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Schweizer Votum über Kohlekraft in Kalabrien

Computer-Animation des Kohlekraftwerks in Italien. swissinfo.ch

Am 22. September stimmt Graubünden über eine Volksinitiative ab, die für Unternehmen mit Kantonsbeteiligung ein Verbot von Investitionen in Kohlekraftwerke durchsetzen will. Auslöser ist ein umstrittenes Projekt des Schweizer Energieunternehmens Repower in Süditalien.

Das italienische Unternehmen SEI, das vom multinationalen Bündner Energieversorger Repower kontrolliert wird, möchte in Saline Joniche (Kalabrien) ein Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1320 Megawatt bauen. In der Schweiz und auch in Italien wird seit Jahren heftig über das Projekt gestritten.

 

Das Energieunternehmen Repower, das mehrheitlich dem Kanton Graubünden gehört, ist schon lange auf dem italienischen Markt aktiv. Mehr noch: Die Hälfte des Umsatzes generiert Repower in Italien. Das Bündner Unternehmen gehört zu den wichtigsten Energielieferanten für kleine und mittlere Unternehmungen (KMU) in Italien.

Das Kohlekraftwerk von Saline Joniche ist Teil einer Strategie der Repower AG, die Energieträger für die Produktion von Strom auszuweiten. Das Unternehmen setzt auch auf Gaskraftwerke sowie Windenergie, um in lokalen Märkten Elektrizität zu geringen Preisen liefern zu können.

«Italien hängt stark von Erdgas ab“, sagt Kurt Bobst, Verwaltungsrats-Delegierter der Repower AG. «Bei den erneuerbaren Energien wird schon sehr viel gemacht und das Potential bei der Wasserkraft ist praktisch erschöpft. Daher bleibt im Prinzip nur die Kohlekraft, um die Energieversorgung zu garantieren.»

Die Repower AG ist fast 100 Jahre alt. Gegründet wurde das Unternehmen 1904 unter dem Namen Kraftwerke Brusio AG im Puschlav (Kanton Graubünden). Damals war es ein reines Wasserkraft-Unternehmen.
 
Heute ist die Repower AG (bis Mai 2010 Rätia Energie AG) ein international tätiges Energieversorgungs-Unternehmen, das auf der ganzen Wertschöpfungskette aktiv ist: von der Produktion über den Handel bis zum Vertrieb. Die Gruppe verfügt über eigene Kraftwerke in der Schweiz (Wasserkraft), Italien (Gas und Wind), Deutschland (Wind), und ist auch in Rumänien präsent.
 
Seit März 2013 hält der Kanton Graubünden 58,3 Prozent des Aktienpakets von Repower, die im Energiebereich tätige Axpo-Gruppe ihrerseits 33,7 Prozent. Zuvor gehörten dem Kanton Graubünden 46 Prozent, Axpo 31,4 Prozent und Alpiq, einem weiteren Schweizer Energieunternehmen, 24,6 Prozent.

Mittelfristig wollen der Kanton Graubünden sowie Axpo ihre Anteile am Aktienpaket wieder reduzieren.

Kritische Stimmen

Gegen das Projekt eines Kohlekraftwerks hat sich Widerstand formiert. Grund sind die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt sowie die beträchtlichen CO2-Emissionen. Die Rede ist von 7,5 Mio. Tonnen Ausstoss an Kohlendioxid im Jahr, was zirka zwei Prozent der Gesamtemissionen in Italien entsprechen würde.

Auch die Behörden der Region Kalabrien haben sich wiederholt kritisch in Bezug auf das Kohlekraftwerk-Projekt geäussert. Gemäss dem 2005 verabschiedeten Energieplan der Region ist Kohlekraft als Energieträger sogar ausgeschlossen.

Im Kanton Graubünden haben Umweltvereinigungen ihrereseits eine Volksinitiative lanciert, die ein klares Bekenntnis gegen Kohlekraftwerke in der Kantonsverfassung verankern will. Insbesondere soll der Kanton Graubünden «im Rahmen seiner rechtlichen und politischen Möglichkeiten sicherstellen, dass Unternehmen mit Kantonsbeteiligungen keine Investitionen in Kohlekraftwerke tätigen dürfen“.

Initiative und Gegenvorschlag

Die Volksinitiative richtete sich ursprünglich gegen zwei Projekte der Repower AG. Neben Saline Joniche wollte Repower auch in ein Kohlekraftwerk in Brunsbüttel (Deutschland) investieren. Doch in der Zwischenzeit hat sich das Bündner Unternehmen aus dem deutschen Projekt zurückgezogen. Damit fokussiert die Debatte auf das Kohlekraftwerk in Kalabrien.

Die Mehrheit des Bündner Kantonsparlaments hat sich gegen die Initiative  ausgesprochen. Zugleich wurde ein Gegenvorschlag angenommen, der Investitionen in Saline Joniche nicht untersagt. Investitionen in Kohlekraftwerke bleiben auch in Zukunft erlaubt, wenn sie mit einer «substantiellen Reduzierung“ von  CO2-Emissionen verbunden sind.

Mit dem Gegenvorschlag will man vermeiden, dass ein «Technologieverbot“ in die Kantonsverfassung aufgenommen wird. Das Bünder Stimmvolk muss am 22. September 2013 über Volksinitiative und Gegenvorschlag abstimmen.

Freiheit der Unternehmen

Gemäss den bürgerlichen Parteien, die den Gegenvorschlag unterstützen, wäre es ein Fehler, rückwirkend auf die Unternehmsstrategie von Repower einzuwirken. Mit einer Annahme der Volksinitiative würde ihrer Meinung nach ein Unternehmen von fundamentaler Bedeutung für die Energieversorgung und die Wirtschaft des Kantons schwer geschädigt.

«Persönlich bin ich kein Befürworter von Kohlekraftwerken“, sagt Jon Domenic Parolini, Präsident des Nein-Komitees und Gemeindepräsident von Scuol. «Doch das Schicksal von Saline Joniche steht für mich bei dieser Abstimmung nicht im Vorgerund. Es geht um den Grundsatz, dass sich die Politik nicht im Nachhinein in Unternehmensaktivitäten einmischen darf. In dieser Frage muss Rechtssicherheit bestehen.»

Ganz anders die Befürworter der Volksinitiative, die in erster Linie den Bau des Kohlekraftwerks von Saline Joniche verhindern wollen. «Das Bündner Energiegesetz zielt darauf, CO2-Emissionen zu reduzieren. Saline Joniche liegt zwar nicht in der Schweiz, aber durch die Investitionen des Kantons in ein Projekt, das gewaltige Mengen von CO2 frei setzt, geht die Glaubwürdigkeit dieses Gesetzes verloren»,  sagt Anita Mazzetta, Geschäftsführerin des WWF Graubünden.

Fragen zur Wirtschaftlichkeit

Doch die Gegner der Kohlekraft machen auch wirtschaftliche Argumente geltend. Anita Mazzetta ist überzeugt, «dass Kohlekraftwerke ökonomisch ein Fass ohne Boden sind. Einige Projekte zeigen auf, dass sich Kohlekraftwerke nicht wirtschaftlich betreiben lassen. Man denke nur an das Kohlekraftwerk von Lünen in Deutschland“, sagt Mazzetta. Dort werden 100 Millionen Euro Verlust im Jahr 2014 erwartet.

Doch in einem sich stark wandelnden Energiemarkt will Repower nicht auf die Option Kohlekraft verzichten. «Für die Umsetzung der Energiewende ist viel Zeit nötig», so Kurt Bobst. «Wir gehen davon aus, dass es erst 2050 möglich sein wird, Energie CO2-neutral zu produzieren. Wir denken, dass thermische Kraftwerke noch für eine Generation nötig sein werden.“

Zur Ermittlung der Rentabilität des Kohlekraftwerks von Saline Joniche will Repower das Ende des Bewilligungsverfahrens in Italien abwarten, das heisst bis 2015. Vorausgesetzt natürlich, dass das Projekt nicht vorher gestoppt wird.

Die Zukunft von Saline Joniche

Tatsächlich müsste sich Repower aus dem Projekt in Kalabrien zurückziehen, falls die Volksinitiative angenommen werden sollte. Dabei hat das Bünder Unternehmen wiederholt betont, dass das Kohlekraftwerk damit kaum vom Tisch wäre, weil es von italienischen Partnern übernommen und gebaut würde. Diese These wiederum hält Anita Mazzetta für sehr unwahrscheinlich.

Das Projekt des Kohlekraftwerks von Saline Joniche hat mittlerweile vom italienischen Umweltministerium eine so genannte «autorizzazione integrata ambientale» (integrierte Umweltbewilligung) erhalten. Es ist ein wichtiger Schritt in Hinblick auf die definitive Baubewilligung.

Gegen das Dekret sowie das zugrunde liegende Umweltverträglichkeitsgutachten sind aber mehrere Rekurse beim Verwaltungsgericht von Lazio hängig. Unter den Beschwerdeführern befindet sich auch die Region Kalabrien.

Auf dem Weg zur definitiven Bewilligung liegen noch etliche Hindernisse. «Repower läuft Gefahr, im Treibsand von Saline Joniche unterzugehen“, meint Nuccio Barillà, Mitglied der italienischen Umweltbewegung Legaambiente und einer der ersten Kritiker des Kohlekraftwerks in Kalabrien.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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