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Die Schweiz als Retterin der EU?

Micheline Calmy-Rey im Gespräch mit Gabriele Albertini, dem Präsidenten des Parlamentarischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Keystone

Könnte die Schweiz dank ihrem Netz von Doppel-Besteuerungs-Abkommen, das sie knüpft, "ein Teil der Lösung" in der europäischen Krise sein? Diesen Eindruck hatte zumindest Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey am Ende ihres Abschiedsbesuchs in Brüssel.

Die auf Ende Jahr zurücktretende Schweizer Aussenministerin war am Dienstag vom aussenpolitischen Parlamentsausschuss der Europäischen Union zu einer Anhörung über die Partnerschaft zwischen der Schweiz und der EU eingeladen.

Am Abend nahm Calmy-Rey in einem schweizerisch-festlich herausgeputzten Nachtlokal in einem Waldstück mitten in der belgischen Hauptstadt an einer «Soirée Suisse» teil.

In ihren Reden gab sich die Genferin versöhnlicher – oder zumindest weniger provokativ – als sonst üblich.

Solidarischer Partner

Die Schweiz sei ein «solidarischer Partner» der EU, betonte sie vor den EU-Parlaments-Abgeordneten. Bern leiste einen finanziellen Beitrag zur Reduktion der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb der Union, baue Alpen-Transversalen und beteilige sich an Friedensmissionen in Bosnien und Kosovo.

Weiter sagte Calmy-Rey, die Schweiz spiele via Internationalen Währungsfonds (IWF) und Schweizerische Nationalbank (SNB) auch eine Rolle bei der wirtschaftlichen Stabilisierung Europas. Und diese Rolle könnte noch wachsen, dank «Rubik» – so heisst der Code für die Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA), welche die Schweiz im August mit Deutschland und Grossbritannien vereinbart hat.

«Die europäischen Parlamentarier haben die Schweiz von dem Moment an als Teil der Lösung (der Krise) betrachtet, nachdem eine Abgeltungssteuer (erhoben von den Schweizer Banken auf Vermögen von nicht in der Schweiz ansässigen Ausländern) ein bisschen Geld in die Kassen der Länder in wirtschaftlichen Schwierigkeiten fliessen lassen könnte. Die Schweiz ist also nicht Teil des Problems», so Calmy-Rey.

Die Schweiz sei offen für die Verhandlung weiterer solcher Abkommen. So habe zum Beispiel Griechenland Interesse angemeldet. Die Zustimmung des Bundesrates vorausgesetzt, könnten die Verhandlungen mit Athen offenbar in den nächsten Wochen beginnen.

Das schwer verschuldete Griechenland leidet unter einer Kapitalflucht ins Ausland, die von Experten auf 200 Milliarden Euro geschätzt wird. Auch Frankreich und Italien könnten an einer Abgeltungssteuer der Schweiz interessiert sein.

Pünktchen auf dem i

Zudem stehen der Schweiz weitere, nicht minder sensible Verhandlungen mit der EU bevor. Die Union möchte ihren Beziehungen mit der Schweiz einen institutionellen Rahmen geben, den diese zur Zeit nicht haben.

Brüssel strebt Mechanismen an, die eine rasche Angleichung der zahlreichen bilateralen sektoriellen Abkommen an EU-Recht und eine effizientere Überwachung deren Anwendung durch die Schweiz ermöglichen.

Micheline Calmy-Rey erklärte dazu, die Schweiz sei keine Insel, und mit «ein bisschen positiver Sachlichkeit» könnten auch die institutionellen Fragen mit der EU gelöst werden. Damit setzte sie das Pünktchen auf das i.

«Madame Bilatérales» – die Aussenministerin verkörpert die europäische Integrationsstrategie der Schweiz, die einen EU-Beitritt beharrlich verweigert – gestand zwar, auch Bern habe ein grosses Interesse an einer Klärung der Spielregeln, aber nicht zu jedem Preis.

Es stehe ausser Frage, dass die Schweiz die Abkommen automatisch an EU-Recht anpasse und damit ihre Souveränität verschenke. Auch wolle man den institutionellen Fragen nicht Vorrang geben in dem Moment, wo die Schweiz mit der EU neue Abkommen in den Bereichen Landwirtschaft und Energie oder über den Marktzugang von Pharma-Produkten schliessen möchte. Hier brauche es ein «globales und koordiniertes Vorgehen», so die Bundespräsidentin.

SVP am Pranger

Die EU ist also gewarnt. Aber nicht nur sie: Die Aussenministerin nahm auch die Schweizerische Volkspartei (SVP) ins Visier – und dies zwei Wochen vor den nationalen Parlamentswahlen am 23. Oktober.

Die Idee der SVP, die Personenfreizügigkeit aufzukünden und mit der EU neu zu verhandeln, «ist das Dümmste, was man sagen kann», so Calmy-Rey.

Während ihrer 9 Jahre dauernden Karriere als Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat Micheline Calmy-Rey alle eidgenössischen Abstimmungen zur Europa-Politik «gewonnen».

5. Juni 2005: Das Stimmvolk beschliesst mit 54,6% den Beitritt der Schweiz zu den Schengen- und Dublin-Abkommen.

25. September 2005: 56% der Abstimmenden sind für eine Ausweitung des Personenfreizügigkeits-Abkommens auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten.

26. November 2006: Das Schweizer Volk akzeptiert mit einem Stimmenanteil von 53,4%  einen Beitrag von 1 Mrd. Franken für die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und Demokratisierung in den Staaten Osteuropas (Kohäsion)

8. Februar 2009: 59,6% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sprechen sich für die Ausweitung des Personenfreizügigkeits-Abkommens auf Bulgarien und Rumänien aus.

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

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