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Sterbehilfe darf kein Tabu mehr sein

Die SAMW macht eine deutliche Trennung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Keystone Archive

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat ihre Richtlinien betreffend Sterbehilfe überarbeitet.

Die «Medikalisierung des Sterbens» soll vermieden werden. Klare Richtlinien gibt es bei der Beihilfe zum Suizid. Aktive Sterbehilfe dagegen bleibt tabu.

Ein Arzt soll im Einzelfall einem sterbenden Patienten Beihilfe zum Suizid leisten können. Dies schlägt die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) vor. Bisher war die Akademie gegen eine derartige Sterbehilfe.

Eine Kommission aus Medizinern, medizinischem Personal, Ethik-Experten und Juristen hat die medizinisch-ethischen Regeln der SAMW überarbeitet und sie in der Schweizerischen Ärztezeitung zur Vernehmlassung veröffentlicht.

Frei und ohne Druck von aussen

Umstände und die Respektierung des Patientenwillens können einen Arzt zur Beihilfe zum Suizid veranlassen, halten die neuen Richtlinien fest. Dies aber nur, wenn alternative Behandlungsmöglichkeiten erörtert wurden und ausgeschöpft seien.

Zudem müsse der Wunsch des Patienten frei und ohne Druck von aussen zustande gekommen sein. Schwer Kranke mit ungünstigen Prognosen, die möglicherweise noch Jahre zu leben haben, gehören ausdrücklich nicht in diese Kategorie.

Beihilfe zum Suizid konnten Patienten bisher nur durch die Sterbehilfeorganisationen «Exit» und «Dignitas» erhalten. Die Sterbehilfeorganisationen begleiten zum Teil auch psychisch Kranke in den Tod oder Menschen, die noch Jahre weiterleben könnten.

«Die Position der Akademie hält den Wert des menschlichen Lebens hoch und berücksichtigt die Verantwortung des Einzelnen», sagt Dick Marty, Ständerat und Mitglied der Sozialkommission des Europarates. Er wird im April in Strassburg einen Bericht zum Thema Euthanasie präsentieren.

«Man will die Euthanasie nicht fördern», fährt Marty weiter fort. «Der Wille des Patienten soll aber besser respektiert werden, unter der Bedingung, dass dieser Wille klar und frei ausgedrückt wird».

Keine «Todesexperten»

Die Akademie lehnt jedoch «unverrückbar» jede Art von aktiver Sterbehilfe ab. Zudem tritt sie Tendenzen zu einer «Medikalisierung des Sterbens» entgegen. Die Ärzteschaft lehne es ab, von der Gesellschaft die Rolle als Experten für einen schnellen und selbst herbeigeführten Tod zugeschoben zu bekommen.

Die SAMV erklärt, dass die Diskussion über die Sterbehilfe in Europa und in der Schweiz eine neue Dynamik erhalten habe. Aus diesem Grund seien die bisherigen Richtlinien überprüft worden. Nicht abgerückt wurde vom Hauptziel der ärztlichen Betreuung: Bei sterbenden Patienten bleibt die Linderung von Leiden und die Erhaltung der bestmöglichen Lebensqualität.

Tabu-Thema Euthanasie

Ständerat Dick Marty, hat kürzlich vergeblich versucht, im Europaparlament eine Euthanasie-Debatte zu initiieren. Auf den entsprechenden Bericht seiner Sozial -Kommission wurde zum wiederholten Mal nicht eingetreten. Die Debatte wurde verschoben.

Das Thema Sterbehilfe rüttelt an einem grossen Tabu. Laut Marty sind die Vertreter vieler europäischen Länder nicht bereit, über dieses Thema zu reden. «Sie wollen nichts davon wissen, obwohl Euthanasie auch in ihren Ländern praktiziert wird.»

Dick Marty glaubt nicht, dass die veränderte SAMV-Direktive die aktive Sterbehilfe fördern wird oder dass das menschliche Leben deswegen an Wert verliert. Marty ist vielmehr davon überzeugt, dass die Direktiven dem Sinn seines Rapports in Strassburg entsprechen. «Sie haben nichts mit aktiver Sterbehilfe zu tun.»

Laut Marty wird der Begriff Sterbehilfe oft falsch verstanden. «Er stösst ab, weil er mit der Eliminierung alter Menschen in Verbindung gebracht wird. In Wirklichkeit, glaube ich, ist es ein Versuch dem Tod mehr Würde zu geben – nach dem Willen des Patienten.»

swissinfo, Etienne Strebel

Direkte aktive Sterbehilfe: Gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden. Sie gilt heute, unabhängig vom Motiv des Sterbehelfers, als Tötung auf Verlangen und ist strafbar, auch wenn der Patient dem Sterben nahe ist und den Tod wünscht. Gilt weltweit.

Indirekte aktive Sterbehilfe: Einsatz von Mitteln zur Linderung von Leiden, die als Nebenwirkung die Lebensdauer vermindern können. Diese Art der Sterbehilfe ist grundsätzlich erlaubt.

Passive Sterbehilfe: Verzicht auf die Aufnahme oder den Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen wie Nahrungszufuhr, Bluttransfusionen oder Medikamentenstopp. Sie wird als erlaubt angesehen und auch praktiziert.

Beihilfe zum Suizid: In der Schweiz nur strafbar, wenn sie jemand aus selbstsüchtigen Beweggründen gewährt. Sie galt nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) bis jetzt allerdings nicht als Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit.

Diese Beihilfe wird von Sterbehilfeorganisationen wie Exit oder Dignitas geleistet.

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