Steuerstreit Schweiz-Italien vor Beilegung
Nach jahrelangem Streit haben die Schweiz und Italien eine grundsätzliche Einigung über die Zusammenarbeit in Steuerfragen erzielt. Umstritten bleibt allerdings das Thema der Besteuerung von Grenzgängern aus Italien in der Schweiz. Das anvisierte Steuersplitting kommt im Tessin und den italienischen Grenzgemeinden nicht gut an.
Die vor wenigen Tagen vom Eidgenössischen Finanzdepartement und italienischen Finanzministerium angekündigte Einigung in wichtigen SteuerfragenExterner Link hat sowohl in der Schweiz als auch in Italien zu überwiegend positiven Reaktionen geführt. Bis Mitte Februar sollen die Neuerungen zum Doppelbesteuerungsabkommen sowie eine zusätzliche Roadmap unterzeichnet sein.
Italien kann damit hoffen, bald Einnahmen auf bisher in der Schweiz deponiertem Schwarzgeld seiner Bürger zu kassieren. Und für die Schweiz ist der Weg frei, um von der ungeliebten schwarzen Liste Italiens für nicht-kooperative Staaten in Steuerfragen gestrichen zu werden.
Ziel der ganzen Operation ist die Regularisierung von Vermögen von italienischen Bankkunden, ohne dass massive Kapitalabflüsse aus der Schweiz in Drittstaaten erfolgen. Gleichzeitig sollen die Risiken für Banken und ihre Angestellten vor rechtlicher Verfolgung vermindert werden.
Tessin will mehr Steuer-Anteile
Ein Teil der Einigung in Steuerfragen betrifft auch die umstrittene Besteuerung der Frontalieri, der Grenzgänger aus Italien in der Schweiz. Insbesondere der Kanton Tessin hat in den letzten Jahren aufbegehrt und gefordert, dass mehr Steueranteile in der Schweiz bleiben sollen.
Steuerabkommen Schweiz-Italien
Die Schweiz und Italien haben eine grundsätzliche Einigung über die Zusammenarbeit in Steuerfragen erzielt. Zurzeit würden die beiden Regierungen die Unterzeichnung eines Änderungsprotokolls zum Doppelbesteuerungsabkommen sowie einer Roadmap mit Eckwerten vorbereiten, teilte das Eidgenössische Finanzdepartements (EFD) vor wenigen Tagen mit.
Die beiden Dokumente sollen noch vor der im italienischen Selbstanzeigeprogramm bezeichneten Frist vom 2. März 2015 unterzeichnet werden, heisst es weiter. Die Einigung verbessere die Beziehungen im Finanz- und Steuerbereich zwischen der Schweiz und Italien und erleichtere die Regularisierung von unversteuerten Geldern vor der Einführung des automatischen Informationsaustausches.
Das Änderungsprotokoll für das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Schweiz-Italien sieht den OECD-Standard für den Informationsaustausch auf Anfrage vor. Es soll nach der Inkraftsetzung – wie in mehreren Abkommen mit anderen Ländern – für Tatbestände ab dem Tag der Unterzeichnung anwendbar sein.
Nebst dem Änderungsprotokoll zum DBA haben die Verhandlungen den Abschluss einer Roadmap ermöglicht. Diese enthalte klare politische Verpflichtungen zu mehreren Punkten der bilateralen Beziehungen im Steuer- und Finanzbereich. Die Roadmap wird gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Änderungsprotokolls zum DBA veröffentlicht. Sie soll vor allem helfen, zurückliegende Delikte zu regularisieren und die Besteuerung der Grenzgänger neu zu regeln. Zudem soll die Schweiz von den italienischen schwarzen Listen gestrichen werden.
Zurzeit werden die italienischen Grenzgänger gemäss einem Abkommen aus dem Jahr 1974 vollumfänglich in der Schweiz besteuert – in den jeweiligen Arbeitskantonen Tessin, Wallis oder Graubünden. Aus dem Quellensteuerertrag werden dann 38,8 Prozent nach Italien zurücküberwiesen, die nach einem Verteilschlüssel überwiegend den italienischen Wohngemeinden der Grenzgänger zu Gute kommen.
Im Tessin war man in den letzten Jahren stets der Auffassung, dass diese Regelung veraltet und der Rückerstattungsbetrag nach Italien viel zu hoch sei. Im Jahr 2013 überwies der Kanton Tessin knapp 60 Millionen Franken nach Italien. Das Steuerregime begünstige zudem den Fluss italienischer Grenzgänger in den Südkanton.
Meinung über Splitting gesplittet
Künftig sollen Grenzgänger einer beschränkten Besteuerung in der Schweiz unterliegen sowie einer ordentlichen Besteuerung an ihrem Wohnort in Italien. Der Anteil in der Schweiz beträgt maximal 70 Prozent der Quellensteuer; 30 Prozent unterliegen der Besteuerung in Italien. Diese 70/30-Regelung gilt umgekehrt auch für Schweizer, die zur Arbeit nach Italien als fahren. Das Prinzip der Steuerrückerstattung entfällt somit.
Laut Finanzdepartement des Bundes wird die gesamte Steuerlast der Grenzgänger gemäss der neuen Regelung anfänglich weder steigen noch sinken. Die neue Besteuerung der Grenzgänger soll Gegenstand eines Abkommens sein, das in der ersten Hälfte 2015 verhandelt werden soll. Beide Seiten haben sich zu raschen Verhandlungen verpflichtet.
Laut ersten Schätzungen könnte das Tessin so jährliche Mehreinnahmen zwischen 10 und 15 Millionen Franken generieren. Gleichwohl war die Mehrheit der Reaktionen im Tessin skeptisch bis ablehnend, da unter den Erwartungen.
Proteste von Lega und Grünen
«Unserem Kanton bleiben wieder mal nur die Brosamen!» schimpfte Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri in der Parteizeitung «Mattino». Die Grünen finden es ihrerseits gar nicht gut, dass das Instrument der Rückerstattung aufgegeben wird. «Damit verlieren wir das einzige Druckmittel auf Italien», heisst es in einem Communiqué. Denn in der Vergangenheit hatte das Tessin bereits einmal die Rückerstattung der Gelder blockiert.
Die bürgerlichen Mitteparteien und die Sozialdemokraten zeigten sich nicht wirklich zufrieden, aber weniger entrüstet. Sie wollen in den verbleibenden Verhandlungen erreichen, dass das Splitting auf 80 Prozent zugunsten der Schweizer Kantone erhöht wird. Italien soll nur 20 Prozent des Einkommens seiner Grenzgänger ordentlich versteuern.
Wenig begeistert zeigen sich auch viele italienische Grenzgemeinden, die bis anhin von der direkten Rücküberweisung ihres Anteils an der Quellensteuer profitieren. Sie befürchten, dass noch mehr Steuergeld der Grenzgänger in Rom versickert. Ausserdem wird die Steuerbelastung für den 30-Prozent-Einkommens-Anteil der Grenzgänger sicherlich ansteigen, da Italien höhere Steueransätze kennt als die Schweiz.
Andere Regelung in Deutschland
Tatsächlich stellt das in Aussicht gestellte Steuersplitting für italienische Grenzgänger eine landesweite Neuheit in der Besteuerung von Grenzgängern dar. Dies zeigt ein Vergleich mit der Besteuerung von Grenzgängern aus Frankreich, Deutschland und Österreich.
Bei Grenzgängern aus Deutschland wird eine Quellensteuer in Höhe von 4,5 Prozent direkt vom Bruttoarbeitslohn abgezogen. Die eigentliche Besteuerung findet im Wohnsitzstaat – also Deutschland – statt, wobei die bereits entrichtete Quellensteuer von der Steuerlast abgezogen wird, so dass kein Steuernachteil durch doppelt zu entrichtende Steuern entsteht.
Wieder anders sieht es im Falle von Frankreich aus. Die Schweiz besteuert die Einkünfte aus unselbstständigem Erwerbseinkommen französischer Grenzgänger in der Regel nicht. Es wird ein Meldeverfahren angewendet, welches vorsieht, dass die schweizerischen Steuerbehörden die erzielten Bruttolöhne den französischen Steuerbehörden melden. Die Besteuerung erfolgt in Frankreich, wobei Frankreich dann 4, 5 Prozent der Bruttoeinkünfte den schweizerischen Steuerbehörden abliefert. Dieser Teil wird also in die Schweiz zurückerstattet.
Im Falle von Grenzgängern aus Österreich gilt noch einmal eine andere Regel. Österreichische Grenzgänger müssen in der Schweiz für ihr Erwerbseinkommen vollumfänglich Steuern entrichten. Diese werden ihnen in Österreich von den österreichischen Steuern abgezogen, da diese im Regelfall höher als die schweizerischen Steuern sind.Unter dem Strich bringt diese Regelung den betroffenen Kantonen Mehreinnahmen bzw. Mindereinnahmen für Österreich. Um diese Mindereinnahmen wenigstens teilweise auszugleichen, hat die Schweiz aufgrund des revidierten Doppelbesteuerungsabkommens Österreich einen Fiskalausgleich in der Höhe von 12,5 Prozent des entsprechenden Steueraufkommens zu entrichten. Dieser Betrag wird also nach Österreich zurücküberwiesen.
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