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Neue Wege in der internationalen Drogenpolitik

Der Brasilianer Cardoso, Ruth Dreifuss, der Kolumbianer Gaviria. Drei Ex-Staatsoberhäupter, eine Meinung. Keystone

Die ehemaligen Staatsoberhäupter von Brasilien, der Schweiz, Mexiko und Kolumbien trafen sich in Genf, um den in Repression erstarrten Drogenkrieg durch den auf soziale und medizinische Aspekte konzentrierten Kampf gegen Rauschgift zu ersetzen.

Dieses international als neu erachtete Modell basiert auf bereits gemachten Erfahrungen in der Schweiz. Das Resultat des repressiven Ansatzes hingegen, seit 1971 von US-Präsident Nixon eingeführt, ist bekannt: Der Drogenkrieg kostet Riesensummen, hat bisher aber wenig brauchbare Resultate erbracht. Ja, oft wird die Situation durch die Repression noch verschlimmert.

Dennoch hat sich an diesem Ansatz bisher wenig verändert, höchstens werden die Vergehen je nach Land mehr oder weniger streng geahndet.

In Genf trafen sich aus diesem Grund die ehemaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso (Brasilien), Cesar Gaviria (Kolumbien), Ernesto Zedillo (Mexiko) und Ruth Dreifuss (Schweiz). Sie rufen zu einem Strategiewechsel auf, denn inzwischen sind ganze Länder von den Drogenbaronen destabilisiert.

Zum Beispiel in Mexiko, wo allein 2010 der Krieg zwischen Armee und Polizei gegen die Drogenkartelle mehr als 15’000 Tote kostete.

Reiner Verbots-Ansatz

«Die lateinamerikanischen Länder sind erschöpft von diesem Konflikt und vom Ansatz des Prohibitionismus, den die USA weiterhin aufrecht erhalten», sagt Gaviria. Sich rein auf Verbote abzustützen, sei eine kontraproduktive Politik, die aber auch von den UNO-Organen und den bewaffneten Behörden der Suchtmittel-Konvention von 1961 praktiziert werde. 

«Sie gehen immer noch von einer Welt ohne Drogen aus, während es doch noch nie derart viel Rauschgift auf der Welt gab wie jetzt», so der ehemalige kolumbianische Präsident.

  

Um aus diesem Kreislauf herauszufinden, der nur dem organisierten Verbrechen Aufschub gibt, schlagen die Politiker in Genf zwar keine Legalisierung verbotener Drogen vor, sondern ein gleichgewichtigeres Vorgehen gegen Rauschgift, das nicht nur auf Repressionsansätzen basiert.

Entkriminalisierung statt Legalisierung

Laut Cardoso soll ein Rauschgiftsüchtiger in erster Linie als eine Person erachtet werden, die medizinische HIlfe braucht, und nicht als Krimineller. Die Repression soll sich auf die organisierte Kriminalität konzentrieren, statt sich in der Verfolgung der Süchtigen zu verzetteln.

«In den USA sitzen rund eine halbe Million Personen im Gefängnis, die wegen einem Rauschgiftdelikt verurteilt sind. Das entspricht der Gesamtheit aller in Europa in Gefängnissen Untergebrachten», so der Brasilianer im weiteren. Dennoch sei in den USA der Widerstand gegen eine Änderung der Drogenpolitik am grössten.

An ihrem Treffen in Genf haben die Politiker begonnen, eine globale Kommission auf die Beine zu stellen (Global commission on drug policy), weil hier in Europa die Länder im Kampf gegen die Drogen weniger ideologisch vorgingen als die USA.

Doch auch hier entfalle ein Grossteil des drogenpolitischen Budgets auf Repression statt auf soziale (Wieder-)Eingliederung und gesundheitliche Aspekte der Süchtigen.

Bezug zur Drogenpolitik in der Schweiz

Die Schweizerische Drogenpolitik dient dabei als Referenzpunkt für die Kommission, die sich auch auf Erfahrungen in den Niederlanden oder Portugal abstützt.

Ruth Dreifuss, ehemalige Schweizer Bundespräsidentin und Gesundheitsministerin, erklärt, weshalb der Schweizer Ansatz die Lateinamerikaner interessiert: «Die Drogenpolitik in der Schweiz ist etappenmässig vorgegangen. Eine Art Evolution, basierend auf gemachten Erfahrungen. Zum Beispiel bei der ärztlichen Verschreibung von Heroin, wobei die Resultate wissenschaftlich untersucht wurden.» Die Folgerungen daraus seien dann die Revision des Gesetzes eingeflossen. Das habe auch dazu geführt, dass die Bevölkerung die gesetzlichen Änderungen 2006 abgesegnet habe. 

Dieser pragmatische Ansatz mit den vier Säulen Prävention, Therapie, Reduktion der Risiken beim Konsumieren und Repression weckt im Ausland umso mehr Interesse, als die Schweiz «für ihre solide konservative Einstellung» bekannt sei, wie das ein Bericht der Open Society schreibt. Die Open Society ist eine Nichtregierungsorganisation, die vom Financier Georges Soros gegründet wurde und welche die diese Woche in Genf gegründete Kommission unterstützt.

Kampf gegen das Rauchen

Die neu gegründete, stark vernetzte Kommission möchte Vereinigungen unterstützen, die im Bereich der Drogen aktiv sind, und die Länder auffordern, breite Diskussionen über dieses noch als Tabu erachtete Thema zu entfachen. Auch will sie die Regierungen überzeugen, dass es nur mit Repression nicht mehr weitergehen kann.

Zu diesem Zweck will die Kommission die bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Öffentlichkeit bringen und neue Instrumente gegen Drogen vorschlagen, wie Prävention oder Risikoreduktion.

Sie möchte sich ausserdem von den Kampagnen inspirieren lassen, die gegen Tabak und das Rauchen geführt werden, und die erwiesenermassen den Zigarettenkonsum vermindern konnten. Um die Macht der Drogenkartelle zu mindern, muss die Zahl der Süchtigen verringert werden.

Länder des Südens sind überflutet

Der Ursprung dieser Kommission ist Südamerika, doch möchte sie ihre Repräsentativität verbreitern und Vertreter aus allen Weltregionen integrieren.

Für nächsten Juni ist eine Zusammenkunft in den USA geplant. Dabei soll ein Aktionsplan festgeschrieben werden, der die USA und die UNO dazu bewegen soll, ihre Rauschgiftpolitik radikal zu ändern.

Denn es zeichnet sich ab, dass in den westlichen Ländern der Drogenkonsum sich langsam zu stabilisieren beginnt, während der Verbrauch in vielen Ländern des Südens stark zunimmt.

Ausschnitt aus der Deklaration der latein-amerikanischen Kommission «Drogen und Demokratie» vom Februar 2009: 

Südamerika bleibt wichtigster Exporteur von Kokain und Cannabis. Der Kontinent ist auch zum Anbauer von Heroin und zum Produzent von synthetischen Drogen geworden.

Auch nimmt der Drogenkonsum in Lateinamerika zu, während er sich in Nordamerika und Europa tendenziell stabilisiert.

In den vergangenen Jahrzehnten

– stieg die organisierte Kriminalität stark an, dank einer Zunahme des internationalen Handels und einer verstärkten Kontrolle des Geschäfts durch Kartelle. 

– wuchs die Gewalt rund um das Drogengeschäft auf ein nicht mehr akzeptables Ausmass, mit negativen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.

– hat sich die Politik kriminalisiert und die Kriminalität politisiert. Es kam zu einer Infiltration der demokratischen Institutionen durch das organisierte Verbrechen.

– nahm die Korruption der Funktionäre zu, im Justizapparat, der Regierung, besonders bei den Polizeikräften, die sich ja gerade um die Durchsetzung von Recht und Ordnung kümmern sollten.

(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

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