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Schweizer Regierung findet den «Reset-Knopf»

Eine EU- und eine Schweizer-Fahne stehen vor einer geschlossenen Glastür.
Verhandeln hinter verschlossener Tür: Bisher kommunizierte der Bundesrat verhalten über seine EU-Strategie. Mit Cassis könnte sich das ändern. Keystone

Wer erwartet hat, dass die Schweizer Landesregierung in der Europapolitik das Rad neu erfindet, der dürfte enttäuscht sein. Aber gemessen an dem, was realistisch ist, lässt sich nach der Präsentation von Aussenminister Ignazio Cassis festhalten: Der Bundesrat hat den viel zitierten "Reset-Knopf" gefunden – und ihn auch betätigt.

Er hat sich die Zeit genommen, in drei Sitzungen die Reihen zu schliessen. Er sagt klar, wozu er nicht bereit ist: Abstriche bei den flankierenden Massnahmen zum Schutz vor Lohndumping sind ein No-Go. Bei der Frage der staatlichen Beihilfen, der öffentlichen Gelder für Wirtschaftszweige oder einzelne Unternehmen will er sich von der EU nicht dreinreden lassen.

Die Schweizer Regierung hat ihre Position für die weiteren Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen konsolidiert. Aussenminister Ignazio Cassis präsentierte am Montag vor den Medien die Strategie.

Der Bundesrat sagt aber auch, wozu er bereit ist: Bei der Frage, wie man einen Streit zwischen der Schweiz und der EU beilegt, strebt er eine Lösung mit einem Schiedsgericht an. Und ein Stromabkommen mit der EU ist jetzt klar ein Ziel des Bundesrates.

Ein Reset gibt es nicht nur in Bezug auf den Inhalt, sondern auch in der Art und Weise, wie dieser Inhalt vermittelt wird. Bundesrat Cassis und Chef-Unterhändler Roberto Balzaretti bemühen sich sichtlich, im Detail und auf anschauliche Weise zu erklären, was Sache ist. Das erinnert zwar phasenweise an eine universitäre Vorlesung, kann aber sicher nicht schaden, wenn Politik und Bevölkerung vom eingeschlagenen Weg überzeugt werden sollen.

Externer Inhalt

SVP lehnt das Konzept klar ab

Die klaren Konturen und verständlichen Worte zeigen denn auch bereits Wirkung: Mit dem Schiedsgericht entschärft der Bundesrat das heikle Thema fremde Richter, weil immerhin ein Schweizer Richter oder eine Richterin darin Einsitz nehmen könnte. Das besänftigt die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) und die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP). 

Indem er die flankierenden Massnahmen nicht antastet, beruhigt der Bundesrat die linken Parteien und die Gewerkschaften. Und mit seiner roten Linie bei den staatlichen Beihilfen holt er die Kantone ins Boot.

Klar abgelehnt wird das bundesrätliche Europa-Konzept heute einzig noch von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ihr ist das alles zu wenig «Reset». Insgesamt lässt sich sagen: Ein solches Europakonzept hätte gute Chancen, eine Mehrheit im Parlament und beim Volk zu finden.

EU könnte «Delete»-Taste drücken

Bloss braucht es für Verhandlungen immer zwei – und die EU dürfte an der neuen bundesrätlichen Einigkeit kaum Gefallen finden. Dass ein Schiedsgericht EU-Recht auslegt, kommt für sie nicht in Frage. Bei der Frage der staatlichen Beihilfen will sie entscheiden können, was zulässig ist – und zwar bei allen Marktzugangsabkommen und nicht bloss beim Stromabkommen, wie dies dem Bundesrat vorschwebt.

Und letztlich fordert Brüssel seit Jahren ein Rahmenabkommen, weil die EU Teile der flankierenden Massnahmen als klare Verstösse gegen das Abkommen über die Personenfreizügigkeit einstuft. Wenn der Bundesrat diesen Bereich nun als unantastbar definiert, dann dürfte Brüssel rasch einmal die «Delete»-Taste betätigen.

Kommentare der Schweizer Presse – ein Überblick

«Die Schweiz scheint nun endlich wieder einen Plan zu haben, was sie in der Europapolitik will», stellt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) schon fast erleichtert fest. Und Tages-Anzeiger und Der Bund finden: Was der Bundesrat beschlossen und am Montag präsentiert habe, «ist zwar kein Neustart, aber eine Justierung des Verhandlungsmandats».

Die Westschweizer Zeitungen 24heures und La Tribune de Genève äussern sich kritischer. Der «Reset» von Cassis sei lediglich eine «Marketing-Spielerei», schreiben sie. La Liberté sieht das ähnlich: «Cassis macht Neues aus Altem», schreibt sie. Ziel des Bundesrats sei immer noch ein Rahmenabkommen.

Das Schiedsgerichtmodell sei für beide Seiten ein «akzeptabler Weg», glauben Tages-Anzeiger und Der Bund. Doch «die Feinmechanik wird sich nur juristischen Experten vollends erschliessen. Deshalb wird die SVP gegen jedes solche Abkommen zur Entscheidungsschlacht für die Unabhängigkeit der Schweiz aufrufen können.» Auch die NZZ bleibt skeptisch: Das «Schiedsgerichtsmodell wirkt verlockend. Nur: Eine Zauberformel, welche die Probleme löst, ist es nicht. Der Teufel steckt wie so oft im Detail».

Entscheidend für eine innenpolitische Akzeptanz der bundesrätlichen EU-Strategie sei «wie bei allen bisherigen europapolitischen Abstimmungen, dass SP, CVP und FDP geschlossen dahinter stehen können», schreiben Tages-Anzeiger und Der Bund. «Für diesen Schulterschluss hat der Bundesrat den Anfang gemacht.»

Für die NZZ ist die Art und Weise zentral, wie die Regierung in der Öffentlichkeit kommuniziert. Sie gibt Cassis gute Noten: Seit langem habe niemand mehr der Bevölkerung die bundesrätliche Strategie «so nüchtern und verständlich erklärt.» Der Unterschied zum Vorgänger von Cassis, «der die Öffentlichkeit immer mehr scheute, war frappant».

Auch diese Einschätzung teilen 24heures und La Tribune de Genève nicht: Der neue Aussenminister gehe in den Spuren seines Vorgängers, er sei einfach kommunikativ etwas talentierter, meinen sie.

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