der WM-Pokal belohne die beste Mannschaft mit dem vollkommensten Spiel. «Die Spieler kultivieren die Kunst, den Ball zu spielen, indem sie ihn streicheln», frohlockt die Zeitung.

Die Westschweizer Zeitung 24heures sah ein enges Finale, geprägt durch hässliche Fouls und vergebene Chancen. «Trotzdem hat diejenige Equipe gewonnen, die den Fussball seit zwei Jahren mit den grössten technischen und kollektiven Qualitäten ehrt.» So gesehen sei der Titel der gerechte Lohn für ein fussballerisches Gesamtkunstwerk.

Holländischer Hiki-Haka-Fussball

Realismus verbreitet auch die Neue Zürcher Zeitung: «Kein Final mit Glanz – Spanien der richtige Sieger.» Die Iberer hätten der Kampfkraft der Niederländer Paroli geboten und mehr Qualität gezeigt.

«Es war wenig Tiki-Taka» – das spanische Hochgeschwindigkeits-Passspiel – , «dafür umso mehr Hiki-Haka», so die NZZ. Nach der Attacke von van Bommel gegen Iniesta und der Kung-Fu-Einlage de Jongs gegen Xabi Alonso hätten sich die Holländer in der ersten Halbzeit nicht über einen Platzverweis beschweren dürfen.

Basis in Barcelona und Madrid

Mit dem ersten WM-Titel habe Spanien einen Fluch besiegt. «Jahrelang hatte man an Endrunden ihr schönes Spiel gelobt, man hatte sie aber dafür gerügt, immer irgendwo steckenzubleiben.»

Die Basis des WM-Erfolgs sieht die NZZ in der Schule des FC Barcelona, die Trainer del Bosque mit Elementen von Real Madrid angereichert habe.

Deutschland Weltmeister der Herzen

«Die heimlichen Weltmeister der Herzen bleibt die deutsche Auswahl, die das Turnier zwar auf dem dritten Platz, aber mit dem unerreichten Torverhältnis von 16:5 abgeschlossen hat», schickt die NZZ ein Kompliment an den nördlichen Nachbarn.

Auch beim Tages-Anzeiger dominieren verhaltene Töne: «Spanien – Champion einer zwiespältigen WM. Sie spielten nicht so, als wären sie wirklich die Besten der Welt. Am Ende aber besiegten sie Holland.» Die 85’000 Zuschauer in Johannesburg hätten kein finalwürdiges Spiel gesehen, «dafür waren die Holländer zu sehr nur auf Zerstörung aus. Den Spaniern war das schliesslich egal.»

WM als Parallelwelt

Lob zollte der Tagi dem Veranstalter. «Südafrika war ein guter Gastgeber, freundlich, entspannt, voller Hingabe. Er verlor sich organisatorisch nicht im Chaos.»

Dennoch verliert die Zeitung die soziale Realität neben den Stadien nicht aus den Augen. «Heute zieht der Weltfussballverband Fifa mit seinem Turnier weiter, nimmt eine Milliarde Dollar an Gewinn mit und lässt ein Land hinter sich, das unverändert zerrissen ist, gezeichnet von den Spuren der Apartheid, gelähmt von offiziell 23 Prozent Arbeitslosigkeit.»

WM als Marketing-Schachzug

«Mission erfüllt», schreibt Le Temps aus Genf. Das WM-Turnier in Afrika sei in erster Linie ein Marketing-Schachzug gewesen. Im Alltag dominierten nach wie vor soziales Gefälle und Stacheldraht. Paradoxerweise habe die afrikanische WM-Premiere weniger Euphorie verursacht als die WM 2006 in Deutschland.

Für die Zeitung La Regione Ticino ist denn auch Fifa-Präsident Sepp Blatter zweiter Sieger der WM. «Seine verrückte Idee, mit der glamourösen WM-Karawane auf die staubigen Strassen Südafrikas zu ziehen, bescherte dem Land ein historisches Privileg, das vielleicht einmalig bleibt», so die Tessiner Zeitung.

Le Matin erklärt ganz Afrika zum Sieger. «Auch wenn die Mannschaften enttäuschten, hat uns der schwarze Kontinent über die Klischees hinaus verführt und einen Respekt verdient, der nicht mit Geld aufgewogen werden kann.»

Renat Künzi, swissinfo.ch

Zum besten Spieler des WM-Turniers in Südafrika wurde der Uruguayer Diego Forlan gewählt. Als Belohnung hierfür erhielt er den «Goldenen Ball». Er tritt in dieser prestigeträchtigen Wertung die Nachfolge des Franzosen Zinédine Zidane an.

Forlan verwies in der von Journalisten vorgenommenen Wahl mit 23,4 Stimmenprozenten Wesley Sneijder («Silberner Ball»/21,8) und David Villa («Bronzener Ball»/16,9) auf die weiteren Plätze. Der Stürmer von Atletico Madrid führte das überraschende Uruguay auf den 4. Rang.

Thomas Müller erhielt als bester Torschütze der WM in Südafrika den «Goldenen Schuh». Der deutsche Mittelfeldspieler von Bayern München erzielte wie Forlan, der Holländer Sneijder und der Spanier Villa fünf Treffer, verbuchte aber mehr Assists (3) als seine Mitstreiter. Müller ist nach Gerd Müller (1970) und Miroslav Klose (2006) der dritte Deutsche, der mit dem «Goldenen Schuh» geehrt wird.

Müller wurde zudem als «Bester junger Spieler» ausgezeichnet. 2006 hatte sich sein Landsmann Lukas Podolski diesen Titel gesichert. Bei dieser Wahl kamen Talente in Frage, die nach dem 31. Dezember 1988 geboren sind. Müllers ärgste Rivalen waren der Ghanaer André Ayew und der Mexikaner Giovani dos Santos

Als bester Torhüter der WM 2010 gilt Weltmeister-Goalie Iker Casillas. Die Spanier standen am Ende auch in der Fairplay-Statistik zuoberst.

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