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«Die politische Linke war auf einem Auge blind»

Erich Honecker (r.) begrüsst Helmut Hubacher, im Hintergrund Peter Vollmer: Wie nahe waren die SP-Politiker der Schweiz der DDR? Rainer Mittelstädt/Bundesarchiv.de

Die Schweiz hat bis heute versäumt, ihre Beziehungen zur DDR aufzuarbeiten, bedauert Erwin Bischof. Der Historiker und frühere Berner FDP-Grossrat hat über das vernachlässigte Stück Schweizer Geschichte ein Buch geschrieben - was bei einigen Genossen für Unmut sorgt.

Er hielt sich Geparden als Haustiere, betrieb zusammen mit seiner Frau ein Bordell und verhalf DDR-Bürgern zur Flucht in den Westen. Rund 100 Intellektuelle soll der Zürcher Hans-Ulrich Lenzlinger in den 70er-Jahren gegen Bezahlung durch den Eisernen Vorhang geschleust haben: versteckt in einem Auto, mit Hilfe eines Mini-U-Boots, zusammen mit Leoparden in einem Tiertransporter.

Dann geriet er ins Visier der Stasi. Am 5. Februar 1979 fand man Lenzlinger erschossen in seinem Büro. Bis heute ist unklar, ob die DDR-Regierung hinter dem Mord steckte.

Der Historiker Erwin Bischof hat die Geschichte des exzentrischen Lebemanns und Fluchthelfers recherchiert und aufgeschrieben.

Zu finden ist sie in seinem Buch «Honeckers Handschlag», das die Beziehungen zwischen der Schweiz und der DDR in den Jahren 1960 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1990 reflektiert.

Es ist das erste Buch, das sich derart umfassend diesem Thema widmet; Bischof hat dafür in 14 deutschen und schweizerischen Archiven geforscht, zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen geführt und bislang unveröffentlichte Schriftstücke und Briefwechsel ausgewertet.

Schwerpunkte seiner Recherche waren die Beziehungen zwischen der DDR und Schweizer Parteien, Kirchen, Vereinen, Intellektuellen und Medien.

SP-Nationalrat in DDR-Kaderschmiede?

Die Schweiz habe bislang versäumt, ihre Beziehungen zur DDR aufzuarbeiten, bedauert Erwin Bischof. 20 Jahre nach dem Mauerfall sei es höchste Zeit dafür. «Ich hoffe, mein Buch hat den Stein ins Rollen gebracht, sich mit diesem vernachlässigten Stück Geschichte zu befassen.»

Insbesondere von Wissenschaftlern sowie von linken Politikern und Intellektuellen erhofft sich der ehemalige Berner FDP-Grossrat eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema.

So habe in den 70er-Jahren und bis kurz vor dem Mauerfall ein reger Austausch zwischen der politischen Linken der Schweiz und DDR-Funktionären bestanden, der weit über blosse Sympathie hinausgegangen sei. Manche dieser Kontakte sind laut Bischof sogar bewusst vertuscht worden.

So soll der frühere Berner SP-Nationalrat Peter Vollmer als junger Mann 1973 die geheime «Parteihochschule Karl Marx» in Kleinmachnow bei Berlin besucht und dort an einem Sonderlehrgang der kommunistischen Kaderschmiede teilgenommen haben.

Bischof stützt sich dabei auf ein Protokoll der Sozialistischen Einheitspartei (SED), das Vollmers Ausbildung erwähnt. Der SP-Mann indes streitet dies ab.

Als die Tageszeitung Der Bund im Februar entsprechende Auszüge aus Bischofs Buch abdruckte, bezichtigte Vollmer in einem Brief an die Redaktion Bischof der Lüge und der politischen Beschimpfung:

Der stramm bürgerliche Bischof sei schliesslich bekannt dafür, dass er die Linke gern diffamiere. Zu keinem Zeitpunkt habe er an einer Ausbildung der DDR-Kaderschule teilgenommen, liess Vollmer verlauten. Vielmehr sei er 1973 mit einer Schweizer Delegation für die Weltjugendfestspiele in die DDR gereist und habe dabei lediglich in Kleinmachnow übernachtet.

Bischof nennt den Erklärungsversuch von Vollmer einen «lächerlichen Eiertanz»: SED- und Stasi-Akten seien seriöse und offizielle Quellen, deren Echtheit von DDR-Spezialisten bestätigt sei.

«Das war schon eine Überraschung festzustellen, was für starke Informationen da jahrelang unentdeckt in den Archiven schlummerten», sagt Bischof.

Umstrittener Berlin-Besuch

Die meisten Exponenten, die Bischof in seinem Buch erwähnt, hat der Historiker vorab informiert und gegebenenfalls angefragt, ob er deren Stasi-Akten einsehen dürfe.

Zum Beispiel auch Andreas Blum, den früheren Direktor von Schweizer Radio DRS – von dem Bischof denn auch Rückendeckung für seine Arbeitsweise erfährt: Bischof habe ihn über sein Buchprojekt in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit gegeben, einige Passagen gegenzulesen, sagte Blum der Berner Zeitung.

Das Buch wirke auf ihn «prima vista sachlich, fair und erfreulich unpolemisch». Dabei hätte das SP-Mitglied ebenfalls Grund, nicht gerade erfreut zu sein über Bischofs Darstellungen.

So schreibt Bischof ausführlich über einen mehrtägigen Besuch einer SP-Delegation von 1982 in Ostberlin, an dem auch Blum als Präsident der Aussenpolitischen Kommission sowie der damalige Parteipräsident Helmut Hubacher teilnahmen.

Als nach der Rückkehr der Parlamentarier ein Foto öffentlich wurde, das Hubacher zeigt, wie er dem DDR-Generalsekretär Erich Honecker freundlich lächelnd die Hand schüttelt, löste dies in der Schweiz eine Welle der Empörung aus.

Die Schweizer Delegation habe sich von der DDR-Führung für Propagandazwecke einspannen lassen, statt die Gelegenheit zu nutzen, kritische Fragen zu stellen, so Medien und bürgerliche Politiker.

Auch dass sich Blum als Direktor eines staatlichen Mediums an einen Tisch mit Honecker setzte, wurde als unpassend angesehen – was Blum laut Bischof heute auch so sieht.

Für Bischof steht der Handschlag zwischen Hubacher und Honecker – der auch das Cover seines Buchs ziert – als Symbol für die damalige Naivität mancher Politiker gegenüber der DDR.

Gerade linke Parlamentarier seien sehr unkritisch, «wenn nicht auf einem Auge blind», gegenüber dem totalitären und die Menschenrechte verletzenden Regime gewesen, so sein Fazit.

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre hatten Kabarettisten wie Franz Hohler oder Emil Steinberger Gelegenheit, in der DDR aufzutreten.

Im Gegensatz zu einheimischen Kulturschaffenden ergab sich dabei für ausländische Künstler eher die Möglichkeit, mit dem Publikum in Kontakt zu treten, schreibt Erwin Bischof in seinem Buch «Honeckers Handschlag».

So besuchte Emil mit seinem Programm «E wie Emil» für fünf Tage Ostberlin. Die Zuschauer seien begeistert gewesen, die Echos im Saal indes viel sanfter als im Westen, erinnert sich der Humorist an die Auftritte.

«Lachen getraute man sich nicht so richtig.»

Bevor es wieder zurückging in die Schweiz, musste Emil noch das Problem mit der Gage lösen. Denn die Hälfte davon musste man in der DDR lassen, beziehungsweise sich vor Ort etwas damit kaufen, «einen Flügel, ein Fernrohr oder Meissner Porzellan».

Emil hatte eine andere Idee. Einen Tag vor dem Abschiednehmen nahm er mehrere Briefumschläge und verteilte darin die Hälfte seines Honorars. «Ich wollte eine Freude machen und steckte die Umschläge am letzten Tag diskret den Leuten zu.»

Wochen später wurde Emil gebeten, eine richtige Tournee durch die DDR zu machen. Aber der Kabarettist lehnte ab. Nicht, weil man nur die Hälfte der Gage mit nach Hause nehmen durfte, sondern weil er es nicht gut fand, dass nur Funktionäre Eintrittskarten bekamen. «Für diese wollte ich nicht unbedingt spielen.»

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