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Abzocker-Initiative auf Vormarsch

Praktisch zwei von drei Stimmberechtigten unterstützen die Abzocker-Initiative, wie die erste Umfrage des Instituts gfs.bern zeigt. Doch noch ist am 3. März alles möglich. Keystone

Der Schweiz steht in den nächsten Wochen möglicherweise eine stark emotionale Kampagne für die Volksinitiative "gegen die Abzockerei" bevor. Der Volksvorschlag kann laut einer Umfrage der SRG SSR auf breite Unterstützung zählen. Doch der Mist ist noch nicht gefahren.

In der Öffentlichkeit herrscht das Gefühl der Verzweiflung gegenüber den Exzessen von Top-Führungskräften, die ihre Taschen ohne Zurückhaltung gefüllt haben, sogar wenn ihre Unternehmen Verluste einfuhren und Angestellte entlassen mussten.

Nicht nur in den tieferen Einkommensklassen, sondern auch in der Mittelschicht habe derzeit eine Mehrheit der Bevölkerung «genug», erklärt Claude Longchamp, Leiter des Instituts gfs.bern. Dieses hat die Umfrage zu den Abstimmungsthemen vom kommenden 3. März durchgeführt.

Das gleiche Gefühl hatte bereits zur Lancierung und der erfolgreichen Einreichung der Volksinitiative «gegen die Abzockerei» geführt. Diese sieht namentlich vor, dass Aktionäre die Höhe der Vergütungen des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirats der Direktion bestimmen können.

Dies scheint eine Mehrheit der Bevölkerung zu befürworten: Gemäss den Resultaten der Meinungsumfrage, durchgeführt sechs Wochen vor der Volksabstimmung, haben 65% der Befragten angegeben, sie würden der Initiative zustimmen. Lediglich 25% sprachen sich dagegen aus, während sich 10% noch nicht entschieden hatten.

Volksinitiative «gegen die Abzockerei»: Die vom Schaffhauser Unternehmer Thomas Minder – der unterdessen in den Ständerat gewählt wurde – lancierte Initiative verlangt die Schaffung eines Verfassungsartikels mit einer Reihe von Massnahmen, welche die Rechte der Aktionäre von börsenkotierten Schweizer Unternehmen verstärken. Das Ziel ist, dass sich Topkader keine exorbitanten Löhne zuschanzen können, die in keinem Zusammenhang mit den Resultaten ihres Unternehmens stehen.

Namentlich gibt der Text der Generalversammlung die Befugnisse, jedes Jahr alle Mitglieder des Verwaltungsrats zu wählen und über die Höhe der Vergütungen an Verwaltungsräte, Manager und Beiräte zu entscheiden. Mitglieder dieser Organe sollen keine Abgangs- oder andere Entschädigungen erhalten, keine Vergütungen im Voraus, keine Prämien für Firmenkäufe und -verkäufe und keinen zusätzlichen Berater- oder Arbeitsvertrag von einer anderen Gesellschaft der Gruppe.

Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG): Das Ziel dieser Teilrevision ist, die Fläche überdimensionierter Bauzonen zu reduzieren, um die Zersiedelung der Schweiz zu bremsen. Das Projekt ist ein indirekter Gegenvorschlag zur von der Umwelt-Organisation Pro Natura lancierten «Landschafts-Initiative».

Das RPG kommt zur Abstimmung, weil dagegen erfolgreich das Referendum eingereicht worden ist. Sollte die Teilrevision angenommen werden, haben die Initianten versprochen, die «Landschafts-Initiative» zurückzuziehen. Sollte sie nicht angenommen werden, kommt die Initiative an die Urne.

Bundesbeschluss über die Familienpolitik: Ein neuer Verfassungsartikel beauftragt Bund und Kantone, die Vereinbarkeit des Familienlebens und der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu fördern.

Die Kantone sollen vor allem für ein bedarfsgerechtes Angebot an familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen sorgen. Wenn sich das Angebot der Kantone als ungenügend erweist, sollen die Bundesbehörden Grundsätze festlegen können.

Die breite Unterstützung sei in allen Sprachregionen festzustellen und besonders mit einem Argument verbunden, so Longchamp: «Der Raffgier einen Riegel vorschieben». Dies sei das stärkste Argument für die Initiative, wie die Umfrage gezeigt habe. Eine Mehrheit finde es richtig, dass die Aktionäre über die Vergütungen für das Topkader bestimmen könnten.

Das stärkste Argument gegen die Initiative ist laut der Umfrage, das Volksbegehren sei in seinen Forderungen «zu extrem». Unter den Gegnern nicht greifen konnte anscheinend das Argument, durch die Annahme der Volksinitiative seien Arbeitsplätze in der Schweiz gefährdet. Das sei neu, denn dieses Argument habe in vorherigen Abstimmungskampagnen immer funktioniert, sagt Longchamp.

Mit Emotionen auf Stimmenfang

Auf jeden Fall hätten sowohl Befürworter wie auch Gegner überzeugende Argumente, erklärt der Umfrage-Spezialist. Und auch wenn der Vorsprung der Befürworter gross sei, bleibe das Rennen noch völlig offen. Die Erfahrung zeige, dass der klassische Kampagnenverlauf bei einer Volksinitiative mit einer grossen Zustimmung beginne, die sich, je näher der Abstimmungstag rücke, in den meisten Fällen in eine Ablehnung umwandle.

Es komme nun auf die Kampagnen der nächsten Wochen an, so Longchamp. Besonders, weil diese Initiative das Potenzial für eine populistische Kampagne und einen emotionalen Zugang habe.

Eine der Unbekannten, die einen Einfluss auf den Ausgang der Abstimmung haben könnten, ist auch die Parole der Delegiertenversammlung der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die sich am 26. Januar zur Initiative äussern wird. Ihre Vertreter im Parlament haben die Initiative abgelehnt, während die Basis das Begehren unterstützt – wie auch einige Kantonalparteien, welche bereits die Ja-Parole gefasst haben.

Sollte die SVP die Initiative unterstützen, würde dies zu einer Allianz von rechts und links-grün führen. Die Mitteparteien sprechen sich grösstenteils dagegen aus. Doch die erste Umfrage zur Abstimmung zeigte auch, dass die Zustimmung unter den Sympathisanten der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen) überwiegt.

Zitterpartie für Raumplanung

Noch unsicher ist das Schicksal der zweiten Vorlage, der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG), die Massnahmen gegen die Zersiedelung der Schweizer Landschaft vorsieht.

Die von Parlament und Bundesrat (Regierung) unterstützte Teilrevision war per Referendum bekämpft worden und wird deshalb dem Stimmvolk vorgelegt. Die Umfrage zeigt eine Zustimmung von 54% und eine Ablehnung von 18%, während 28% noch unentschlossen sind. Dass sich viele noch keine klare Meinung gemacht haben, zeigt auch, dass je etwa die Hälfte der erklärten Befürworter und Gegner nur «eher dafür» oder «eher dagegen» sind.

Die knappe Mehrheit der Ja-Stimmen und der Stand der Meinungsbildung seien aber noch nicht weit genug fortgeschritten, um für diese Vorlage eine Prognose über den Ausgang der Abstimmung am 3. März zu machen, so Longchamp.

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Die Umfrage

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Aus Gründen des Datenschutzes dürfen die Behörden die Adressen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nicht mehr zur Verfügung stellen. Daher ist die Fünfte Schweiz in diesen Umfragen im Auftrag der SRG SSR jeweils nicht vertreten. Die Fehlerquote der Befragung liegt bei 2,9 Prozentpunkten.

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Rückenwind für Familienpolitik

Etwas klarer sieht es für die dritte Vorlage des Abstimmungswochenendes aus, den neuen «Bundesbeschluss über die Familienpolitik», ein Verfassungsartikel, der Bund und Kantone verpflichten soll, die Vereinbarkeit von Familie mit Erwerbstätigkeit und Ausbildung zu fördern. 66% haben in der Umfrage erklärt, das Begehren zu unterstützen, 23% sind dagegen und 11% haben noch keine Meinung.

Insgesamt haben 39% der Befragten angegeben, sie würden ihre Stimme am 3. März ganz sicher in die Urne legen. Die Spezialisten von gfs.bern erwarten, dass sich zwischen 40 und 45% an diesem Urnengang beteiligen werden, was im Schnitt der letzten Jahre liegen würde.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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