Den Menschenrechten Achtung verschaffen
Die Umsetzung der Menschenrechts-Verpflichtungen der Schweiz fördern: Das ist das Ziel des neu eröffneten Kompetenzzentrums für Menschenrechte. Das Projekt ist auf 5 Jahre befristet und wird von der Eidgenossenschaft und mehreren Universitäten getragen.
Menschenrechts-Organisationen fordern seit Jahren ein solches Zentrum. Im Jahr 2008 hat es auch der UNO-Menschenrechtsrat in Genf anlässlich der periodischen Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte in der Schweiz gefordert.
Am 6. Mai nun wurde das Zentrum in Bern eingeweiht. Das Projekt ist auf fünf Jahre befristet. Damit hat der Bundesrat einen Kompromiss gewählt.
Der international renommierte Menschenrechtsexperte, Walter Kälin, ist dessen Direktor.
swissinfo.ch: Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung des Bundesrates, der sich lediglich für ein befristetes Projekt und nicht für eine dauerhafte Lösung ausgesprochen hat?
Walter Kälin: Diese Frage muss der Bundesrat beantworten. Fakt ist, dass sich während der Konsultation verschiedene Kreise auf die Existenz anderer Instrumente im Bereich Menschenrechte hingewiesen haben, also auf die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, auf die Migrationskommission oder auf das Gleichstellungs-Büro. Andere argumentierten, dass das juristische System den Verletzungen grundsätzlich die Stirn bieten könne.
Vor allem die Kantone haben die Frage nach der Notwendigkeit einer zusätzlichen Institution gestellt.
So kommt es, dass unser Zentrum nun seine Nützlichkeit beweisen muss. Die Schaffung einer wirklich unabhängigen Institution nach den Kriterien der UNO setzt eine gesetzliche Grundlage und damit einen Parlamentsbeschluss voraus. Dieses Ziel ist schwer zu erreichen, ohne dass die Notwendigkeit einer solchen Institution bewiesen ist.
swissinfo.ch: Besteht weiterhin die Absicht, eine unabhängige Institution zu schaffen, wie sie in vielen Ländern existiert?
W.K.: In vier Jahren wird es eine Auswertung geben, und ein Jahr später wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden.
swissinfo.ch: Welche Lücken wird das Zentrum schliessen?
W.K.: In der Schweiz fehlt ein Mechanismus, der in der Lage ist, systematisch Behörden aller Stufen, Nichtregierungs-Organisationen und die Wirtschaft zu unterstützen und zu beraten, die mit Herausforderungen in Sachen Menschenrechte konfrontiert werden.
Unser Zentrum wird es beispielsweise erlauben, die Koordination zwischen den verschiedenen Aktivitäten der Kantone zu koordinieren. Wir arbeiten mit Universitäten in der Romandie und in der deutschen Schweiz zusammen.
Unser Zentrum wird die Umsetzung der Empfehlungen der UNO-Organe zur Einhaltung der Menschenrechte unterstützen. Das wird bis heute nicht systematisch gemacht.
swissinfo.ch: Der Antirassismus-Strafnorm weht aus dem rechten politischen Spektrum ein rauer Wind entgegen. In der zusehends konservativen gesellschaftlichen Landschaft werden die Menschenrechte oft als Einmischung von aussen empfunden. Wie wollen Sie diesem Klima des Misstrauens begegnen?
W.K.: Das Klima ist in der Tat nicht ideal. Nicht wenige denken, die Menschenrechte würden uns von der internationalen Gemeinschaft aufgezwungen. Ich erinnere daran, dass auch die Bundesverfassung diese Grundrechte garantiert, und dass der Grossteil der Menschrechte bereits 1848 Bestandteil der Bundesverfassung waren.
Wir sollten stolz sein auf diese Tradition der Freiheit und der Verteidigung der Menschenrechte, die stark in unserer Geschichte verankert ist. In unserer globalisierten Welt sind die Menschenrechte universell geworden. In diesem Zusammenhang ist es unmöglich, sich aus diesem Kontext zu isolieren und sich aus den Debatten über diese Fragen herauszuhalten.
Die Schweiz hat aus freien Stücken und souverän praktisch alle Konventionen über Menschenrechte ratifiziert. Das bedeutet, dass wir uns den Überprüfungen, welche die Umsetzung der Konventionen verifizieren, stellen müssen. Die Schweiz trägt zudem weltweit zur Stärkung der Menschenrechte bei.
Die Schweiz hat ein grosses Interesse an einem funktionierenden Schutz der Menschenrechte. Denken Sie nur an die Fragen der Flüchtlinge und der Migration.
Es ist unmöglich, die Menschenrechte auf der internationalen Szene aktiv zu fördern und gleichzeitig zu signalisieren, dass uns die Anwendung der Menschenrechte im Land selber nicht interessieren.
swissinfo.ch: Welches sind die hauptsächlichen Probleme, die sich in der Schweiz mit Bezug auf die Respektierung der Menschenrechte stellen?
W.K.: Eine der ersten Untersuchungen, die wir durchführen werden, wird sich mit genau dieser Frage beschäftigen. Um das zu tun, werden wir die Kritiken und Empfehlungen der internationalen Organisationen als Ausgangspunkt nehmen, um zu schauen, wie es in der Schweiz in Wirklichkeit aussieht.
Ein Ziel wird es sein, die Respektierung der Menschenrechte mit den Bedürfnissen der Politik auf der lokalen und nationalen Ebene zu harmonisieren. Viele Kritiken betreffen beispielsweise unsere Beziehungen mit den Ausländern im Land, sei es im Bezug auf Rassismus oder auf die Asylgesetzgebung.
Auch der Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt hat da und dort schon zu Bemerkungen Anlass gegeben. Die Schweiz hat in der Tat ein Problem mit der häuslichen Gewalt. Gewisse Kantone leisten in dieser Beziehung gute Arbeit, andere zeigen Schwächen.
Dasselbe gilt für den Frauenhandel, dieser neuen Form der Sklaverei. Das Milieu in der Schweiz kann sich dem Phänomen wahrscheinlich nicht entziehen. Doch fehlen uns aussagekräftige und glaubwürdige Statistiken. Genauso wie für die Gewaltanwendungen gegenüber Ausländern durch die Polizei.
Eines der Probleme, das wir in der Schweiz haben, ist der Mangel an Statistiken zur Respektierung der Menschenrechte. Entweder existieren keine, oder dann nur in gewissen Kantonen. Das ist ein Punkt, den unser Zentrum in Angriff nehmen wird.
Geboren am 20. Mai 1951 in Zürich. Bürger von Einsiedeln (SZ).
Verheiratet mit Roswitha Meyer Kälin; 2 Kinder.
Schulen in Rickenbach SZ und Einsiedeln (Matura 1971). Rechtsstudien in Fribourg, Bern (lic. iur. 1976) und Cambridge/USA (LL.M Harvard Law School 1984). Anwaltspatent 1979. Dr. iur. 1982. Habilitation 1985. Seit 1985 ausserordentlicher und seit 1988 ordentlicher Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern.
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Flüchtlingsrecht, internationaler Menschenrechtsschutz, Verfassungsgerichtsbarkeit, öffentliches Verfahrensrecht, Verfassungsrecht der Kantone. In diesen Bereichen Expertentätigkeit für Bund (u.a. im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung Präsident der Expertenkommission Justizreform), Kantone, internationale Organisationen (UNDP, UNHCR) und diverse nichtstaatliche Organisationen.
1991/92: Sonder-Berichterstatter der UNO-Menschenrechts-Kommission für Kuwait unter irakischer Besatzung. 2003-2008 Mitglied des UNO-Menschenrechts-Ausschusses. 2004-2010 Repräsentant des UNO-Generalsekretärs für die Menschenrechte intern Vertriebener.
(Quelle: Uni Bern)
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)
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