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«Als Wahlbeobachter darf ich nicht eingreifen»

Präsidentschaftswahlen Madagaskar 2006: Auf Grund des Personalausweises wird im Wahlregister überprüft, ob die Person stimmberechtigt ist swissinfo.ch

Mit Wahlmanipulationen in Zentralasien und Afrika musste sich der Wahl- und Demokratie-Beobachter Heinz Rudolf von Rohr in den letzten Jahren oft auseinandersetzen. Er sieht in dieser Hinsicht aber auch in der Schweiz einen gewissen Verbesserungsbedarf.

«Als Wahlbeobachter darf ich nicht eingreifen. Auch wenn ich sehe, dass gelogen oder gefälscht wird», sagt Heinz Rudolf von Rohr gegenüber swissinfo.ch. «Wir sind Beobachter und sammeln möglichst viele Informationen».

Alle Beobachtungen werden an das Wahlbeobachter-Hauptquartier, ans Core-Team, gesendet. «Dieses nimmt die Auswertung vor. Dann gelangen die Informationen wieder zu uns. So erfahren wir, wenn in einer Provinz etwas Aussergewöhnliches passiert ist und können überprüfen, ob das in unserem Gebiet auch so ist.»

Das Core Team ist auch für die Verbindung zur Regierung zuständig, zu verschiedenen Ministerien, Geheimpolizei, Polizei und der zentralen Wahlkommission.

Empfindliche Reaktionen – auch in der Schweiz

Die Wahlbeobachter dürften auf Missstände hinweisen aber nicht sagen, «da ist etwas nicht in Ordnung, da müsst Ihr etwas ändern». Kritik liebt man offenbar auch in der Schweiz nicht.

«Vor vier Jahren, anlässlich der Parlamentswahlen, weilte zum ersten Mal eine OSZE-Wahlbeobachter-Mission in der Schweiz», erklärt Rudolf von Rohr. «Ein Dorn im Auge war den Beobachtern, dass in der Schweiz die Parteienfinanzierung nicht offengelegt wird, dass die Parteien nicht belegen müssen, woher das Geld für ihre Wahlkampagnen stammt.»

Die Politik sei über diese Kritik nicht erfreut gewesen. «Dabei ist das in den meisten Ländern gesetzlich vorgeschrieben, auch in solchen, von denen wir sagen, die sind in der Demokratisierung noch nicht so weit. Viele unserer Politiker wollten sich aber nicht dreinreden lassen.»

Rudolf von Rohr: «Es kommt mir vor wie beim Bankgeheimnis. Man wehrt und wehrt sich, obwohl man eigentlich weiss, dass es geändert werden sollte. Aber der Kopf oder der Stolz geben es einem nicht zu.»

Sinnfrage

Wahlbeobachter dürfen sich nicht einmischen in die Angelegenheiten des Staates, in dem sie stationiert sind. Macht ihre Anwesenheit dann überhaupt Sinn?

Heinz Rudolf von Rohr erinnert sich an ein Ereignis in der Ukraine, wo er seit 2004 alle Wahlen beobachtet hat: «Eines Abends erhielten wir einen Telefonanruf eines Bürgers. Er hätte gehört, dass am nächsten Tag der Leiter des Wahlbüros und sein Stellvertreter mit den offiziellen Wahlbürostempeln ins Büro des Gouverneurs kommen sollten.»

Aber der Gouverneur hatte nichts mit den Wahlen zu tun. Sie hätten sich am anderen Morgen vor dem Gouverneursgebäude postiert, die Leute des Wahlbüros seien gekommen, auch der Gouverneur. Dieser wollte die Beobachter wegweisen lassen. «Wir haben zwei Stunden mit ihm diskutiert und verlangten eine Erklärung. Danach blies er die Übung entnervt ab.»

Bei dieser Aktion sei es darum gegangen, «Blanko-Wahlzettel in grosser Zahl herzustellen». «Damals konnten wir das bis ins letzte Detail beweisen. Und weil das in anderen Wahlkreisen auch passierte, hatte darauf das oberste Gericht der Ukraine die Wahl für ungültig erklärt. Der Wahlgang wurde wiederholt und es gewann Viktor Juschtschenko, die Orange Revolution hatte gesiegt.»

Länderübergreifende Manipulationsmechanismen

«Mir sind länderübergreifende Mechanismen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion aufgefallen. Wir kennen ja die Wahlresultate aus den früheren Sowjetzeiten: 90 oder sogar 99% der Stimmen für die kommunistische Partei», sagt Rudolf von Rohr.

Heute sind es «nur noch» 70 bis 80%. Als Beispiel nennt er Georgien, wo Präsident Saakaschwili mit grossem Mehr gewählt wurde: «Befindet man sich im Land, stellt man fest, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung enorm gross ist. Bei den Menschen herrscht jedoch die Ansicht vor, man habe gar keine andere Möglichkeit, als die Regierungspartei zu wählen. Und wenn man das nicht tut, läuft man grosse Gefahr, seine Stelle zu verlieren, gerade in Georgien.»

So habe vor den letzten Wahlen ein regionaler Bahnchef «10 Leute entlassen, die nicht mit der Regierungspartei sympathisierten. Wir haben das anlässlich eines Besuches in einem Wahllokal erfahren».

Eine Woche später erfuhr Rudolf von Rohr, dass die entlassenen Bähnler diesem Chef aufgelauert und ihn tüchtig verprügelt hätten. «Und am Tag darauf hat er alle wieder eingestellt.»

In den ehemaligen Sowjetrepubliken sei es auch gang und gäbe, dass die linientreusten Gemeinden mit Produktionsmitteln belohnt würden. So habe in Georgien das Dorf mit dem höchsten Stimmenanteil für die Regierung zehn Traktoren erhalten. «Diese Traktoren hat man uns gezeigt. Es handelte sich um ein Geschenk des Präsidenten Saakaschwili.»

Rührendes Erlebnis

Wahlbeobachter werden aber nicht nur mit negativen Ereignissen konfrontiert. Ein Erlebnis in Namibia war für Rudolf von Rohr besonders eindrücklich.

«Ein junger Mann kam ins Wahllokal, der seinen gebrechlichen Vater auf den Armen trug. Beim Ausfüllen des Stimmzettels gab es Probleme, weil der Vater das nicht ohne Hilfe bewerkstelligen konnte. Der Sohn jedoch durfte den Vater nicht in die Wahlkabine begleiten. Also ging ich mit dem alten Mann in die Kabine, und er füllte den Zettel aus. Er war zwar Analphabet, aber in Afrika finden sich auf den Wahlzetteln vielfach Bilder oder Symbole. Er machte sein Kreuz. Und der Sohn trug ihn wieder nach Hause.»

Nach zwanzig Minuten sei der Sohn wieder zurückgekehrt und habe den Beobachtern mitgeteilt, sein Vater sei nun gestorben. Aber er sei glücklich gewesen, dass er zum ersten Mal wählen durfte.

«Wenn ich daran denke, wie viele Menschen in der Schweiz sich nicht an Wahlen oder Abstimmungen beteiligen, bedrückt mich das schon ein wenig», so Rudolf von Rohr.

Aufgewachsen im solothurnischen Wasseramt.

Lehrerseminar, drei Jahre Primarlehrer.

Beginn Studium der Atomphysik und Mathematik an der Uni Freiburg.

Sattelt nach vier Semestern auf Geografie, Biologie und Mineralogie um. Abschluss mit Doktortitel in Geografie.

25 Jahre Lehrer an der Kantonsschule Solothurn.

Urlaub, vier Monate lang zu Fuss durch Madagaskar.

Darauf Wechsel zum Schweizer Radio, Aufbau Abteilung Ausbildung, dann Schweizer Fernsehen als Ausbildungsleiter.

Nach acht Jahren Personalchef bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza, da für ihn «die Diskrepanz zwischen der vermittelten journalistischen Ethik und der gelebten Realität zu gross» wurde.

1989 erste Wahlbeobachtung überhaupt für die Wahlen in Namibia.

Nach der Pensionierung praktisch jedes Jahr mehrere Monate im Ausland als Wahlbeobachter im Einsatz.

2010 muss er seine Wahlbeobachtungen einstellen, da über 70-Jährige nicht in einem Anstellungsverhältnis mit dem Bund sein dürfen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, führt vor allem Wahlbeobachtungen in Europa und Asien durch, die EU vor allem in Afrika, Südamerika.

Weiter gibt es UNO-Spezialmissionen wie etwa die Leitung der Mission in Afghanistan. Dort im Einsatz war aber die EU, welche die Wahlbeobachter rekrutiert hat, die also den technischen Teil sichergestellt hat.

Dann gibt es noch die OAU (Organisation für afrikanische Einheit), die mit den EU-Staaten arbeitet.

Die Schweiz hat eine Sonderstellung, sie ist nicht EU-Mitglied, aber bei der UNO dabei: Sie stellt auf Anfrage hin Wahlbeobachtungs-Teams zur Verfügung, auch für die OSZE.

Langzeitbeobachtungs-Teams verfolgen vor Ort Wahlvorbereitungen und Wahlkampf und bleiben nach den Urnengängen noch ein, zwei Wochen im Land.

Kurzzeitbeobachter kommen einige Tage vor der Wahl ins Land und beobachten dort vor allem dem Ablauf in den Wahllokalen und bei der Weitergabe der Wahlurnen. Sie verlassen das Land bald nach der erfolgten Wahl.

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