«Schweizer wissen, dass es in den letzten Zügen liegt»
Der französische Abgeordnete Yann Galut, Berichterstatter eines Gesetzesentwurfs gegen Steuerhinterziehung, hat sich den Kampf gegen das Bankgeheimnis auf die Fahne geschrieben. Im Interview zeigt er sich erfreut über die Unterzeichnung des neuen Erbschaftssteuer-Abkommens zwischen Paris und Bern.
Die Unterschrift unter dem Abkommen wird am Donnerstag lediglich die jüngste Episode in den bewegten Steuerbeziehungen zwischen Bern und Paris sein. In den letzten Tagen hat die Offensive gegen das Bankgeheimnis in Frankreich stark zugenommen.
Kürzlich wurde Hervé Falcani – der ehemalige Informatiker bei der Bank HSBC in Genf, der Frankreich Listen mit Konten zugespielt hatte – mit grossem Pomp von den französischen Parlamentsabgeordneten in einer geschlossenen Sitzung der Nationalversammlung angehört.
Ein Gesetzesprojekt, das gegenwärtig im französischen Parlament diskutiert wird, würde die Nutzung von gestohlenen Bankdaten erlauben und «Whistleblowers» wie Falcani schützen. Oder solche wie Nicolas Forissier, den ehemaligen Chef des internen Audits bei der Schweizer Grossbank UBS in Frankreich, der das seit dem Jahr 2000 angewendete System der Steuerhinterziehung bei UBS France anklagte. Anfang Juni wurde die UBS in Frankreich wegen systematischer Beihilfe zu Steuerhinterziehung untersucht.
Der Berichterstatter des Gesetzesentwurfs, der Sozialist Yann Galut, hat Anfang Juni in der Schweiz Verantwortliche von Banken und Eidgenössischen Behörden getroffen.
swissinfo.ch: Welche Eindrücke haben Sie nach Ihrem Besuch in der Schweiz?
Yann Galut: Meine Gesprächspartner, sei es bei der Schweizerischen Bankiervereinigung oder bei den Bundesbehörden, haben verstanden, dass das Bankgeheimnis in seinen letzten Zügen liegt. Sie hoffen darauf, Lösungen zu finden, damit dieser Wandel korrekt über die Bühne geht.
Sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Kampf, den wir führen, nicht nur gegen die Schweiz gerichtet sein sollte, sondern global alle Länder anvisieren müsste, die das Bankgeheimnis kennen. Das ist durchaus verständlich. Wir vergessen die britischen Inseln, Luxemburg, Österreich oder die Stadt London nicht.
Dass wir bei der Eidgenossenschaft derart auf dem Thema beharren, hat damit zu tun, dass sich etwa 30 Prozent der Gelder, die dem französischen Fiskus entzogen werden, in der Schweiz befinden.
swissinfo.ch: Verstehen Sie den Willen der Schweiz, die «Vergangenheit zu besteuern»?
Y.G.: Wir sind auch daran interessiert, die Vergangenheit unserer Staatsangehörigen zu besteuern, aber zu gewissen Bedingungen. Es wird keine Steueramnestie für Betrüger geben. Es wird kein Büro zur Regelung von Steuersachen mehr geben, wie unter der letzten Regierung, sondern Regelungs-Prozeduren.
Steuerhinterzieher werden eingeladen, sich vor der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes anzuzeigen. Sie werden so von angepassten Strafen profitieren können und zwischen 15 und 30 Prozent berappen müssen statt 40 Prozent, falls sie in einer Kontrolle erwischt werden.
Nach dieser Zeitspanne werden die Strafen sehr hart sein. In Zukunft wird die Justiz über ein schlagkräftiges Arsenal an Möglichkeiten verfügen. So sollen beispielsweise Infiltrationen, Hausdurchsuchungen oder Lauschangriffe erlaubt sein.
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swissinfo.ch: Warum hat die Nationalversammlung Hervé Falcani angehört – einen Mann, der von der Schweiz wegen der Weitergabe von Bankdaten verfolgt wird?
Y.G.: Mit den Informationen, die uns Herr Falcani geliefert hat, wurden wie in Frankreich auch in Italien und Spanien Gerichtsverfahren eingeleitet. Wir haben daher seine Aussage mit grossem Interesse verfolgt. Er hat uns in unserem Wunsch gestärkt, den Status von Whistleblowers zu stärken.
swissinfo.ch: In Frankreich nennen sich heute viele «Whistleblower». Würde ein solcher Status nicht der Denunziation Vorschub leisten?
Y.G.: Nicht jeder kann sich Whistleblower nennen. Ein möglicher «Whistleblower» würde Rechtsschutz erhalten. Sein Arbeitgeber müsste beweisen, dass er den Whistleblower nicht wegen dessen Denunziation bestraft hat.
Sollte der Arbeitgeber andere Vorwürfe haben, würden diese berücksichtigt. Dies alles würde unter der Kontrolle eines Richters geschehen und natürlich nur Frankreich betreffen.
Das neue Erbschaftssteuer-Abkommen soll am 11. Juli von der Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihrem französischen Amtskollegen Pierre Moscovici in Paris unterzeichnet werden.
Es sieht vor, dass Erbschaften in jenem Land besteuert werden, in dem die Erben leben, und nicht mehr nur in jenem Staat, in dem der Verstorbene lebte.
Erben sollen in Frankreich besteuert werden, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor dem Todesjahr des Erblassers während mindestens acht Jahren in Frankreich gelebt haben. Frankreich soll aber Steuern abziehen, welche die Erben bereits in der Schweiz entrichten mussten.
Immobilien im Direktbesitz oder einer Firma gehörend sollen in Frankreich besteuert werden. Allerdings nur, falls der Verstorbene mindestens die Hälfte des Unternehmens besass und die Gebäude mehr als ein Drittel des gesamten Vermögens dieses Unternehmens darstellen.
Die französischen Steuerbehörden sehen progressive Steuersätze vor, je nach Höhe der Vermögenswerte und Beziehung zwischen Erben und Erblasser. In Frankreich kann die Steuer für eine Erbschaft über 1,8 Mio. Euro bis 45% betragen. War der Verstorbene kein Verwandter, müssen 60% abgeliefert werden.
Damit das Abkommen in Kraft treten kann, müssen die beiden Schweizer Parlamentskammern dieses allerdings noch ratifizieren.
Doch das ist alles andere als sicher: Am 19. Juni hat der Nationalrat (grosse Kammer) mit grosser Mehrheit einer Motion zugestimmt, die von der Landesregierung verlangt, dass in der Schweiz gelegene Immobilien nicht durch Drittstaaten besteuert werden können.
swissinfo.ch: Das neue Gesetz würde die Nutzung von gestohlenen Bankdaten erlauben. Doch gegenwärtig hat ein Urteil des Kassationshofs, des höchsten französischen Gerichts, die Verwendung der Listen von HSBC durch die Steuerbehörden verboten…
Y.G.: Erinnern wir uns daran, dass nur ein kleiner Teil (weniger als 100, die Red.) der rund 3000 Steuerschuldner auf der berühmten «HSBC-Liste» von der Justiz verfolgt wird. Tatsächlich gibt es da einen Unterschied in der Interpretation zwischen zwei Kammern des Kassationshofs. Die Plenarversammlung wird entscheiden müssen. Das neue Gesetz wird die Nutzung der Daten erlauben, aber nicht rückwirkend.
swissinfo.ch: Verschiedene Listen mit Namen von Steuersündern, die angeblich Konten in der Schweiz haben, sind in Umlauf. Was soll mit diesen geschehen?
Y.G.: Ich bin selber von Personen angegangen worden, die behaupteten, sie besässen Listen. Ich antworte ist immer gleich: Ich bin nicht kompetent, übergeben Sie die Liste der Justiz.
swissinfo.ch: Paris und Bern wollen am Donnerstag die neue Version des schweizerisch-französischen Erbschafts-Abkommens unterzeichnen, das eher vorteilhaft für Frankreich ist. Was ist Ihre Meinung dazu?
Y.G.: Die französische Regierung wünschte sich seit Monaten eine Neuverhandlung dieses Abkommens, wie auch der Frage der Aufwandbesteuerung. Ich denke, das ist eine gute Sache für beide Länder.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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