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Ramadan erstmals wieder in den USA

Tariq Ramadan bei seinem Auftritt an der Cooper Union Hochschule in New York. Keystone

Unter der Regierung Bush durfte er nicht mehr ins Land einreisen. Jetzt ist der Schweizer Islamspezialist Tariq Ramadan erstmals wieder öffentlich in den USA aufgetreten.

Anfang Jahr hatten die US-Behörden die Einreisesperre gegen den umstrittenen Genfer Wissenschafter aufgehoben.

Ramadan nahm am Donnerstag in New York an einer Podiumsdiskussion teil, wo er über Probleme rund um die Integration von Muslimen in Europa und den USA sprach.

«Nicht die Präsenz von Muslimen gefährdet unsere Gesellschaften, sondern die Furcht vor dieser Präsenz», sagte Ramadan an der Veranstaltung an der renommierten Cooper Union Hochschule.

Diese Furcht führe dazu, dass die westlichen Gesellschaften ihre eigenen Prinzipien verraten würden.

Eingehende Befragung

Bei seiner Ankunft sei er von den Einreisebehörden eine Stunde lang befragt worden, worüber er in den USA öffentlich referieren werde, berichtete der international hoch angesehene Intellektuelle.

«Ich weiss, weshalb ich nicht mehr einreisen durfte. Ich werde aber auch künftig öffentlich sagen, dass ich die US-Politik für falsch halte. Der Einmarsch in Irak war illegal, ebenso falsch ist die fehlende Unterstützung der Rechte der palästinensischen Bevölkerung.»

Vor sechs Jahren hatte die damalige US-Regierung Bush dem Schweizer das Einreisevisum entzogen. Die Begründung: Ramadan habe Geld für ein Schweizer Hilfswerk gespendet, das in den Augen der USA den Terrorismus unterstützt habe, namentlich die militante Hamas-Organisation in Palästina.

Ramadan hatte darauf entgegnet, dass er weder Verbindungen zu terroristischen Kreisen habe noch jeglichen islamischen Extremismus gutheisse, sondern für den Frieden eintrete.

USA gegen die Bösen

«Unmittelbar nach dem 11. September 2001 sprach Präsident Bush über Muslime. ‹Wir gegen sie› und ‹Sie mögen unsere Werte nicht›, lautete seine implizite Botschaft», sagt Ramadan. Obwohl klar gewesen sei, dass Bush über Extremisten gesprochen habe, sei haften geblieben, dass es ein generelles Problem mit den Muslimen gebe.

Weder in den USA noch in Europa würden Muslime als vollwertige Bürger, sondern als Aussenseiter betrachtet, kritisierte Ramadan, der an der englischen Spitzenuniversität Oxford vergleichende islamische Studien lehrt.

Millionen gute Bürger

Tatsächlich seien aber Millionen Muslime bestens in die Gesellschaften Europas und der USA integriert. Sie würden die Gesetze und Werte ihrer jeweiligen Länder respektieren und die Sprachen lernen.

Ramadan plädiert dafür, dass westliche Gesellschaften von der Strategie der «erzwungenen Integration» abrückten. Stattdessen sollten sie prüfen, wie Muslime besser zu einer funktionierenden Gesellschaft beitragen könnten.

Eine Schlüsselrolle in diesem Prozess weist Tariq Ramadan jungen Muslimen zu. Namentlich den jungen Frauen, in denen er eine «treibende Kraft» erblickt.

«Aufgrund ihrer Kleidung könnte man meinen, sie seien unterdrückt. Aber hört man sie darüber sprechen, was sie denken und welche Rolle sie in den muslimischen Gemeinschaften spielen, spürt man, dass sie bereit sind, eine neue Führungsrolle zu übernehmen», beobachtet er.

Reisthemen Burka und Steinigungen

Vor der Publikum thematisierte Ramadan auch die Debatte, die in Frankreich über das öffentliche Tragen von Schleier und Burka geführt wird.

«Die einzig richtige Position für mich besteht nicht darin, Frauen zu sagen, was sie tragen dürfen und was nicht. Lassen wir die Frauen selber entscheiden, indem wir ihnen sagen: Ihr tragt, was ihr wollt.»

An der Veranstaltung in New York wurde ebenfalls das Thema der Steinigung von Frauen aufgeworfen, die Ehebruch begangen hatten. 2003 hatte Nicolas Sarkozy, damals noch nicht Präsident Frankreichs, behauptet, Ramadan würde solche Gräueltaten verteidigen. Der Beschuldigte dagegen hatte damals klargestellt, dass er für ein Moratorium in dieser Frage eintrete.

«Kein Antisemit»

Auf Anschuldigungen, die der amerikanische Journalist Paul Berman in seinem neuen Buch macht, das Ende April erscheint, hielt Ramadan fest, dass er Antisemitismus verurteile. Ebenfalls habe sein Grossvater – 1928 Gründer der Moslembruderschaft in Ägypten – «nie die Nazis oder ein faschistisches Regime unterstützt».

2004, kurz bevor Ramadan eine befristete Amtszeit an der Universität von Notre Dame in Indiana (USA) hätte antreten sollen, war sein Visum annulliert worden.

Die Amerikanische Bürgerrechtsunion (American Civil Liberties Union) setzte sich vor Gericht für eine Aufhebung des Banns ein. Aber erst nachdem die neue US-Aussenministerin Hillary Rodham Clinton im Januar den Bann mit ihrer Unterschrift ausser Kraft setzte, konnte Ramadan wieder in die USA einreisen.

Nach New York wird der Schweizer Gelehrte an weiteren Veranstaltungen in Chicago und Detroit teilnehmen, bevor er nächste Woche in Washington mit Mitgliedern des US-Kongresses zusammentreffen wird.

Karin Kamp, swissinfo.ch, New York
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

Tariq Ramadan ist der Enkel von Hassan-al Banna, der 1928 die Muslimbruderschaft gegründet hatte, eine der grössten Bewegungen der Glaubensrichtung.

Vor sechs Jahren verhinderte die US-Regierung, dass Tariq Ramadan an der Universität von Notre Dame in Indiana einen Lehrtätigkeit antreten konnte, aus «ideologischen Gründen».

Ramadan, der in London lebt, will «Brücken zwischen den zwei Welten bauen, die einander nicht gut kennen».

Er wurde beschuldigt, Anschläge in Irak und Libanon zu unterstützen. Ramadan hat die Anschläge vom 11. September 2001 und Juli 2005 in London öffentlich verurteilt, weil er gegen unschuldige zivile Opfer ist.

Ramadan besitzt einen Doktortitel für arabische und islamische Studien der Universität Genf, ebenso Abschlüsse in Philosophie und französischer Literatur.

Er weilt gegenwärtig zu Forschungsaufenthalten an der Universität von Oxford und bei der Lokahi Foundation in London.

Er ist Präsident des European Muslim Network, einem Think Tank, der in Brüssel angesiedelt ist.

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