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Sterbebegleitung statt Suizidbeihilfe

Stille Geste vor dem Tod: Gibt es ein gutes Sterben? Krueper/teamwork

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf will, anders als ihr Vorgänger Christoph Blocher, klare Regeln für die Sterbehilfe. Die Sterbebegleiterein Monika Renz glaubt nicht, dass das Grundproblem der Sterbehilfe so gelöst werden kann.

Bundesrätin Widmer-Schlumpf hat die organisierte Sterbehilfe unter die Lupe genommen. Dem Sterbetourismus soll jetzt ein Riegel geschoben werden.

Sterbewillige Personen sollen nicht mehr sofort in den Tod geführt werden dürfen. Deshalb will die Justizministerin eine «Bedenkzeit» zwischen dem ersten Kontakt eines Sterbewilligen zu einer Suizidorganisation und seinem Tod einführen.

Problem nicht an den Wurzeln gepackt

«Dass bei der Sterbehilfe jetzt etwas geht und man von einer ‹Bedenkzeit› spricht, ist ein positiver Schritt. Aber er geht das Problem nicht bei den Wurzeln an», sagt Monika Renz gegenüber swissinfo. Sie ist Leiterin der Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen.

Wenn die Justizministerin möchte, dass Sterbewillige professionell begleitet und ihnen auch Alternativen zum Freitod aufgezeigt werden, dann seien die Sterbehilfeorganisationen «sicherlich die falschen Leute», erklärt Monika Renz. Auch wenn sie beteuerten, es gehe ihnen um Verminderung von Qualen und Leid, und nicht um Profit.

Für die Sterbebegleiterin liegt das Problem tiefer: Sie sieht einen begrifflichen Unterschied zwischen Sterbebegleitung und Sterbehilfe. «Die Sterbehilfeorganisationen sind Suizidbegleiter. Sterbebegleitung hingegen heisst für mich, den Patienten durch das Leiden hindurch auf einen natürlichen Tod hin zu begleiten.»

Forschungs-Erkenntnisse

Monika Renz betreibt seit Jahren Forschung zur Todesnähe. Im Projekt «Zeugnisse Sterbender» gab es für sie wichtige Erkenntnisse. «Sterbende erleben innerlich etwas anderes, als wir von aussen erahnen.»

Ein Drittel aller Erfassten habe auch im somnolenten Zustand signalisiert, hören zu können. «Mehr als ein Viertel konnte über Tage oder Wochen nicht sterben, weil die Sorge um ein Kind, ein familiäres Tabu oder eine Unversöhntheit im Wege stand. Da ist Sterbebegleitung im Sinn einer Familientherapie bedeutsam. Wenn sich hier etwas veränderte, reagierten die Patienten erleichtert und konnten dann sterben.»

Mehr als die Hälfte aller Erfassten habe eine Art spirituelle Öffnung bekundet, so Renz weiter. «Nach Unruhe kehrte plötzlich Ruhe ein, nach Angst Vertrauen. Jüngst habe sie eine Patientin gehabt, die Blumenwiesen gesehen habe – «wie bei Frau Holle, einfach diese wunderbare Welt. Wir wissen gar nicht, dass hinter diesen Durchgängen etwas Schönes ist».

Spüren und informieren

Für die Sterbebegleiterin ist spüren wichtig: «Muss ich hier bleiben, nachfragen, ist jemand schon weiter weg, braucht es mich gar nicht.»

Kürzlich habe sie eine Patientin begleitet, man habe diskutiert, wie die letzten Wochen oder Monate mit ihr noch zu gestalten wären, erzählt Renz. «Was diese Frau aber wirklich brauchte, war ganz nüchterne Information. Sie hatte Angst vor dem Sterben, und zwar nicht vor dem Danach, sondern vor diesen letzten Durchgängen.»

Sie habe der Patientin ihre Erfahrungen mitgeteilt, von anderen Beispielen erzählt. «Ich habe ihr erklärt, dass sowohl die Medikamente wie auch meine Erfahrungen ihr beim Loslassen helfen werden. Nach zwei Tagen konnte sie sterben.»

Auch Angehörige begleiten

Wichtig sei auch, den Angehörigen zu helfen und ihnen zu sagen, wie sie gewisse Bewegungen des Sterbenden deuten können, wann sie etwas sagen sollen. «Sie sind dann so ergriffen, als ob sie bei einer Geburt dabei wären. Sie sehen, dass der Sterbende reagiert.»

Kindern gibt Monika Renz manchmal ein Musikinstrument zum spielen. «Und sie sehen, dass ihre sterbende Mutter reagiert. Also: ausdeutschen, anleiten, verstehen und spüren.»

Grosse Fragezeichen zu Sterbehilfeorganisationen

Eine Sterbehilfeorganisation sei zu all dem nicht fähig, sagt Renz. «Sie weiss gar nicht, was eigentlich beim Sterben geschieht. Zur Sterbehilfe habe ich grosse Fragezeichen: Geht es hier um Macht statt um das wirklich Wichtige im Sterben?»

Wenn Sterbehilfeorganisationen davon sprechen, sie seien um eine «feierliche Sterbeatmosphäre» bemüht, kann das Monika Renz nicht ernst nehmen. «Da muss die Lüge vom ‹menschenwürdigen Sterben› entlarvt werden. Die Würde ist ein unantastbarer Wert, der auch dem Menschen im Leid zugesprochen werden muss. Und hier haben wir die Möglichkeit, im Leiden zu helfen.»

Auf die Frage, ob man Sterbehilfeorganisationen gesetzlich einschränken oder gar verbieten müsste, antwortet Monika Renz: «Das weiss ich im Moment nicht. Mein Ziel ist: Information und nochmals Information über das, was wirklich beim Sterben geschieht.»

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

Monika Renz: «Zeugnisse Sterbender: Todesnähe als Wandlung und letzte Reifung.» Junfermann-Verlag, Paderborn 2000/2005.

Forschungsarbeiten der Leiterin der Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen unter dem Patronat von Professor Thomas Cerny.

In dem Projekt wurden über 400 Sterbende beobachtet.

Indirekte aktive Euthanasie (aktive Sterbehilfe): Einsatz von Mitteln, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können.

Passive Sterbehilfe: Verzicht auf die Einleitung lebenserhaltender Massnahmen oder Abbruch solcher Massnahmen.

Beide Methoden gelten in der Schweiz als zulässig.

Direkte aktive Sterbehilfe: gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines Menschen.

Diese Methode ist in der Schweiz strafbar.

«Sterbetourismus»: Unheilbare Kranke aus umliegenden Ländern, deren Gesetzgebung restriktiver ist, reisen in die Schweiz, um sich beim Sterben helfen zu lassen.

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