Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Für diese Arbeit braucht es einen langen Atem»

Didier Burkhalter: fehlendes Charisma, aber ist das für seinen Job wirklich nötig? Keystone

Der Besuch von Aussenminister Didier Burkhalter in Paris zeigt seinen Willen, die Schweiz ihren Nachbarn näher zu bringen. Burkhalters Bemühungen nach acht Monaten im Amt werden begrüsst, sein diskreter Stil aber spaltet die Parlamentarier.

Burkhalter, seit dem 1. Januar Aussenminister, hatte angekündigt, die Annäherung an die Nachbarstaaten der Schweiz sei eines der vier strategischen Ziele der Schweizer Aussenpolitik für die Legislatur 2012 bis 2015.

Dieser Wille manifestiert sich in letzter Zeit auch angesichts der zunehmenden Anzahl von bilateralen Treffen.

«In acht Monaten hat er bereits all seine Amtskollegen der Nachbarländer mindestens einmal im Rahmen von offiziellen Treffen gesehen», erklärt Jean-Marc Crevoisier, Pressechef des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Bleibt abzuwarten, ob diese Arbeit auch langsam Früchte zu tragen beginnt. Gemäss verschiedenen von swissinfo.ch kontaktierten Beobachtern zeichnen sich gewisse Tendenzen ab.

EU zieht Ende Jahr Bilanz

Laut Crevoisier haben diese Treffen erlaubt, Kontakte zu knüpfen und die Positionen der Schweiz bei den europäischen Partnern besser bekannt zu machen. Dies sei umso wichtiger, als die Europäische Union (EU) Ende Jahr, wie alle zwei Jahre wieder, Bilanz über ihre Beziehungen zur Schweiz ziehe.

«Wir kommen bei unseren europäischen Partnern nicht schlecht an», beobachtet der EDA-Pressechef. «Doch es ist eine Arbeit, für die es einen langen Atem braucht.»

Christian Lüscher, Parteikollege des freisinnigen Bundesrats Burkhalter und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats, sieht die Arbeit ebenfalls in positivem Licht: «Er konnte sich als Verteidiger der Souveränität unseres Landes profilieren, aber auch als jemand, der sich stark für die Entwicklung der internationalen Beziehungen zu unseren Nachbarn einsetzt», so der Nationalrat.

Die APK-Mitglieder Christoph Mörgeli (Schweizerische Volkspartei) und Carlo Sommaruga (Sozialdemokratische Partei) hingegen stellen in Burkhalters Arbeit nicht wirklich überzeugende Ergebnisse fest.

Sommaruga geht sogar noch weiter in seiner Kritik: «In den verschiedenen Steuerstreitigkeiten stelle ich so gut wie keine Verbesserung fest. Vielmehr nehmen die Spannungen mit Deutschland zu, die festgefahrenen Verhandlungen mit Italien haben sich nicht ein Jota bewegt, und mit Frankreich hat sich der Streit auf Grund der Diskussionen um die Erbschaftssteuer verschärft.»

Der Christlichdemokratische Nationalrat Jacques Neirynck, auch er Mitglied der APK, gibt sich fatalistisch: «Didier Burkhalter hat zwar Absichtserklärungen abgegeben, doch die Entwicklung der Dinge hängt nicht von ihm ab, sondern von der EU. Und diese hat derart viele grosse Probleme zu lösen, dass die spezifischen Forderungen der Schweiz sicher nicht erfüllt werden, ganz egal, wer dem EDA vorsteht», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Diskretion: Trumpf oder Handicap?

Für viele Politiker ist Didier Burkhalter ein Bundesrat ohne Ecken und Kanten. «Er ist etwas bürokratisch, ihm fehlt das Charisma», sagt Mörgeli. «Vielleicht hat er ein kleines Problem, wenn es ums Kommunizieren geht.»

Doch hat dieses fehlende Charisma einen Einfluss auf seine Arbeit an der Spitze der schweizerischen Diplomatie? Die meisten der Befragten glauben, dass dies nicht der Fall ist. im Gegenteil, Diskretion und Ruhe seien in der stillen Welt der Diplomatie eher ein Trumpf.

Etwas weniger diplomatisch gibt sich Sommaruga, indem er auf ein «echtes Problem» hinweist: «Man hat heute das Gefühl, dass er es nicht schafft, die Führerschaft in der Aussenpolitik zu übernehmen. Normalerweise gibt das EDA den Ton an und die anderen Departemente arbeiten die technischen Lösungen aus. Doch wegen seiner unscheinbaren Person und seinen zurückhaltenden Reden sind es die anderen Departemente, die in der Politik mit unseren Nachbarn federführend sind.»

Und tatsächlich ist es in den wichtigsten Auseinandersetzungen mit diesen Ländern immer öfter Finanzministerin und Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf, die sich äussert. Doch für die anderen kontaktierten APK-Mitglieder ist diese Situation durchaus normal.

«Es ist logisch, dass sich Widmer-Schlumpf in den Verhandlungen mit der EU häufig äussert», sagt Neirynck. «Da es sich um Finanzprobleme handelt, ist es an ihr, zu verhandeln. Das sind sehr technische Fragen, die von Leuten behandelt werden müssen, die etwas von der Materie verstehen.»

Jean-Marc Crevoisier ergänzt: «Wir möchten die verschiedenen Schritte koordinieren. Um eine sportliche Metapher zu nehmen: Es spielt keine grosse Rolle, wer den entscheidenden Pass spielt. Wichtig ist allein, dass die Schweizer Regierung das Tor schiesst. Das ist Teamarbeit.»

im Schatten von Calmy-Rey

Das Problem der schwachen Präsenz von Didier Burkhalter rührt sicher vom Vergleich mit seiner Vorgängerin Micheline Calmy-Rey her, die sich oft in Szene setzte.

Aber für Neirynck ändert das grundsätzlich nichts. «Ich glaube nicht, dass es eine Richtungsänderung gibt», sagt er. «Frau Calmy-Rey war in europäischen Fragen ebenfalls offen. Geändert hat sich vor allem die Person, die Farbe, der Stil. Sie machte aufsehenerregende Erklärungen und ergriff Initiativen, während Didier Burkhalter versucht, sich weniger in den Vordergrund zu drängen.»

Nicht alle Meinungen sind indessen so neutral. «Frau Calmy-Rey handelte wie die Vertreterin einer Nichtregierungs-Organisation, was ein Problem war», sagt Christoph Mörgeli. «Didier Burkhalter hat mehr Systematik in seiner Politik und arbeitet auf klassischere Art.»

Diesen Stilwechsel haben auch ausländische Beobachter der Schweizer Politik wahrgenommen. Namentlich der Korrespondent von Radio France Internationale (RFI) in Genf.

«Frau Calmy-Rey hat viel Staub aufgewirbelt und war ungeschickt», sagt Laurent Mossu. «Die Arbeitsweise von Didier Burkhalter hingegen ist ziemlich gut. Er hat recht viele Themen angepackt, und das hat man gut gesehen. Sein Kurs ist interessant, obwohl es noch zu früh für konkrete Ergebnisse ist.»

Bei seinem Besuch in Paris hat Aussenminister Didier Burkhalter am Donnerstag mit seinem französischen Amtskollegen Laurent Fabius auch über das Erbschaftsbesteuerungs-Abkommen gesprochen.

«Ich habe die Probleme erläutert, die es bei der Aufnahme des Abkommens in der Schweiz gibt», sagte Burkhalter nach dem Treffen vor den Medien.

Beide Seiten vereinbarten eine Denkpause, in der die stritten Punkte noch einmal überarbeitet werden sollten.

Laut Burkhalter ist das Abkommen paraphiert, vom Bundesrat aber noch nicht unterzeichnet worden.

Frankreich will künftig Erben auch dann besteuern, wenn Verstorbene zuletzt in der Schweiz gelebt hatten. Der Satz soll bis 45% des Erbes betragen.

Heute zahlen französische Erben in einem solchen Fall die Erbschaftssteuer in der Schweiz.

Der neue französische Präsident Hollande hatte im Juli eine Neuregelung der Erbschafts-Steuer verlangt. Diese ist Teil des Doppelbesteuerungs-Abkommens.

In der Steuerfrage hat sich Burkhalter gegenüber Fabius weiter für ein Abkommen mit einer Abgeltungssteuer (Rubik) stark gemacht. Bisher lehnt Frankreich einen solchen Vertrag ab.

Stattdessen pocht Paris bislang auf den automatischen Informationsaustausch, den auch die EU fordert. Fabius habe die Bereitschaft zugesichert, das Dossier der Abgeltungssteuer zu prüfen, so Burkhalter.  

Ferner stimmten beide überein, dass Verhandlungen über Steuerfragen auf gesamteuropäischer Ebene statt wie bisher bilateral geführt werden sollen.

Rubik-Abkommen über eine Abgeltungssteuer haben bereits Deutschland, Grossbritannien und Österreich ratifiziert. Die Abkommen sind aber noch nicht in Kraft.

Thema am Quai d’Orsay war auch ein möglicher Besuch des französischen Präsidenten François Hollande in der Schweiz, wie ihn Bundespräsidentin Evelyne Widmer-Schlumpf angeregt hatte. «Dieser Besuch wird stattfinden, aber es ist noch kein Datum fixiert», sagte dazu Didier Burkhalter.

Neben den multilateralen Kontakten auf EU-Ebene will die Schweiz die Beziehungen mit ihren direkten Nachbarn intensivieren. Aktuell stehen vier Themenbereiche im Vordergrund.

Steuerpolitik: 2010 und 2011 traten Doppelbesteuerungs-Abkommen mit Frankreich, Österreich und Deutschland in Kraft. Die Schweiz musste diese aufgrund der OECD-Normen neu aushandeln. Mit Italien sind Verhandlungen im Gang. Mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich sind Abkommen über eine Abgeltungssteuer unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft.

Energie: Nach Fukushima berät sich die Schweiz mit den Nachbarn über die Sicherheit von Atomkraftwerken und Energiepolitik.

Transport: Mit Deutschland und Italien gab es Gespräche über den fristgerechten Ausbau der Nord-Süd-Transitstrecke, mit Frankreich über die Anbindung an das Hochgeschwindigkeitsnetz (TGV).

Flughäfen: Im Fluglärmstreit mit Deutschland wegen der Anflüge auf Zürich-Kloten wurde am 4. September eine Einigung erzielt. Der Flughafen darf neu nicht mehr in der Nacht aus Süddeutschland angeflogen werden. Der entsprechende Vertrag muss noch ratifiziert werden.

(Quelle: EDA-Bericht über die Aussenpolitik 2011)

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub und Jean-Michel Berthoud)

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft