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Die Schweiz rückt leicht nach rechts

Die kantonalen Wahlen in Zürich gelten als Barometer für die eidgenössischen Wahlen im Herbst. Keystone

Die politische Rechte wächst, und die Freisinnigen erheben nach Jahren des Niedergangs ihr Haupt, während die politische Mitte an Zuspruch verliert; die Linke kann sich halten, doch am grünen Rand blättert es. Dieser Trend ergibt sich aus den jüngsten kantonalen Wahlen. Die Frage ist, ob dieser Trend auch bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst anhält.

Erstmals nach 20 Jahren ist die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) in diesem April als Siegerin aus den Wahlen im Kanton Zürich hervorgegangen. Die liberale und historische Partei, die an der Gründung des modernen Bundesstaates 1848 entscheidenden Anteil trug, konnte einen Vormarsch um 4,4 Prozent auf 17,3 Prozentpunkte verzeichnen und im Kantonsparlament 8 Sitze hinzugewinnen (neu: 31).

Das Zürcher Ergebnis folgte auf die für die FDP erfreulichen Resultate im Kanton Luzern (+2 Sitze) und Basel Landschaft (+3). Auch im Tessin sieht die FDP wieder etwas Morgenröte: Bei den Wahlen in den Grossen Rat gewann sie einen Sitz hinzu, nachdem sie in den beiden zurückliegenden Wahlen sieben Sitze verloren hatte.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) konnte ihre Position behaupten. Analysiert man alle Kantonswahlen innerhalb der letzten vier Jahre, vermochte die rechts-konservative Partei sogar bei den Wähleranteilen leicht zuzulegen. Sie festigte so ihre Position als stärkste politische Kraft in den Kantonsparlamenten.

Recht gut schlug sich auch die Sozialdemokratische Partei (SP), zumindest in der Gesamtsumme der kantonalen Wahlen. Doch eine empfindliche Schlappe musste die SP in Basel-Landschaft einstecken. Nach 90 Jahren ununterbrochener Präsenz im Regierungsrat verlor die SP ihren einzigen Repräsentanten. In Luzern kam die SP-Kandidatin bei den Regierungsratswahlen im ersten Wahlgang auf ein miserables Ergebnis (der zweite Wahlgang findet am 10. Mai statt).

Unter dem Strich verlor die Linke aber Wähleranteile, da die Grünen einige happige Wahlniederlagen verkraften mussten. So konnten die Grünen im Kanton Zürich etwa ihren Regierungsrat nicht bestätigen und verloren 6 von 19 Mandaten in der Legislative, in Baselland vier Kantonsräte, in Luzern zwei und im Tessin einen.

Die Mitte-Parteien haben ebenfalls an Wählerzuspruch eingebüsst. Zwar konnten die Christlichdemokraten (CVP) in den letzten vier Monaten ihre Stellungen verteidigen, doch innerhalb der letzten vier Jahre hat die CVP in den Kantonsparlamenten 30 Sitze verloren, so viele wie keine andere Partei.

Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), die erst 2008 in Folge einer Abspaltung von der SVP gegründet worden war, erlitt just im Kanton Bern, ihrem Stammland, eine empfindliche Niederlage und büsste 11 von 25 Mandaten ein.

Nicht viel besser erging es den Grünliberalen, die ebenfalls noch nicht so lange in der Schweizer Politlandschaft mitmischen. Die Partei wurde 2007 gegründet. Nach etlichen Wahlsiegen kam es zum Marschhalt, ausgerechnet in Zürich, wo die Partei zuvor grosse Erfolge feiern konnte. Nun verlor sie fünf Sitze. Und dies, nachdem ihre Volksinitiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» im Januar von mehr als 90 Prozent der Wählenden versenkt worden war.

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Grundsätzliche Stabilität

Welche Schlüsse lassen sich aus den Ergebnissen der Kantonswahlen in Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst ziehen? Für Politologen ist es nicht einfach, Vorhersagen zu machen. Bis vor einigen Jahren waren die eidgenössischen Wahlen der Spiegel der Kantonswahlen. «Heute ist der Bezug weniger stark, da die nationalen Wahlkampagnen an Gewicht gewonnen haben», meint der Politologe Oscar Mazzoleni, Leiter des Instituts für Regionalpolitik an der Universität Lausanne.

Sein Kollege Georg Lutz, ebenfalls von der Universität Lausanne, unterstreicht einen weiteren Aspekt: «Die Wählerbeteiligung liegt bei den Kantonswahlen wesentlich tiefer als bei den nationalen Wahlen. In Zürich gingen bei den Kantonalwahlen 270’000 Wahlberechtigte an die Urne; bei den eidgenössischen Wahlen von 2011 waren es 420’000. Es könnte sein, dass sich die Stimmen dieser 150’000 Personen nach dem gleichen Schlüssel auf die Parteien verteilen, aber das ist wenig wahrscheinlich. Und dies gilt für die Mehrheit der Kantone. Ich sehe sehr stabile Verhältnisse, mit kleinen Vorteilen für die FDP und gewissen Verlusten für die grünen Parteien und generell für die Kleinparteien. Für SVP, SP und CVP sind keine grossen Veränderungen zu erwarten.»

Dieses grundsätzlich stabile Wählerverhalten war schon in der jüngsten SRG-Meinungsumfrage des Instituts gfs.bern deutlich geworden.

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Die Wählerschaft wünscht Stabilität

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FDP mit neuem Gleichgewicht

Die Sorgen um die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz sowie die wirtschaftlichen Folgen des starken Frankens spielen der FDP momentan in die Hände. Diese Partei wird traditionell als Wirtschaftspartei gesehen. Doch es gibt andere Gründe. «Die FDP hat wieder ein gewisses Gleichgewicht gefunden. Sie präsentiert sich als rechte bürgerliche Partei, zeigt aber, dass sie nicht die kleine Schwester der SVP ist. Das Verhältnis zur SVP hat in der Vergangenheit zu einigen Problemen geführt», hält Lutz fest.

«Die Partei erscheint geschlossener», doppelt Oscar Mazzoleni nach, «die FDP ging – wie die Wirtschaft – etwa auf Distanz in Bezug auf die SVP-Masseneinwanderungs-Initiative. Die FDP hat eine regierungstreuere Linie als die SVP. Sie ist rechts, ohne gegen Europa zu sein. Und diese Position kann sich auszahlen.»

Laut Mazzoleni muss man sich aber auch fragen, ob die FDP stärker geworden ist, oder ob ihr Erstarken mit den Schwächen der politischen Gegner zusammenhängt. So sind etwa die Anliegen der Grünen nicht mehr so zentral wie vor vier Jahren nach dem Reaktorunfall von Fukushima. «Im Energiesektor wurden wichtige Entscheidungen gefällt, und nicht nur in der Schweiz», so Mazzoleni.

Auch die anderen Parteien haben diese Themen besetzt und grüne Anliegen so parteipolitisch neutralisiert. Unter dem Strich ergaben sich dadurch wohl Vorteile für Parteien, die eher auf Wirtschaftsthemen setzen. Zumindest erklären die beiden Politologen den Rückgang von Grünen und Grünliberalen auf diese Weise.

Die Mühe der Kleinparteien

«Im Tessin, in der Westschweiz und im ländlichen Raum der Deutschschweiz scheint die Formel ‹Ökologie und Wirtschaftsnähe› weniger populär. Damit bleibt auch das weitere Wachstumspotenzial der Partei beschränkt», schreiben die Politologen Daniel Bochsler (Universität Zürich) und Pascal Sciarini (Universität Genf) in der Neuen Zürcher Zeitung.

Laut Mazzoleni sind ganz generell BDP und Grünliberale mit den klassischen Problemen kleiner Parteien konfrontiert: «Es braucht die Fähigkeit, sich in Bezug auf Themen und Politiker erneuern zu können. Für die kleinen Parteien ist dies schwierig. Diese Kleinparteien haben Aufwind, wenn es eine hohe Fluktuation an Wählerstimmen gibt, das heisst wenn sich Wählerinnen und Wähler von den grossen Parteien abwenden. Dann ergeben sich Chancen. In einer prinzipiell stabilen Lage sind die Chancen für die Kleinparteien geringer», analysiert Mazzoleni.

Ein womöglich schlechtes Resultat bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst werde nicht notwendigerweise ein Verschwinden dieser noch jungen Parteien zur Folge haben. «Wenn man die jüngste Geschichte analysiert, sieht man gleichwohl, dass nicht viele Kleinparteien überlebt haben; ein starker Verlust an Wähleranteilen bringt sie in Schwierigkeiten.»

Die CVP muss sich laut Bochsler und Sciarini allerdings gegen eine wachsende Opposition von links (SP) und rechts (SVP) verteidigen, vor allem in ihren Stammlanden, wo sich «viele traditionell Christlichdemokratische Wähler mit einem Gesellschaftsbild identifizieren, das heute stärker von der SVP vertreten wird».

Die SVP als wählerstärkste Partei könnte im Oktober sogar noch weiter wachsen, allerdings auf eher geringem Niveau. «In den letzten Jahren hat die SVP wohl ihr maximales Wählerpotenzial erreicht und muss daher aussergewöhnliche Anstrengungen unternehmen, um nochmals zuzulegen», meint Politologe Lutz. Bei anderen Parteien sei dies nicht der Fall. Diese hätten dadurch eher Wachstumsspielraum.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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