Die Demokratisierungs-Plattform demokratisiert sich
Wecollect, die erfolgreiche Plattform zur Digitalisierung der Demokratie in der Schweiz, ist kein Ein-Mann-Betrieb mehr, sondern mit der neugegründeten Stiftung für direkte Demokratie breiter aufgestellt. Als Novum werden auch Initiativen und Referenden auf kantonaler und kommunaler Ebene unterstützt. Geblieben ist der Anspruch, die analoge direkte Demokratie mit digitalen Updates weiterzuentwickeln.
In diesem Schritt steckt viel Logik: Daniel Graf hat Wecollect, sein Pionierprojekt zur digitalen Weiterentwicklung der Demokratie SchweizExterner Link, demokratisiert. Ende Juni hat der innovative Campaigner seine 2016 gegründete Plattform für die Unterschriftensammlung für Volksinitiativen und Referenden im Internet der «Stiftung für direkte Demokratie»Externer Link übertragen.
«Zu viel Macht», «intransparent»
Fünf Jahre lang funktionierte Wecollect als Ein-Mann-Betrieb: Graf entschied alleine, welchen Komitees und Bürgerinnen er seine Plattform für digitale Kampagnen zur Verfügung stellte. Dafür erntete der Innovator auch Kritik.
Seine Auswahl bestand praktisch ausnahmslos aus Forderungen aus dem links-grünen Lager. Graf ist auch in der neuen Trägerschaft präsent – als Präsident des Stiftungsrats. Neu entscheiden aber fünf Stiftungsrätinnen und -räte darüber, wer via Wecollect auf digitale Unterschriftenjagd gehen kann. «Damit wurde die Entscheidung demokratisiert, welche Projekte Wecollect unterstützt», sagt Sophie Fürst, Mitglied des Stiftungsrats.
Demokratie-Handwerk
An der inhaltlichen Ausrichtung ändert sich mit der neuen Trägerschaft nichts. «Wir unterstützen direkt-demokratische Projekte, in denen Menschen an der Weiterentwicklung der Demokratie mitarbeiten. Denn diese braucht in der Schweiz ein Update», sagt die Geschäftsleiterin des Vereins Klimaschutz SchweizExterner Link, der für die Gletscher-Initiative verantwortlich zeichnet. Diese wurde im letzten November mit über 113’000 Unterschriften eingereicht.
Die Kampagne für die eigene Initiative dient ihr als Richtschnur. Insbesondere, was die Verbindung von offline und online betrifft. Das Sammeln von Unterschriften auf der Strasse biete für viele Menschen eine einfache Möglichkeit, partizipativ auf ein konkretes Ziel hinzuarbeiten, sagt Fürst. Dazu komme die Verknüpfung mit der digitalen Unterschriftensammlung, weil die Digitalisierung im heutigen Leben vieler Menschen schlicht eine zentrale Rolle spiele.
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Unverhandelbare Grundwerte
Auch beim Hauptzweck bleibt sich die Stiftung treu: Neben den Demokratie-Updates nennt sie generell die Stärkung der Zivilgesellschaft, ausgehend von den drei Grundwerten Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Gleichheit.
Rund 400’000 Unterschriften für 30 Vorlagen: In fünf Jahren ist Wecollect in der Schweiz zum Machtfaktor geworden. Zentral dabei sind die Mailadressen von 75’000 Unterschriftensammlerinnen und -sammlern, auf die Wecollect zurückgreifen kann.
Bei der unabhängigen und gemeinnützigen Stiftung für direkte Demokratie steht der Crowd-Gedanke im Vordergrund: Das Stiftungskapital von 50’000 Franken haben Kleinspenderinnen und -spender aufgebracht. Seit Juni haben sich rund 500 Gönnerinnen und Gönner eingeschrieben.
Zur Gründung erschien das Buch «Macht direkte Demokratie»Externer Link. Im knapp 120-seitigen Werk beleuchten Autorinnen und Autoren aus Politik, Wissenschaft und Kultur Aspekte der Zukunft der direkten Demokratie.
Geht die personelle Verbreiterung mit einer inhaltlichen Öffnung von Wecollect für Begehren aus der politischen Mitte einher? «Ich denke nicht gern im Rechts-Links-Schema», entgegnet Fürst. «Für mich steht im Vordergrund, dass die Themen der Projekte breit abgestützt sind und sich auch Leute dafür engagieren können, die sich keiner politischen Partei zugehörig fühlen.»
Auch hier könnte die Gletscher-InitiativeExterner Link ein Rollenmodell sein, reicht der Bogen der Unterstützer doch von der grünen Klimaaktivistin bis zu Politikern der Mitteparteien.
Neu auch in Kantonen und Gemeinden
Ob die Demokratisierung der Demokratisierungs-Plattform inhaltlich Erweiterungen bringt, wird sich weisen. Auf einer anderen Ebene aber betreten Fürst & Co. mit der Stiftung garantiert Neuland: Ab September unterstützt Wecollect auch Initiativen und Referenden auf kantonaler und kommunaler Ebene. Bisher war die Plattform einzig landesweiten Forderungen vorbehalten.
Ziel sei es, neuen Schwung in die direkten Demokratien auf den unteren beiden Staatsebenen zu bringen, sagt Fürst. «Insbesondere in der Lokalpolitik wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel verpasst. Wir haben den hohen Anspruch, den Menschen die Demokratie wieder schmackhaft zu machen – indem wir ihnen vermitteln wollen, dass Politik wirksam und lohnenswert sein kann.»
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Viele würden sich auch nicht getrauen, vor eine Gemeindeversammlung – das Beratungs- und Entscheidungsgremium auf kommunaler Ebene –zu treten und eine Forderung zu stellen. «Es braucht neue Instrumente und neue Wege für die niederschwellige Partizipation der Menschen. Die Stiftung versteht sich als Inkubator der Entwicklung solcher neuen Möglichkeiten», sagt Fürst.
Mit Fürst, die sich als Brückenbauerin einstuft, wird in der Stiftung das Element Vernetzung gestärkt. «Wir wollen Einzelpersonen, die eine Idee für eine Volksinitiative haben, beraten und mit Akteuren zusammenbringen, die grosses Knowhow über direktdemokratische Instrumente haben. «Wecollect kann tatsächlich sehr viel. Aber die Plattform allein reicht nicht, um eine Volksinitiative zustande zu bringen.»
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