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Die Zukunft der Beziehungen Schweiz-China

Bundespräsidentin Viola Amherd mit dem chinesischen Premierminister Li Qiang
Emfpamg des chinesischen Premierminister Li Qiang durch Bundespräsidentin Viola Amherd Anfang Januar in Bern. © Keystone / Peter Klaunzer

Die Schweiz muss ihre Aussenpolitik gegenüber China neu ausrichten. Wichtige Herausforderungen sind dabei gestiegene Sicherheitsrisiken, die teils direkt von Peking ausgehen, sowie die Menschenrechte.

Die erste aussenpolitische China-Strategie der Schweiz läuft dieses Jahr aus. Derweil gewinnen die Gespräche über ein neues Freihandelsabkommen an Fahrt. Gleiches gilt für Besuche auf Ministerialebene. Doch unter den wachsenden Sicherheitsrisiken muss die Schweiz diese wichtige Beziehung neu ausrichten.

Als die Schweiz im März 2021 ihre erste China-Strategie vorstellte, legte Aussenminister Ignazio Cassis fest, welche Themen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern prägen würden: Menschenrechte und Handel.

Bern sei bereit, die sich verschlechternden Bedingungen für Dissident:innen und Minderheiten in China anzusprechen, sicherte Cassis damals vor den Medien zu. «Die Schweiz zögert nicht, Kritik zu üben, wenn die Situation dies erfordert», heisst es in der Strategie seines Ministeriums.

Im selben Monat verhängten die Europäische Union, die USA, Grossbritannien und Kanada Sanktionen gegen China wegen zweifelsfrei nachgewiesener Menschenrechtsverletzungen an muslimischen Uigur:innen in der Region Xinjiang.

Doch die Schweiz zögerte, diese zu übernehmen. Mehr als 18 Monate vergingen, bis die Regierung schliesslich beschloss, keine Sanktionen gegen ihren drittwichtigsten Handelspartner zu verhängen.

«Die Schweizer sind nicht naiv», sagt die Sinologin Simona Grano. «Sie wollen ihre Beziehungen zu China nicht gefährden – vor allem nicht jene im wirtschaftlichen Bereich und die politischen Beziehungen, die davon abhängen.»

Die Entscheidung gegen Sanktionen spiegelt das in der Strategie der Schweiz festgehaltene Ziel wider, dass sie eine «unabhängige Politik» gegenüber China verfolgen will. Angestrebt wird eine grössere Kohärenz der Schweiz im Umgang mit der wachsenden Weltmacht.

Konkret will sich die neutrale Schweiz stärker mit jenen zusammentun, die ähnliche Werte teilen. Wie zum Beispiel Europa. Sie will dies aber nur tun, wenn die Situation ein solches Zusammengehen erfordere.

Während das Schweizer Aussenministerium eine neue Strategie für 2025 plant, stellt sich für die Schweiz die Frage, ob sie diesen Kurs wird beibehalten können.

Denn viele Länder haben wachsende Sicherheitsbedenken gegenüber China, sowohl was dessen Innenpolitik als auch das Auftreten auf internationaler Ebene betrifft: Die Covid-19-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die Drohungen von Präsident Xi Jinping, China werde Taiwan notfalls mit Gewalt «zurückholen», haben Länder und auch die EU veranlasst, ihre Strategie anzupassen.

Modernisierung des Freihandelsabkommens

Das jüngste Beispiel dafür fand im Januar 2024 statt. Während die USA, Japan und die EU Taiwan zu den freien und fairen Präsidentschaftswahlen gratulierten, blieb die Schweiz still. Stattdessen rollte sie einige Tage später den roten Teppich für den chinesischen Premier Li Qiang in Bern aus. Es war dies der erste hochrangige Besuch aus Peking seit dem Besuch von Präsident Xi Jinping 2017.

Swiss parliamentarians in Taipei with Taiwan s President Tsai Ing-wen
Unter Protest von Peking: Im Februar 2023 wurden Mitglieder der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan in Taipeh von der damaligen Präsidentin Tsai Ing-wen emmpfangen. Keystone / Makoto Lin/taiwan Presidential O

«Wenn es um Taiwan geht, war die Schweiz viel vorsichtiger und hat nichts getan, was die Chinesen verärgern könnte», sagt Grano, Dozentin an der Universität Zürich. Die Schweizer Regierung, die offiziell an der Ein-China-Politik festhält, hat sich Forderungen des Parlaments widersetzt, die Beziehungen zum demokratischen Taiwan zu stärken, etwa in den Bereichen Wissenschaft und Forschung.

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Der Besuch von Li erwies sich für die Schweiz als vorteilhaft: Die beiden Partner signalisierten ihre Absicht, das 2013 unterzeichnete Freihandelsabkommen zu modernisieren.

In zehn Jahren hat sich der Wert der Schweizer Exporte nach China ungefähr verdoppelt und wird 2022 bei knapp 16 Milliarden Franken liegen. Die Aktualisierung des Freihandelsabkommens ist ein klares Ziel der neuen China-Strategie.

Externer Inhalt

Die Zeit ist reif für eine Revision, die den Schweizer Unternehmen mehr Vorteile bringt, sagt Laurent Wehrli, Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats. Zurzeit seien nicht alle Produkte abgedeckt, und die Zollverfahren verzögerten manchmal die Lieferung bestimmter Schweizer Produkte.

Eine Studie der Universität St. Gallen schätzt, dass Schweizer Exporteure immer noch rund 200 Millionen Dollar an Zöllen an China zahlen.

Da sich die chinesische Wirtschaft von der Covid-Pandemie nur schwer erholen konnte, ist Peking Berichten zufolge bestrebt, europäische Länder wie die Schweiz zu umwerben. Gerüchten zufolge wird der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin noch in diesem Jahr mit einer Wirtschaftsdelegation nach China reisen.

Für Bern wird das kein Spaziergang. Menschenrechtsaktivist:innen drängen die Schweiz, eine Menschenrechtsklausel in jedes revidierte Abkommen mit Chinaaufzunehmen.

Auf die Frage, ob er eine solche Klausel befürworten würde, sagt Wehrli, dies sei «eine Frage des politischen Willens der Schweiz und sollte bei den Verhandlungen angesprochen werden».

Ob China bereit wäre, darüber zu diskutieren, ist nicht bekannt. Die chinesische Botschaft in Bern hat auf unsere Anfrage nicht reagiert.

Transparenz bei den Menschenrechten

Beim Besuch von Li im Januar wurde auch vereinbart, eine Reihe von Dialogen – so über Wissenschaft, Migration, geistiges Eigentum und Umwelt – wieder aufzunehmen, die durch die Pandemie unterbrochen worden waren.

Ein Dialog, den die Schweiz bereits 2023 wieder hätte aufnehmen können, ist der über Menschenrechte. Diese Gespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit waren 2019 von der chinesischen Gegenseite ausgesetzt worden, weil die Schweiz öffentlich Bedenken bezüglich Pekings Politik in Xinjiang geäussert hatte.

Laut der letzten aussenpolitischen Strategie 2021/24 ist Bern jedoch weiterhin an diesen Gesprächen interessiert.

Der Dialog 2023 wurde jedoch durch ein Veto Chinas gegen die Teilnahme von fünf NGOs unterbrochen, welche die Schweiz mit am Tisch haben wollte. Das Aussenministerium in Bern sagt, dass der vertrauliche Charakter des Treffens den beiden Ländern dennoch einen «direkten, kritischen und offenen Austausch» ermöglichte.

Menschenrechtsaktivist:innen kritisieren jedoch, dass die Schweiz die Menschenrechte auf diese Weise anspricht. «Wir brauchen Transparenz», sagt Rizwana Ilham, Präsidentin der Uigurischen Vereinigung der Schweiz, eine der Gruppen, die vom Dialog ausgeladen wurden.

Eine Diskussion über Menschenrechtsverletzungen, bei der die Betroffenen nicht anwesend sind, sei «sinnlos».

Sicherheit im In- und Ausland

Die Schweiz wird sich bei ihrer zweiten Auflage der China-Strategie mit wachsenden Sicherheitsbedenken im In- und Ausland auseinandersetzen müssen. In einem Bericht der Schweizer Regierung aus dem Jahr 2023 wird die Notwendigkeit anerkannt, geopolitische Risiken im Zusammenhang mit der digitalen Infrastruktur zu verringern.

Der Bericht kam kurz nach den Vorwürfen, dass das chinesische Unternehmen Huawei, welches das 5G-Mobilfunknetz der Schweiz mit einem Schweizer Betreiber aufgebaut hat, Spione in Dänemark eingesetzt hat, wo es bereits einen 5G-Vertrag hat.

Demonstrators in Geneva near the United Nations supporting minority rights in China
Human rights groups are critical of Switzerland’s approach to addressing allegations of abuse with the Chinese. © Keystone / Martial Trezzini

Zudem wächst der Verdacht, dass chinesische Forschende auch an Schweizer Spitzenuniversitäten Wissensspionage betreiben. Dies könnte unter Umständen dazu führen, dass sich die Schweiz mit den USA konfrontiert sieht, die in eine technologische Rivalität mit China verwickelt sind.

Es sind auch Vorwürfe über die Überwachung von Chinesinnen und Chinesinnen, die im Ausland leben, aufgetaucht. «Praktisch jedes Land ist ein Ziel solcher Operationen des chinesischen Staates», sagte Laura Harth von der Menschenrechtsgruppe Safeguard Defenders gegenüber SWI swissinfo.ch.

Der Krieg in der Ukraine hat auch einen möglichen Konflikt in der Strasse von Taiwan ins öffentliche Bewusstsein geführt. Dieser rund 140 Kilometer breite Seeweg ist einer der Brennpunkte in den belasteten Beziehungen zwischen den USA und China.

Mehr Annäherung?

Einige Staaten sind bereits dabei, ihren Kurs zu ändern. Die EU beispielsweise verfolgt jetzt eine «De-Risking»-Strategie: Sie will die Abhängigkeit von China bei wichtigen Rohstoffen und Produkten verringern.

Gleichzeitig will die EU gegenüber Peking Kanäle offenhalten, um ihre Bedenken in Bezug auf andere Themen – wie etwa Taiwan – zu äussern. Die deutsche China-Strategie, die im Juli 2023 angekündigt wurde, räumt ein, dass «China sich verändert hat und wir deshalb unseren Ansatz ändern müssen».

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Im vergangenen Jahr hat das Schweizer Aussenministerium seine eigene China-Strategie überprüft. Es lehnte es ab, sich zu den wichtigsten Ergebnissen zu äussern, erklärte aber, dass der Text für die politische Kohärenz und die Vertretung der Interessen und Werte der Schweiz weiterhin wertvoll sei.

In Bern wird die Notwendigkeit einer Änderung des Ansatzes jedoch vor allem im Parlament deutlich, wo die Meinungen in Fragen wie der Achtung der Menschenrechte und der Unterstützung Taiwans zunehmend von denen der Regierung abweichen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern in Europa hat die Schweiz jedoch die zusätzliche Herausforderung ihrer Neutralität. Nachdem diese in Frage gestellt wurde, weil sich Bern nach dem Einmarsch in die Ukraine Sanktionen gegen Russland angeschlossen hatte, will das Land seinen Ruf als neutraler Staat in den Augen der Chinesen wahren.

Die Schweiz ist sehr daran interessiert, dass China an der für dieses Jahr geplanten Friedenskonferenz für die Ukraine teilnimmt. Auch dazu reist Aussenminister Cassis noch im Februar nach China, um das Land an den Verhandlungstisch zu holen. China ist während des gesamten Konflikts ein wichtiger Verbündeter Russlands geblieben.

«Natürlich will die Schweiz aufgrund ihrer besonderen Situation als neutrales Land ihre eigene Politik verfolgen», sagt Grano. Aber auch die Strategie 2021 zeige, «dass man als kleiner Staat stärker ist, wenn man sich mit Ländern, die ähnliche Werte teilen, besser koordiniert», fügt sie hinzu.

Die Schweiz könnte sich letztendlich dazu gezwungen sehen, sich mit diesen Ländern zusammenzuschliessen. Das gilt auch in Bezug auf die USA, ihren zweitgrössten Handelspartner. Die USA könnte aufgrund ihrer Rivalität mit China die Schweiz unter Druck setzen und fordern, dass sie sich für eine Seite entscheiden müsse.

Und sollte es zu einem Konflikt in der Strasse von Taiwan kommen, wird die Schweiz dieses Mal wahrscheinlich nicht mit Sanktionen zögern, glaubt Grano: «Wenn China irgendetwas tun würde – und wir hoffen, dass es das nicht tut – glaube ich, dass die Schweiz Sanktionen verhängen würde.»

Editiert von Virginie Mangin; Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi

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