Spagat zwischen Handelsfreiheit und Menschenrechten
Die Schweizer Regierung, eine pazifistische Organisation und sogar ein Vertreter der Waffenindustrie würden es begrüssen, wenn ein globaler Waffenhandels-Vertrag unterzeichnet würde.
Das Schweizer Kriegsmaterialexport-Gesetz gilt im internationalen Vergleich als eines der strengsten. Trotzdem sorgen Verstösse gegen die Regeln oder deren Umgehen immer wieder für Schlagzeilen in den Medien.
Erwin Bollinger vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und Leiter der Schweizer Delegation bei der UNO-Konferenz zum Waffenhandel erklärt gegenüber swissinfo.ch, ein globales Abkommen wäre sehr zu begrüssen, auch wenn ein Vertrag weniger streng sein würde als die Schweizer Standards.
Das Schweizer Gesetz untersagt die Lieferung von Kriegsmaterial an Staaten, die in interne oder internationale bewaffnete Konflikte verwickelt sind, oder an Länder, in denen es zu systematischen und ernsthaften Verletzungen der Menschenrechte kommt.
Auch an Entwicklungsländer, die Entwicklungshilfe erhalten, dürfen keine Waffen geliefert werden. Ebenso wenig, wenn ein grosses Risiko besteht, dass die Waffen gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kommen oder weiterverkauft werden.
Trotzdem weitreichend
«Wir hoffen, dass es gelingen wird, einen rechtlich verbindlichen, internationalen Vertrag abzuschliessen, bei dem möglichst viele UNO-Mitgliedstaaten mitmachen», sagt Bollinger.
Das Abkommen sollte laut Bollinger einen umfassenden Teil der konventionellen Waffen erfassen, inklusive der umstrittenen Kleinwaffen und leichten Waffen sowie die wichtigsten Arten von Transfers: Export, Wieder-Export, Technologietransfers, Importe und Brokering. Lieferungen sollten auf einer Liste klarer, nicht-diskriminierender Kriterien fussen und jedes Gesuch müsste einzeln geprüft werden.
Nach Ansicht der Schweiz ist es wichtig, dass das Abkommen auch Einzelteile und Ersatzteile sowie Technologie und Technologietransfer erfasst, weil sonst die Gefahr drohe, dass nicht bewilligte Ausfuhren durch den Transfer von Technologie oder Einzelteilen doch noch zu Stande kommen könnten.
Adi Feller von der Gruppe Schweiz ohne Armee (GsoA) schlägt einen pessimistischeren Ton an, was das Resultat der Konferenz angeht. Fortschritt sei nur im begrenztem Masse möglich.
«Wenn es überhaupt zu einem Vertrag kommt, wird dieser auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner fussen.» Länder, die dagegen seien, Menschenrechte als Kriterien für ein Verbot von Waffenlieferungen zu nutzen, würden Rechtfertigungen finden, solche Vorgaben zu umschiffen, sagt Feller.
Schweizer Hersteller kaum betroffen
Andreas Meier, Leiter Exportkontrolle bei der Rheinmetall Air Defence AG (RAD, vormals Oerlikon Contraves), unterstützt die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte bei Waffenverkäufen, wie in einem Artikel des Magazins der Schweizer Sektion von Amnesty International (AI) zu lesen ist.
Meier verweist auf den Verhaltenskodex des Konzerns. Er zeigt sich auch überzeugt, dass ein internationales Abkommen keine Chancen hätte, wenn Regeln gefordert würden, die ähnlich streng wären wie die aktuelle Schweizer Gesetzgebung.
«Der Waffenhandels-Vertrag wird für RAD kaum etwas ändern, da die Schweizer Gesetzgebung im Bereich der Rüstungsexporte umfassend ist», wird Meier in der Juni-Ausgabe des Amnesty-Magazins zitiert.
Öffentliche Meinung
Bollinger sagt, um die Rolle des Staates als Verteidigerin der Menschenrechte und die Prinzipien einer freien Marktwirtschaft – in diesem Fall vor allem die Interessen der Verteidigungsindustrie – unter einen Hut zu bringen, brauche es faire Rahmenbedingungen.
«Der Handel mit Waffen, einschliesslich Bestandteilen und Ersatzteilen, wird ein immer globaleres Geschäft. Rüstungsbetriebe sind unter Druck, Kriegsmaterial zu exportieren», erklärt er.
Behauptungen, dass ein Waffenhandels-Vertrag die Schweiz ermutigen könnte, ihre strenge Kriegsmaterial-Gesetzgebung abzuschwächen, weist Bollinger zurück. «Wir haben eine sehr kritische Zivilgesellschaft, der Versuch, unsere Standards zu senken, würde nicht unbemerkt über die Bühne gehen.»
Brian Wood, verantwortlich für das Dossier Waffenkontrolle bei Amnesty International unterstreicht die Bedeutung der Rolle der Öffentlichkeit als Wächterin.
«Es wird Sache der Schweizer Öffentlichkeit, von Parlament und politischen Führungskräften sein, sicher zu stellen, dass die Standards nicht aufgeweicht werden.» Wood begrüsst die Position der Schweizer Delegation bei der Konferenz sowie auch die Schweizer Waffenexport-Gesetzgebung generell.
«Doch der Teufel steckt im Detail. Man muss den aktuellen Text betrachten und wie dieser funktioniert.»
Mit Bezug auf fehlende territoriale Kontrolle von Waffengeschäften oder auf die Lieferung von Waffen für Friedenstruppen sagt er, das Parlament sollte gewisse Aspekte neu überdenken.
Enger Zeitrahmen
Woods hauptsächliche Sorge ist aber nicht die Position der Schweiz, sondern der Faktor Zeit, um angesichts der divergierenden Interessen bis Ende der drei Wochen dauernden Konferenz zu einem Abschluss zu kommen. «Es geht um 114 Stunden Verhandlungen, mit 193 Staaten im Raum.»
Er warnt auch vor unrealistischen Zielen wie einem vollständigen Waffenexport-Verbot. Die Frage, die sich den Regierungen stelle, sei, wie man den Handel einschränken und somit verantwortungsbewusster machen könne, und wie der Abzweigung von Waffen in den illegalen Handel ein Riegel geschoben werden könne.
«Das ist eine realistische Perspektive. Da sich diese Türe dank Mobilisierung und internationaler Kampagnenarbeit etwas geöffnet hat, bitte ich die Menschen in der Schweiz eindringlich, zu helfen, sie weit aufzustossen.»
Abstimmungen und Skandale
Zwischen 1972 und 2009 hat das Schweizer Stimmvolk drei Initiativen verworfen, die ein Waffenexport-Verbot zum Ziel hatten. Vor drei Jahren hatten Wirtschaft und Regierung damit argumentiert, ein Verbot des Waffenhandels würde Tausende von Stellen bedrohen.
Die Opposition gegen Waffenexporte hat aber nicht nachgelassen. So fordert Foraus, ein Think-Tank zur Schweizer Aussenpolitik, mehr Transparenz, was die Entscheide der Regierung über Waffenexporte angeht. Und Rechtsexperten und Kirchen kritisieren anscheinende Widersprüche zwischen der Rolle der Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen zum Völkerrecht.
2011 exportierte die Schweiz Kriegsmaterial im Wert von 872,7 Mio. Franken. Nach offiziellen Angaben entspricht dies nur gerade 0,4% des Bruttoinlandprodukts.
Schweizer Waffenproduzenten sorgten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder für Schlagzeilen (siehe Kastenmeldung).
Beim letzten Zwischenfall ging es laut Amnesty International um eine Ladung Tränengas-Munition nach Südafrika, die von dort re-exportiert wurden, in die Demokratische Republik Kongo – ungeachtet eines brüchigen Friedensabkommens und Berichten von Menschenrechts-Verletzungen in dem zentralafrikanischen Staat. Die etwa 3000 Tränengas-Patronen kamen von der Schweizer Firma Brügger & Thomet.
Der erste von mehreren Kriegsmaterial-Skandalen, welche die Schweiz erschüttert haben, geht auf 1968 zurück, als sich herausstellte, dass im Bürgerkrieg in Nigeria Flugzeuge des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) von Raketen aus Schweizer Produktion getroffen worden waren.
Ein Jahrzehnt später wurde bekannt, dass die PC-7-Trainingsflugzeuge der Firma Pilatus einfach mit Aufhängungen zum Abwurf von Bomben ausgerüstet werden konnten.
Die PC-7, wegen ihres relativ günstigen Preises unter dem Spitznamen «Arme-Leute-Bomber» bekannt, sollen als Angriffsflugzeuge in Myanmar, Guatemala, Mexiko, Chile, Bolivien und Nigeria zum Einsatz gekommen sein. In der jüngeren Vergangenheit wurden Pilatus-Produkte auch in Irak, Südafrika und in Darfur gesichtet.
1972 lancierte die Friedensbewegung die erste von drei Initiativen für ein Waffenausfuhr-Verbot, die damals knapp verworfen wurde. Seither hat das Schweizer Stimmvolk zwei weitere Initiativen für ein Export-Verbot abgelehnt. Die letzte, 2009, hatte nur noch 32% Ja-Stimmen erreicht.
Im Juli 2011 machten Schweizer Kriegsmaterial-Exporte erneut Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass Munition, die an Katar verkauft worden war, in Libyen aufgetaucht war – ein offensichtlicher Verstoss gegen die Exportbestimmungen.
Das Seco erliess ein sofortiges Verbot für Exporte nach Katar und leitete eine Untersuchung ein. Nachdem das Seco zum Schluss gekommen war, der Wiederexport nach Libyen sei aufgrund eines «militärischen Logistik-Fehlers» passiert, wurde das Verbot wieder aufgehoben.
Im Juni 2012 berichtete Amnesty International, Tränengas-Patronen aus der Schweiz seien von einer südafrikanischen Firma in die Demokratische Republik Kongo weiter exportiert worden.
2001 exportierte die Schweiz nach Angaben des Seco Kriegsmaterial, inklusive Bestand- und Ersatzteile, im Wert von 827,7 Mio. Franken, ein Rekord.
Die Zunahme um 36% gegenüber 2010 geht auf den Verkauf von 25 in der Schweiz gebauten Pilatus PC-21-Trainingsflieger an die Vereinigten Arabischen Emirate zurück.
Schweizer Kriegsmaterial und Bestandteile wurden an insgesamt 68 Staaten geliefert, einschliesslich der Nachbarländer Deutschland und Italien, wie auch Belgien und Spanien. Für all diese Exporte braucht es eine Bewilligung des Staates.
Das Seco erklärte, bei Exporten von Kriegsmaterial an Länder in Nordafrika und im Nahen Osten werde «Zurückhaltung» an den Tag gelegt, insbesondere wenn es um Saudi-Arabien, Pakistan und Ägypten gehe.
(Übertragen aus dem Englischen: Rita Emch)
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