«Historische Niederlage für François Hollande»
Mit der herben Niederlage der Sozialisten in den Kommunalwahlen gerate Frankreichs Präsident François Hollande unter argen Zugzwang, diagnostizieren die Schweizer Zeitungen. Die Folgen der Krise im Nachbarland könnten sich auch auf die Schweiz auswirken, wird befürchtet.
Zur Mitte ihrer Regierungszeit haben Frankreichs Sozialisten eine schwere Schlappe einstecken müssen: In den Gemeindewahlen konnte die bürgerliche UMP einen grossen Erfolg erzielen, ihre Vertreter regieren neu in über 150 Städten Frankreichs. Der rechtsgerichtete Front National siegte in über zehn Städten.
«Hollande ist der grosse Verlierer», bilanziert DieSüdostschweiz. «Viele lokale Amtsträger haben der Welle der Unzufriedenheit nicht standgehalten, welche die Regierung und der Präsident ausgelöst haben», schreibt L’Express aus Neuenburg.
«Die Macht des Sozialisten und ihres Präsidenten François Hollande haben eine historische Niederlage erlitten», halten 24heures und die Tribune de Genève fest. «Die wirtschaftliche und moralische Krise schränkt den Handlungsspielraum François Hollandes ein. Dennoch könnte ihn die gestrige Ohrfeige dazu bringen, nun Leadership zu zeigen. Aber ist er dazu fähig? Das ist hier die Frage», halten die beiden Zeitungen kritisch fest.
Die Linke habe nicht einmal die eigene Wählerschaft mobilisieren können, um die Niederlage abzuwenden, die sich nach dem ersten Wahlgang abgezeichnet habe, schreibt La Regione aus dem Tessin. «Das Schweigen des Präsidenten zwischen den Urnengängen hat das Klima nur belastet, das Gefühl des Schlimmsten und Unausweichlichen lag in der Luft.»
Kommunalwahlen in Frankreich: «Niemand setzt sich mit den Arabern an den Tisch (SRF 4 aktuell vom 31.3.2014)
Ein Land im Sturm
«Sturmtief über Frankreich – Erschütterte Macht des Linkslagers», titelt die Neue Zürcher Zeitung und freut sich über den Sieg der bürgerlichen Partei UMP, die künftig über die Mehrheit der rund 1100 Städte mit über 9000 Einwohner verfügen wird. «Ein Erdrutschsieg ist das nicht, aber das Resultat bedeutet dennoch Balsam für die Bürgerlichen, die seit der Abwahl Präsident Sarkozys nur mit Skandalen und selbstzerstörerischen Führungskämpfen aufgefallen waren.»
Gedämpft werde der Höhenflug der UMP durch den Front National, der sich als ernstzunehmender Konkurrent im rechten Lager etabliert habe. «Dass die fremdenfeindliche und euroskeptische Partei Marine Le Pens erstmals in ihrer Geschichte eine zweistellige Zahl von Bürgermeistern stellen wird, ist ein Symptom der französischen Krise und ein aufsehenerregender Erfolg.»
«Front National erobert reihenweise Städte bei Gemeindewahlen», schreiben die Schaffhauser Nachrichten. «Die grossen Verlierer dieser ersten Halbzeitwahl seit der Präsidentschaftswahl von 2012 sind die regierenden Sozialisten.» Zu ihren wenigen Trostpreisen gehörten Paris, wo sich Anne Hidalgo gegen die bürgerliche Kandidatin durchsetzte, dazu Strassburg und Avignon. «Ansonsten verlieren die Sozialisten einen Gutteil jener Bastionen, die sie bei den Lokalwahlen 2008 errungen hatten», so die Schaffhauser Nachrichten.
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Marines «blaue Welle» rollt
Auch das St. Galler Tagblatt spricht von einer «Herben Niederlage» für die Sozialisten. Die «blaue Welle», sprich die Erfolge der Kandidaten des Front National in rund 11 Städten, setze Präsident Hollande unter Zugzwang. Der Präsident könnte versucht sein, einen erfahreneren Premier zu bestimmen.
Anbieten würde sich etwa Aussenminister Laurent Fabius. Die Rede ist auch von der Ex-Parteichefin Martine Aubry, die eher dem linken Flügel zugerechnet wird. «Hollandes frühere Lebenspartnerin Ségolène Royal könnte auch in die Regierung zurückkehren», mutmasst das St. Galler Tagblatt.
«Der mühsame und politisch unlesbare Start François Hollandes (…) hat die Hoffnungen weitgehend enttäuscht, die mit dem klassischen Schema Links-Rechts verbunden waren. Wachsende Arbeitslosigkeit und Unsicherheit haben zum Erfolg der ‹blauen Welle Marines› geführt», schreibt La Liberté aus Freiburg.
Für den Corriere del Ticino kann der Front National nicht mehr länger als Phänomen belächelt werden. Dies dank Marine Le Pen. «Ihr ist gelungen, die rechtsextreme Partei ihres Vaters in eine Organisation zu transformieren, die Wähler aus verschiedenen Lagern und Schichten anzieht.»
Hoffen auf Wirtschaftsaufschwung
NZZ Online sieht den «Premierminister auf dem Schleudersitz». Nach den Kommunalwahlen steht Präsident Hollande mit einer Regierungsumbildung unter Zugzwang, weshalb insbesondere die Tage von Premierminister Jean-Marc Ayrault gezählt scheinen würden.
«Allzu gross ist das Reservoir an Talenten in der Sozialistischen Partei nicht. Bewerber für die Nachfolge von Ayrault gibt es aber schon – allen voran der ambitiöse Innenminister Manuel Valls. Im Gespräch ist auch Aussenminister Laurent Fabius, der dieses Amt von 1984 bis 1986 bereits einmal bekleidet hat, als jüngster Premierminister in Frankreichs Annalen.»
«Hollandes letzte Hoffnung», überschreiben Tages-Anzeiger und der Berner Bund ihren Kommentar. Hollande müsse handeln, als Optionen böten sich ihm eine Regierungsumbildung oder ein politischer Kurswechsel. Aber einen solchen habe er bereits Anfang Jahr vollzogen.
«Hollande bleibt nur die Hoffnung auf das Pendel der Zyklen. Irgendwann muss die Wirtschaft ja wieder anziehen, Jobs schaffen, die grosse Depression im Land wegwischen. Irgendwann sollten seine couragierten Reformen greifen. Tun sie das aber nicht sehr bald, ist er ‹cuit›, wie die Franzosen sagen: abgekocht für 2017, ohne Chancen auf eine Wiederwahl.»
Aussenpolitische Verhärtung befürchtet
«Schlecht für die Schweiz», taxiert die Neue Luzerner Zeitung den Ausgang der französischen Kommunalwahlen. «Die Schweiz hat Grund, mit Sorge auf die Entwicklung im Nachbarland zu blicken. Mit der Drohung Le Pens im Nacken wird sich die Regierung in Paris auch gegen aussen nur noch versteifen.»
Auch die Berner Zeitung macht sich Sorgen: «Problemfall Frankreich: Schlechte Nachrichten für die Schweiz». Der Vormarsch der «Frontisten» sei nicht nur ein Symptom für den wirtschaftlichen Krebsgang Frankreichs mit über drei Millionen Arbeitslosen. «Er offenbart mehr und mehr auch eine politische Krise: Die neuerdings dritte Kraft im Land wirft das ganze von Charles de Gaulle 1958 ausgedachte Zweiparteiensystem der Fünften Republik über den Haufen. Eine Staatskrise ist da nicht mehr weit.»
In so unruhigen Zeiten müsste die temperamentvolle und impulsive Grande Nation mit sicherer Hand geführt werden, so die Berner Zeitung. «Präsident François Hollande ist mit dieser Aufgabe aber überfordert. Als Reaktion auf seine Wahlschlappe plant der joviale Technokrat nun einen sorgsam inszenierten Fernsehauftritt, eine Regierungsumbildung sowie ein paar Kurskorrekturen.»
Ändern werde dies aber nicht eben viel – weniger jedenfalls als mutige Reformen im Staatsapparat und im Arbeitsmarkt.
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