Die Angst der Reichen vor der Erbschaftssteuer
Wegen einer drohenden Erbschaftssteuer suchen viele vermögende Leute ihren Anwalt auf, um sich beraten zu lassen. Eine Volksinitiative linker Parteien verlangt, dass Multimillionäre einen Fünftel ihres Vermögens abgeben, wenn es an die Erben geht.
Mit den erwarteten drei Milliarden Franken, welche die Extrasteuer einbringen soll, möchten die Anhänger der Initiative das immer grösser werdende Loch in der Altersvorsorgekasse stopfen. Kritiker argumentieren, dass die Annahme dieser Massnahmen reiche Einzelpersonen und Familien aus der Schweiz treiben werde, wodurch den Kantonen wichtige Einnahmequellen verloren gingen.
Bundesweit gibt es zur Zeit keine Steuer auf Erbschaften oder Schenkungen, wenn Leute Vermögenswerte weitergeben.
Alle Kantone, ausgenommen der Kanton Schwyz, erheben Erbschaftssteuern in unterschiedlicher Höhe, wenn Vermögen an die nächste Generation übergeht. Die meisten Kantone kennen auch Steuern auf Schenkungen.
Die Ungleichheit anpacken
In beiden Fällen sind Ehepartner und direkte Nachkommen von der Steuer ausgenommen. Begünstigte, die nicht direkte Nachkommen sind, müssen jedoch rund 50% der erhaltenen Beträge versteuern.
Die im August lancierte Initiative fordert eine Harmonisierung der Steuern. Der Bund soll eine Schenkungs- und Erbschaftssteuer von 20% erheben, dies ab einer Erbschaft von 2 Millionen und einer Schenkung von 20’000 Franken pro Jahr.
Laut der Sozialdemokratischen Partei würde die Änderung, wenn das Volk die Initiative annimmt, Ordnung in ein chaotisches System bringen. Zudem würde die einheitliche Erbschafts- und Schenkungssteuer zu mehr Gerechtigkeit führen, indem die Reichen auf Kosten anderer nicht immer noch reicher würden.
«Die reichtsten ein Prozent der Steuerpflichtigen besitzen soviel Vermögen wie die restlichen 99 Prozent», heisst es im Kampagne-Text der SP. «Da in der Schweiz Riesenvermögen unversteuert weitergegeben werden können, wird die Vermögenskonzentration noch deutlicher. Eine Erbschaftssteuer auf grosse Vermögen würde dieser sozial-schädlichen Entwicklung entgegenwirken.»
Den Trend brechen
Während viele andere Länder nationale Erbschaftssteuern kennen, würde ein Ja an der Urne für die Schweiz eine erhebliche Änderung bedeuten, sagt Frank Lampert, Leiter der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs-Gesellschaft KMPG Schweiz.
«Damit wird der Trend der Steuerreduzierung der letzten Jahre gebrochen, der zum Ziel hatte, die Kantone für vermögende Leute attraktiver zu machen», sagte er gegenüber swissinfo.ch.
«Die Schweiz würde für reiche Leute weniger attraktiv, insbesondere für jene, die sich nach einem erfolgreichen Geschäftsleben zur Ruhe setzen und ihre Steuerangelegenheiten in eine attraktivere Umgebung verschieben wollen.»
In den 1990er-Jahren und zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatten viele Kantone die Erbschaftssteuer auf Vermögen für Familienmitglieder abgeschafft. Drastisch gesenkt wurden auch die Steuern auf Vermögen und Einkommen, um vermehrt reiche Bewohner anzulocken.
Die Finanzkrise brachte dieser Praxis allerdings einen Rückschlag. Zürich strich in einer Abstimmung die Steuerprivilegien für Reiche, und andere Kantone drohten, es ihm gleich zu tun.
Ansturm aus Angst
Die Verfasser der Erbschaftssteuer-Initiative sind zur Zeit damit beschäftigt, genügend Unterschriften zu sammeln, um ihr Anliegen vors Volk zu bringen. Bis zur Abstimmung dürfte es Jahre dauern, und eine Gesetzesänderung würde kaum vor 2016 in Kraft treten.
Aber auch wenn die Steuervorlage bei weitem noch nicht umgesetzt ist, berichten Notare und Finanzberater über einen Grossandrang in ihren Büros.
Die Panik wurde durch einen Paragraphen im Initiativtext ausgelöst: Dieser besagt, dass die neue Steuerregelung für Erbschaften rückwirkend ab dem 1. Januar 2012 gelten würde.
Die NZZ am Sonntag berichtete, dass überlastete Notare an der Zürcher Goldküste genervte Klienten abweisen mussten. Und Schenkungen an Familienmitglieder seien von Hunderten in einem normalen Jahr auf Tausende im Jahr 2011 angestiegen.
Das Fehlen einer Wegzug-Steuer bedeutet laut Lampert, dass vermögende Leute die allfällige Steueränderung umgehen könnten, indem sie vor ihrem Tod die Schweiz verlassen würden.
Aber auch jene, die bleiben, könnten der Erbschaftssteuer entkommen, indem sie zum Beispiel Immobilien in eine Stiftung transferierten oder ihre Vermögen auf die beabsichtigten Begünstigten überschrieben.
Lampert ruft die Reichen zu Zurückhaltung auf, bevor sie ihre Vermögen restrukturierten. Denn die Verschiebung von Vermögenswerten könne allenfalls zusätzliche Steuern anziehen, wie etwa Kapitalgewinne, warnte er.
Die Schweiz kennt keine Bundessteuer auf Erbschaften und Schenkungen. Die Kantone besteuern zwar Erbschaften, haben aber unterschiedliche Steuersätze.
In den meisten Kantonen werden Ehepartner und direkte Nachkommen von dieser Steuer verschont. Diese Nachsicht macht die Schweiz zu einem attraktiven Wohnort für vermögende Leute.
Die Volksinitiative, die im Sommer 2011 lanciert wurde, verlangt eine Harmonisierung der Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Der Bund soll eine Schenkungs- und Erbschaftssteuer von 20% erheben,dies ab einer Erbschaft von 2 Millionen. Ehepartner wären weiterhin ausgeschlossen, nicht aber die Nachkommen der Verstorbenen.
Schenkungen ab 20’000 Franken müssten zum gleichen Satz versteuert werden.
Sollte die Initiative angenommen werden, wird sie kaum vor 2016 umgesetzt sein. Die neue Steuer wäre aber rückwirkend ab dem 2. Januar 2012 gültig.
Zwei Drittel der 3 Milliarden erwarteten Steuererträge pro Jahr würden an die Kasse der Altersvorsorge fliessen. Die Kantone, welche die Steuer eintreiben sollen, würden den letzten Drittel erhalten.
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
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