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Armeekritiker zielen auf politisches Tabu

Wehrpflicht und Milizarmee, Grundpfeiler des Schweizer Politsystems. Keystone

Diese Woche ist eine Initiative eingereicht worden, die eine radikale Reform des Schweizer Milizsystems vorsieht. So soll die Wehrpflicht abgeschafft und der Zivildienst für freiwillig erklärt werden. Wer ist diese GSoA, die hinter diesem Vorschlag steckt?

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die vor knapp 30 Jahren gegründet wurde, kam in die Schlagzeilen, als sie ihre erste Initiative mit dem radikalen Ziel lancierte, die Armee abzuschaffen, in einem Land, dessen moderne Geschichte vom Prinzip der bewaffneten Neutralität geprägt war.

Alle Männer, die tauglich sind, müssen Militärdienst leisten. So steht es in der schweizerischen Bundesverfassung.

Die Einführung eines Zivildienstes im Jahr 1996 bietet zwar eine beschränkte Alternative, obwohl die jungen Männer damit nicht wirklich eine freie Wahl haben. Der Militärdienst für Frauen in der Schweiz ist freiwillig.

Die erste Initiative der GSoA machte 1989 Schlagzeilen. 64% der Stimmberechtigten, die an die Urne gingen, verwarfen zwar die Vorlage. Dennoch sorgte das Abstimmungsresultat für politische Aufregung in der Schweiz, wo seit dem Zweiten Weltkrieg das Image gepflegt wird, das Land habe seine Unabhängigkeit dank seiner Armee und seinem neutralen Status verteidigt.

In den letzten drei Jahrzehnten lancierte die pazifistische Gruppe fünf weitere Initiativen, und das Parlament musste zweimal über Vorschläge zum Verbot von Waffenexporten und dem Kauf neuer Kampfjets entscheiden. Keine der politischen Vorlagen waren an der Urne erfolgreich.

Tabubruch

Trotz den Abstimmungs-Niederlagen gibt sich Jo Lang, ein führendes Mitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, optimistisch. «Die jüngste Schweizer Geschichte ist ohne uns unvorstellbar.»

Mit der Kritik an der Armee und der militärischen Mentalität in der Gesellschaft habe die GSoA ein politisches Tabu gebrochen. «Die GSoA hat die Schweiz aus dem Gefängnis der geistigen Landesverteidigung befreit», so Lang in Anspielung auf eine Rede des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt.

Die Gruppe setzte sich für eine Verkleinerung der Armee ein, engagierte sich für geringere Militärausgaben und einen menschlicheren Stil im Militärdienst, so auch für die Einführung eines Zivildienstes.

Laut Lang agierte die GSoA nicht nur als Hauptakteur in der schweizerischen Friedensbewegung im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Sie habe in den letzten fünf Jahren insgesamt auch über 500’000 Unterschriften für mehrere Initiativen zusammengebracht und damit im System der direkten Demokratie eine Führungsrolle inne.

Wie GSoA-Sekretär Jonas Zürcher erklärt, bedeutet eine Ablehnung an der Urne nicht zwingend eine politische Niederlage. Eine Wiederholung der Forderungen zahle sich für die Gruppe aus.

Beide Vertreter sind der Ansicht, die GSoA sei in den letzten Jahren pragmatischer geworden. So habe sie sich etwa für ein Exportverbot von Kriegsmaterial eingesetzt und gegen die Aufbewahrung von Armeewaffen zu Hause.

Festgefahren

Die Gruppe Giardino, die für eine Beibehaltung des Miliz-Systems kämpft, erklärt, die Pazifisten der GSoA hätten sich in den letzten 30 Jahren auf die Illusion einer demilitarisierten Gesellschaft fixiert.

«Ihre Forderung für eine Abschaffung der Wehrpflicht geht Hand in Hand mit neo-marxistischen Ideen», sagt Hans Suter, Präsident der Gruppe Giardino.

Die Pazifisten und ihre «unschweizerischen» und «armeefeindlichen» Aktivitäten seien seit 30 Jahren im Gedankengut des Neo-Marxismus und des Klassenkampfes festgefahren.

Suter anerkennt aber auch, dass die Initiativen der GSoA zu einer breiten Diskussion in der Öffentlichkeit über die Armee, das Militzsystem sowie die Sicherheit beigetragen haben.

Die konservative Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) ist in ihrem Stil etwas versöhnlicher, jedoch ebenso hart in ihrem Widerstand gegen die Pazifisten.

«Mit ihrer Vision einer friedlichen Gesellschaft bleibt die GSoA in Widersprüchen verhaftet. Die Abschaffung der Wehrpflicht führt nämlich zu einer Profi-Armee und in die Nato. Damit werden zwei Pfeiler des Schweizer Staatsverständnisses untergraben: das Milizprinzip und die Neutralität», sagt Werner Gartenmann, Geschäftsführer der Auns.

Schuss ins Schwarze

Für den grünen Politiker Jo Lang ist die Initiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht», die am Donnerstag bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde, ein Schuss ins Schwarze, da sie ein politisches Schlüsselthema anpacke.

«Massen-Armeen können nicht länger finanziert werden. Der Druck von Seiten der Wirtschaft auf Angestellte, die viel Zeit in der Milizarmee verbringen, nimmt zu. Zudem haben die meisten europäischen Länder die Wehrpflicht abgeschafft. Junge Leute sind immer weniger bereit, sich herumkommandieren zu lassen.»

Lang bezeichnet die Initiative gegen die allgemeine Wehrpflicht als die zweitwichtigste in der Geschichte der GSoA, jedoch nicht vergleichbar mit jener, die auf die Zeit des Ende des Kalten Krieges fiel.

Zürcher fügt an, dass die Frage von Gerechtigkeit und Gleichheit bei der Aushebung nicht mehr greife, da das Parlament beschlossen habe, die Zahl der Truppen zu halbieren.

«Bereits heute absolviert ein Drittel aller Schweizer Männer keinen Militärdienst. Und nur die Hälfte der Militärdienstleistenden beendet den Dienst. Mit der neuen Reform werden noch weniger Männer ausgehoben. Die Armee hat schlicht keinen Bedarf mehr für sie.»

Das Datum für eine landesweite Abstimmung steht noch nicht fest. Der nächste Urnengang zu einer militärischen Frage könnte den geplanten Kauf von 22 Gripen-Kampfjets im Herbst 2013 betreffen. Dann geht es auch um die Halbierung der Truppen von gegenwärtig 200’000 auf 100’000 Mann. Gleichzeitig soll das Jahresbudget der Armee auf 5 Mrd. Franken aufgestockt werden.

«Es ist eine Abstimmung für oder gegen die Armee», betont Verteidigungsminister Ueli Maurer.

Die Initiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) will die Bundesverfassung wie folgt ändern:

Art. 59 Militär- und Zivildienst

1 Niemand kann verpflichtet werden Militärdienst zu leisten.

2 Die Schweiz hat einen freiwilligen Zivildienst.

3 Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls für Personen, die Dienst leisten.

4 Personen, die Dienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.

Die 1982 gegründete GSoA zählt 20’000 Anhänger.

Die Gruppe hat in ihrer 30-jährigen Geschichte insgesamt 8 Initiativen und Referenden lanciert und 5 weitere Initiativen von Mitte-Links-Gruppen mitgetragen.

Am 5. Januar 2012 hat die GSoA die Initiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» mit 107’280 Unterschriften eingereicht. Über die Vorlage wird an einer nationalen Abstimmung entschieden.

Die Schweizer Armee basiert auf der allgemeinen Wehrpflicht und einem Milizsystem. Nur ein kleiner Teil von Armeeangehörigen ist vollamtlich für das Militär tätig.  

Der Militärdienst dauert mindestens 262 Tage und muss von Schweizer Bürgern im Alter zwischen 20 und 34 Jahren absolviert werden.

Der zivile Ersatzdienst (Zivildienst), der um die Hälfte länger dauert, wurde 1996 eingeführt.  

Zwei Armeeabschaffungs-Initiativen (1989 und 2001) wurden verworfen. Sie erhielten 35,6% und 22% Ja-Stimmen.

Letztes Jahr hatte das Parlament eine Aufhebung der Wehrpflicht abgelehnt.

Eine beratende Kommission schlug der Regierung die freie Wahl zwischen Militärdienst und Zivildienst vor.

Die meisten Länder Europas haben die Militärdienstpflicht abgeschafft. Ausnahmen sind Norwegen, Griechenland und Moldawien. Andere kennen die obligatorische Dienstpflicht, bieten aber einen alternativen Zivildienst an.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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