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Die Schweiz möchte ihren IWF-Sitz behalten

Die Schweizer Delegation an der IWF-Pressekonferenz: (v.l.n.r.): Nationalbankpräsident Philipp Hildbrand, Hans-Rudolf Merz und Seco-Direktor Jean-Daniel Gerber. Keystone

Der internationale Druck gegen den Schweizer Sitz im Exekutivrat des Internationalen Währungsfonds nimmt zu - nicht nur aus den Schwellenländern, sondern auch aus den USA. Der scheidende Finanzminister Hans-Rudolf Merz verteidigte am Freitag den Schweizer Anspruch.

An einer Medienkonferenz am Rand des Gipfels der G-20-Minister und am Vorabend der Herbstsitzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank plädierte Hans-Rudolf Merz für eine Beibehaltung des Schweizer IWF-Exekutivratssitzes. Derzeit wird die Schweiz von Polen, Serbien und sechs weiteren Ländern aus Zentralasien unterstützt.

Der Bundesrat nannte mehrere Argumente für ein Verbleiben der Schweiz. Erstens sei das Land kein EU-Mitglied. Er argumentierte, dass nur ein EU-Mitglied, nämlich Polen, die Schweiz unterstütze. Weiter wies er auf die wirtschaftliche und finanzielle Bedeutung der Schweiz hin, auf die Rolle des Schweizer Frankens und den finanziellen Beitrag, den sie zum Funktionieren des IWF leiste. Dies alles rechtfertige die Erhaltung des Schweizer Sitzes.

Mehr Einfluss

Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Mexiko, Südafrika und die Türkei verlangen schon seit längerer Zeit mehr Einfluss im politischen Organ des IWF. Dabei werden sie von den Vereinigten Staaten unterstützt, die ihre diesbezüglichen Aufrufe seit dem Beginn der globalen Finanzkrise im Jahr 2007 verstärkt haben und sagen, die europäischen Länder seien im Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Gewicht überrepräsentiert. Macht und Einfluss, Gremien und Entscheidungsstrukturen sollen den neuen weltwirtschaftlichen Realitäten angepasst werden.

Bleibe die Schweizer Stimmengruppe in der gegenwärtigen Zusammensetzung bestehen, würde sie mit den Ideen, die jetzt diskutiert würden, nach Quotenanteilen sogar einen Rang nach vorne – auf Nummer 19 – rücken. «So gesehen habe ich eigentlich keine Bedenken bekommen, was den Schweizer Sitz betrifft», sagte Merz.

Im Exekutivrat befinden sich auch noch andere kleinere Länder wie Belgien, das auf Platz 20 der globalen Wirtschaftsmacht kommt, oder Dänemark auf Platz 31.

Auf dem Weg zu einer Neuverteilung

Die Schweiz und die anderen europäischen Länder anerkennen, dass die Verteilung der Stimmen im IWF überholt ist. Sie haben deshalb Kompromissvorschläge eingebracht, um ihre eigene Autorität zu erhalten.

So schlägt Deutschland vor, dass die EU-Mitgliedsländer freiwillig zwei Sitze abgeben und von der Tradition abrücken, dass ein Europäer die IWF-Direktion präsidieren muss. Die Schweiz unterstützt eine neue Verteilung der Quoten und hofft, dass dies vor allem den Entwicklungsländern nützt, die weniger gut repräsentiert sind.

China verlangt jedoch mehr Entgegenkommen aus Europa und die Regierung Obama fordert die Europäer auf, «Zugeständnisse zu machen», wie Dan Hamilton sagt, ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Aussenministeriums und jetziger Direktor des Center for Transatlantic Relations an der Johns Hopkins Universität in Washington.

Vor den Treffen von IWF und Weltbank haben die USA gefordert, das 24-sitzige Exekutivdirektorium wieder auf 20 Sitze zu reduzieren, wie es das Reglement der Organisation vorschreibt.

Aber weshalb stehen die USA Schwellenländern wie China bei, auf Kosten der traditionellen europäischen Verbündeten? «Es beunruhigt die USA, wenn die Schwellenländer nicht im Exekutivdirektorium des IWF integriert sind. Denn dann werden sie im internationalen Finanzsystem weiterhin Spieler ohne Verantwortung sein», erklärt Dan Hamilton.

«Die Haltung der Obama-Administration ist Teil einer gewissen Weltanschauung. Vielleicht soll sie aber auch verhandlungstaktisch genutzt werden, um China zu Zugeständnissen zu bewegen», sagt Ian Vasquez, Direktor des Zentrums für Globale Freiheit und Wohlstand am Cato Institute in Washington, einer öffentlichen Politik- Forschungseinrichtung, einem Think Tank.

US-Hegemonialpolitik unter Kritik

Nicht nur der Schweizer Anteil an der Weltwirtschaft hat sich in letzter Zeit nicht erhöht. Den Vereinigten Staaten ergeht es gleich. Deshalb werden auch sie aufgefordert, vor ihrer eigenen Tür zu kehren und nicht bloss auf eine Reduzierung des Einflusses der Europäer im IWF zu setzen.

Das Infragestellen der Dominanz der Vereinigten Staaten im IWF war über lange Zeit ein Tabu. Heute tritt auch Belgien, das den halbjährigen EU-Vorsitz inne hat, dafür ein, dass die Amerikaner ihr De-facto-Vetorecht aufgeben, indem sie ihr IWF-Aktienkapital auf unter 17% verringern.

Ian Vasquez und andere Intellektuelle der amerikanischen Rechten möchten den IWF am liebsten «aufgeben», da er ihrer Ansicht nicht mehr in die globalisierte und liberalisierte Weltwirtschaft passt.

«Einen Sitz im IWF zu haben ist auch eine Frage von Prestige und Einfluss», sagt jedoch Dan Hamilton von der Johns Hopkins Universität. «Stimmt», sagt Ian Vasquez, «aber der andere Grund, weshalb jeder einen IWF-Sitz haben möchte, ist, dass die Organisation reicher ist als je zuvor. Es existieren ungenutzte Ressourcen von über einer Milliarde Milliarden Dollar.» Dies sei beispiellos in der Geschichte des IWF.

Der IWF und die Weltbank gehören zu den sog. Bretton-Woods-Institutionen, die 1944 am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Initiative der USA geschaffen wurden.

Der IWF soll mit Krediten vorübergehende Zahlungsbilanz-Krisen von Mitgliedländern auffangen. Später hat sich die Rolle des IWF geändert.

Weil Industrieländer nicht mehr in Zahlungsbilanzkrisen gerieten, engagiert sich der IWF seit den Achtzigerjahren immer mehr in Schwellenländern, vor allem in Lateinamerika.

Das Betriebsbudget des IWF für 2700 Angestellte beträgt eine Milliarde Dollar. In letzter Zeit haben die Einnahmen abgenommen, einerseits wegen der Schuldentilgung bei den ärmsten Ländern und andrerseits wegen der Tendenz der Schwellenländer, Finanzhilfen auf dem privaten Markt zu suchen.

Übertragung und Adaption aus dem Französischen: Etienne Strebel

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