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Christoph Blocher: Seine letzte Rede vor der SVP

Christoph Blocher
Christoph Blocher im Albisgüetli: Wenn das Jahr Fahrt aufnimmt, bläst er von hier aus dem Land den Marsch. © Keystone / Ennio Leanza

Christoph Blocher hat sich am Freitag vor der SVP in den politischen Ruhestand verabschiedet. Ein Rückblick.

Am Fuss des Üetlibergs endet Zürich. Unten liegt leuchtend das schneebedeckte Zentrum, oben stockfinster der Wald, am Rand das Schützenhaus Albisgüetli.

Von hier aus startete die SVP unter Christoph Blocher ihren Weg, der sie zur grössten Partei der Schweiz machte.

Blocher erzählt an diesem Abend auf der Albisgüetli-Bühne nochmals von den Anfängen: Es war vor 36 Jahren. Junge Linke wollten die Schweizer Armee abschaffen.

Verschwunden wäre damit auch das obligatorische Feldschiessen, eine Tradition. Jedem Soldaten im Land gibt die Armee ein Gewehr nach Hause. Und damit die Waffe nicht fremd wird, herrscht regelmässig Schiesspflicht. Darum gibt es in der Schweiz so viele Schützenhäuser.

«Üb Aug und Hand»

Also entschloss sich Christoph Blocher, Regimentskommandant der Armee, im Jahr 1988 gegen die Armee-Abschaffer:innen anzureden, im grössten Schützenhaus der Schweiz: die erste Albisgüetli-Tagung.

«Üb Aug und Hand fürs Vaterland», ist der Leitspruch der Schützen. «Das passt zu uns», sagt Christoph Blocher jetzt auf der Bühne. Er spricht oft von «uns» in dieser Rede.

Hier wir, dort die: Das ist der Teppich von fast allem, was Blocher sagte in all den Jahren.

Die Gesten sind kleiner

Blocher ist heute 83-jährig, keine offensichtlichen Gebrechen, vielleicht etwas weniger Kraft in der Stimme. Sein Habitus, früher raumgreifend, breit und bullig, hat sich zentriert. Die Gesten sind jetzt kleiner, manchmal nur noch altmeisterlich angedeutet.

Er ist nicht mehr so auf Konfrontation aus. Seine Schlachten sind geführt, die Siege eingefahren. Und auch die grösste Niederlage, seine Abwahl aus dem Bundesrat 2007, ist verdaut. Nur seiner Macht scheint er sich noch immer fast zu schämen. Er hat sie stets abgestritten.

Macht stösst in der Schweiz auf Skepsis. Das hat er schnell begriffen. Gross war er noch nie, doch je mächtiger er wurde, desto kleiner machte er sich. Er lernte die Kunst der Selbstironie. Er lernte stets den Kopf zu neigen, die Nase tief zu halten.

Jeden Saal brachte er zum Lachen

Gewiss ist der 84-jährige Blocher noch spöttischer als früher. Spott ist der Angriff, der wenig Kraft braucht, und Witz attestieren ihm selbst die Feinde. Jeden Saal brachte er schon zum Lachen.

Hier im Albisgüetli ist er eine Legende. Er ist der Held, der 1992 die Schweiz vor Europa verschont hat. Der Stratege, der mit seiner SVP die andern zwei grossen bürgerlichen Parteien erst überholt und dann oft zu Juniorpartnern degradiert hat.

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SVP-Übervater nennen ihn die Medien. «Grossvater», sagt der Zürcher SVP-Parteipräsident heute im Albisgüetli zu ihm, man ist eine Familie.

Doch ausserhalb des geheizten Saals lauert noch immer Gefahr: Heimatmüdigkeit, Zuwanderung von Fremden und Abwanderung der Reichen, weil die Linken sie mit einer Erbschaftssteuer belegen wollen.

Albisgüetli
Besinnung aufs Eigene, um sich sicher zu sein. Blocher redet, die Partei hört zu. swissinfo.ch

Christoph Blocher hat die Bühne des Albisgüetli in den letzten 36 Jahren zu einem Kraftort gemacht. Wenn das Jahr Fahrt aufnimmt, bläst er von hier aus dem Land den Marsch.

Blochers Rede liefert die Jahresagenda der SVP. Diese trägt die Ideen dann bis in die letzten Adern der Schweiz. Ob in der Gemeinde, den Kantonen oder auf Bundesebene: Die Mitglieder repetieren seine Parolen.

Er trieb das Spiel zur Perfektion

So setzt die Partei die Themen, treibt laut und ungehemmt die anderen vor sich her, sammelt Wähler- und Stimmenanteile. Stets droht sie mit Referenden und dem Volk. Die SVP agiert, die andern müssen reagieren.

Das ist das Spiel, das Blocher zur Perfektion trieb. Er erntete dafür Kopfschütteln, teils Abscheu, aber Ehrfurcht und Hingabe in den eigenen Reihen.  «Blocher war Trump vor Trump», sagte Trumps Berater Steve Bannon 2018 in Zürich. Die SVP gilt heute vielen als Avantgarde des europäischen Rechtspopulismus.

Die Themen kamen und gingen. Doch stets ging es bei der SVP um das Eigene und das Fremde.

Heute wird diese Rede Blochers letzte sein. Aber das weiss noch niemand. Auch seine engsten Bekannten überrascht er damit.

«20 Versionen, bis alles sitzt»

Im Saal sitzt etwa Verleger Matthias Ackeret, er nimmt mit Blocher seit 17 Jahren jede Woche einen Video-Podcast auf, 855 Episoden schon. «Die Albisgüetli-Rede ist sein grösstes Projekt, jedes Jahr», sagt Ackeret. Blocher schreibe ein halbes Jahr daran, formuliere alles immer wieder neu. «Es gibt mindestens 20 Versionen, bis alles sitzt.»

Albisgüetli Christoph Blocher Projektion
Ein Saal, der eint: Blick ins Schützenhaus Albisgüetli. © Keystone / Ennio Leanza

«Die Welt spinnt, wir halten dagegen», lautet der Titel. Es ist eine weitere Variation des Themas. Die dort, wir hier. Die dort, das sind etwa Medien und Akademiker:innen. «Wir haben zu viele Studierte, aber zu wenig Gescheite», sagt er.

«Gute Kühe musst du melken»

Gescheit sei, wer Steuerrecht studiere. Denn der tue Gutes, helfe vielen, Steuern zu vermeiden, sagt er.

Und er sagt auch – als ob das kein Widerspruch wäre: «In der Landwirtschaftslehre hat mich der Lehrmeister gelehrt: Die guten Kühe musst du melken, nicht töten.»

Er malt mit seinen Händen Bilder in die Luft, schöne und bedrohliche. Er liefert auch die Sätze, die wie die grossen Hits einer Band bei jedem Auftritt einfach dazugehören.

«Wir Schweizer sind nicht besser als die andern. Aber wir sind ein bisschen weniger schlecht, weil wir die bessere Staatsform haben. Bei uns können Politiker weniger Blödsinn machen.»

Blocher ist der Magnet

Blocher ist: Milliardenunternehmer und Offizier, Bauernbub und Pfarrers-Sohn. All das vereinte er auch in seiner Partei. So wurde die einstige Bauernpartei SVP zum Magnet für Wirtschaftskreise, zur Heimat für Rechts- und Wertkonservative.

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Im Albisgüetli sitzen auch heute viele Multimillionäre, Amts- und Würdenträger – hier sind sie immer einfaches Volk und mit dem einfachen Volk am Tisch. «Getreue, liebe Mitlandleute», nennt Blocher sie alle.

Identität und Differenz

Hier wir. Dort die. Das Wesen von Identität und Differenz ist, dass man das Andere braucht, auch um zu wissen, was in Abgrenzung dazu das Eigene ist. Um sich sicher zu sein.

Und das Eigene dieser Tagung ist, dass auch das Andere dabei sein muss. Eingeladen war stets der amtierende Bundespräsident oder die Bundespräsidentin.

Vor dem Nachtessen redete Christoph Blocher: Grosser Applaus. Nach dem Nachtessen redete ein Bundesrat: Anstandsapplaus. Buhrufe und Pfiffe waren selten.

Sie spielen nicht mehr mit

Doch letztes Mal fehlte Bundespräsident Alain Berset. Diesmal fehlt Bundespräsidentin Viola Amherd. Und auch der neue SP-Bundesrat Beat Jans hat abgesagt. Sie spielen sein Spiel nicht mehr.

Eingesprungen ist Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard. Er kämpft gerade für eine Volksinitiative, es geht um mehr Geld für Pensionäre, eine 13. Rente soll her.

«Wir sind gut erzogen, aber wir müssen poltern, sonst passiert nichts in dem Land.»

Thomas Matter, SVP-Parteileitung

1988 hatte die SVP 31 Volksvertreterinnen und Vertreter in Bern. Heute sind es 68. Auch Geld ist in der Partei versammelt: Christoph Blocher, Familienvermögen von geschätzten 15 Milliarden Franken, finanzierte seine Politik immer auch selbst.

Automogul Walter Frey, 4 Milliarden schwer, gilt als wichtiger Parteisponsor. Ebenso Banker Thomas Matter, 200 Millionen schwer.

Sie alle sitzen nah beieinander im Albisgüetli, bilden ein Kraftzentrum von 20 Milliarden. Das ist auch in der Schweiz viel Geld: 10 Milliarden jährlich gibt das Land für Bildung aus.

Zum Ende gekommen sagt Blocher auf der Bühne: Das wars.

Ein Schwyzerörgeli- und ein Kontrabass-Spieler gruppieren sich um ihn. Das sei seine letzte Albisgüetli-Ansprache gewesen. Blocher singt eine auf ihn umgeschriebene Variante des Volkslieds «Dr Schacher Seppli». Er besingt, wie er ans Himmelstor klopfen und um Einlass bitten wird.

War es das? «Er wird bis zu seinem Ableben für die zentralen Ziele der SVP kämpfen», beschwichtigt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi.

SVP-Nationalrat Thomas Matter sagt: «Er ist ein Jahrhundert-Talent, er ist nicht zu ersetzen. Aber wir sind jetzt breiter abgestützt.»

Blocher wanderte oft auf dem schmalen Grat zwischen Spott und Verunglimpfung, ohne Absturz. Wie wird es nach ihm weitergehen, Thomas Matter?

«Wir sind alles bodenständige Leute, gut erzogen», sagt Matter. «Aber wir müssen poltern, sonst passiert nichts in dem Land.»

Bei den Wahlen 2023 hat die SVP ihr drittbestes Resultat gemacht, ohne Blocher. Statt um ihn scharte man sich hinter ein Thema. «Es kommen zu viele, und es kommen die Falschen», hiess es.

Darum glauben viele in der SVP, dass es auch künftig die Themen sind, welche die Partei zusammenhalten werden.

Er lässt dem Gast das letzte Wort

Aber gerade jetzt sieht es nicht danach aus. Ein grosses Thema spaltet die SVP zurzeit in Kader und einfache Mitglieder. Es ist das Thema des Gastredners: die 13. AHV-Rente.

Gewerkschaftsboss Pierre Yves Maillard will sie ermöglichen, und die SVP will das eigentlich verhindern.

Als Maillard fertig gesprochen hat, gibt es ordentlichen Applaus. Widerspruch keinen. Im Albisgüetli ist es Tradition, Blocher lässt dem Gast das letzte Wort.

Und am Bühnenabgang wartet ein SVP-Pensionär auf den Gewerkschaftsboss. Er hat eine Bitte. Maillard möge in Bern doch dafür sorgen, dass endlich auch Renten von Steuern befreit werden. «Könnten Sie bitte dafür etwas tun?»

Das Eigene konsequent zuerst. Es ist angekommen im Parteivolk.

Editiert von Benjamin von Wyl


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