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Streit um den Kormoran: Wem gehören die Fische?

Kormorane im Nest. imagepoint

Seit kurzem dürfen Kormorane im Schutzgebiet am Neuenburgersee vertrieben und ihre Eier eingeölt werden. Die Vögel seien schuld, dass gefährdete Fische noch mehr dezimiert würden, sagt der Fischerei-Verband. Dem widerspricht die Organisation Birdlife.

Kormorane sind einheimische Wasservögel. Sie gelten als schlaue, anpassungsfähige Tiere und exzellente Taucher.

Bis vor zehn Jahren haben sie in der Schweiz noch nicht gebrütet, sie waren lediglich Durchzügler.

2009 brüteten 547 Paare in der Schweiz, die meisten im Hauptverbreitungsgebiet am Neuenburgersee.

Dort ist nun der schweizerische Streit um die Kormorane entbrannt. Der Kormoran entzweit die Gemüter aber auch am Bodensee, wo er vor allem am deutschen Ufer brütet.

Fische aus den Netzen fressen

Roland Seiler, der Zentralpräsident des Schweizerischen Fischerei-Verbandes, umschreibt das Problem der Fischer mit den Kormoranen so: «Rund 6000 Kormorane überwintern hier und fressen pro Tag pro Tier 500 Gramm Fisch. Das wird dort zum Problem, wo gefährdete Fischarten betroffen sind.»

Dieses Problem hätten die Fischer jedoch weitgehend im Griff, weil der Kormoran in der Schweiz in den Wintermonaten jagdbar sei, ergänzt er.

«Ein neues Problem ist entstanden, als der Kormoran in der Schweiz zu brüten begann. Die Paare brüten praktisch ausschliesslich in Vogelschutzgebieten an Seen, wie zum Beispiel im Fanel am Neuenburgersee. Sie fressen den Berufsfischern die Fische aus den Netzen, und sie machen die Netze kaputt», sagt Seiler.

Eine Studie habe ergeben, dass der jährliche Schaden pro Berufsfischer 5000 bis 6000 Franken betrage.

Fangzahlen steigen an

Für den SVS/BirdLife Schweiz werden die Kormorane ungerechtfertigterweise zu Sündenböcken gemacht und verursachen keine untragbaren Probleme.

«Dass der Kormoran für die Bedrohung von gefährdeten Fischarten verantwortlich sei, stimmt für die Seen nicht», sagt Werner Müller, Geschäftsführer von Birdlife, dem Schweizerischen Vogelschutz (SVS), gegenüber swissinfo.ch.

«Ebenso wenig stimmt, dass die Fänge der Berufs- und Hobbyfischer wegen dem Kormoran zurückgegangen sind», vielmehr seien die Fänge in den Seen angestiegen, wie die Statistiken des Bundes zeigten.

«Es kann sein, dass die Kormorane den einen oder andern Fisch aus dem Netz fressen», sagt Müller. Doch ob dies als Einbusse für Berufsfischer gelten kann, sei fraglich: «Die Fische in den Seen sind juristisch gesehen herrenloses Gut, sie gehören niemandem.»

Unbestritten sei im Zusammenhang mit dem Kormoran hingegen die Frage der Löcher in den Netzen der Berufsfischer.

Müller findet es aber seltsam, dass in einem Wasser- und Zugvogelreservat von internationaler Bedeutung die Kormorane plötzlich nicht mehr geschützt seien.

Dass es der Fischpopulation in den Fliessgewässern nicht gut gehe, hänge vor allem mit der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensräume zusammen. «Die Fische können in den Fliessgewässern kaum mehr natürlich verlaichen, weil die Gewässer kanalisiert sind. Ausserdem wurden die Wanderungswege der Fische durch viele Kraftwerke unterbrochen.»

Dazu komme, dass noch viele weitere Kraftwerke geplant seien. «Und auch die Klimaerwärmung schadet den Fischen», sagt Müller.

Die umstrittene Bewilligung

Die drei Kantone Waadt, Neuenburg und Freiburg haben am 15. März 2010 beim Bundesamt für Umwelt ein Gesuch um Genehmigung von Massnahmen gegen den Kormoran eingereicht. Es wurde am 25. März vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) bewilligt.

Zur Eindämmung der vom Kormoran verursachten Schäden darf nun das Ufer der Insel im Fanel eingezäunt, die letztjährigen Nester dürfen weggeräumt und gelegte Eier dürfen mit Öl besprayt werden. Dies hat zur Folge, dass die Embryos ersticken.

Möglich sind Regulationseingriffe in Schutzgebieten erst seit dem 1. Juli 2009, als die Verordnung über die Wasser- und Zugvogelreservate vom Bundesrat geändert wurde.

Die Massnahmen sollen von den spezialisierten Stellen in den Kantonen überwacht werden. Die Bewilligung ist bis Ende 2011 gültig. Da die Massnahmen im Kanton Bern nicht durchgeführt werden, kann die bernische Insel im Naturschutzgebiet Fanel als Vergleichsbereich benutzt werden.

Für den Fischerei-Verbandspräsident Seiler geht es bei der Bewilligung des Bafu nicht darum, dass die Vögel in den Naturschutzgebieten nicht mehr geschützt sind. «Es geht um regulatiorische Eingriffe. Wenn sich die Natur nicht selbst reguliert, muss dies der Mensch tun.»

Rekurse erst ohne aufschiebende Wirkung

Der Entscheid des Bafu vom 25. März enthielt die Klausel, dass ein Rekurs keine aufschiebende Wirkung haben könne. Dagegen hat Birdlife bereits Rekurs eingereicht.

Dieser Einsprache wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 7. April stattgegeben: Die aufschiebende Wirkung wurde wiederhergestellt. Das heisst, bis allfällige Beschwerden gerichtlich geklärt sind, dürfen keine Massnahmen vollzogen werden.

Ob Birdlife einen Rekurs gegen die Massnahmen an sich einreicht, wird gegenwärtig noch abgeklärt.

Auch die schweizerischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben sich kürzlich mit dem Kormoran befasst. Es geht darum, die Möglichkeit der regulatorischen Eingriffe gegen den Kormoran gesetzlich zu verankern. Der Ständerat hat, im Gegensatz zum Nationalrat, eine entsprechende Motion abgeändert.

Er will die Berufsfischer für die Schäden an den Netzen nicht entschädigen. Doch er stimmt zu, dass die Schonzeit für die Kormorane verkürzt werden darf.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

Kormorane sind Schwimmtaucher, die mit ihrem hakig gebogenen Schnabel Fische im Tauchen ergreifen.

Im Unterschied zu Enten und anderen Wasservögeln wird beim Kormoran das Gefieder beim Tauchen nass. Deshalb nehmen die Kormorane nach jedem Aufenthalt im Wasser für kürzere oder längere Zeit eine charakteristische Trockenhaltung ein.

Beim Tauchen rudern Kormorane nur mit den Füssen und halten diese dabei dicht zusammen, so dass sie als einheitliches Ruder wirken. Mit dem Schwanz steuern sie. Die Flügel werden unter Wasser leicht abgewinkelt.

Kormorane werden mit 90 cm etwa gänsegross und haben eine Flügelspannweite von 145cm. Sie nisten gewöhnlich in grösseren Kolonien. Auch auf Jagd gehen sie oft gemeinsam.

Das Fanel ist ein Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung am Neuenburgersee, bekannt als eines der wichtigsten Brut- und Überwinterungsgebiete der Schweiz für Wasservögel.

Zudem liegt es innerhalb des grössten Schilfgebiets der Schweiz, dem Grande Cariçaie.

Bisher wurden über 300 Vogelarten nachgewiesen.

Der Ständerat hat kürzlich beschlossen, eine vorliegende Motion in Bezug auf die Kormorane im Sinne des Bundesrats abzuändern.

Wie der Nationalrat will auch der Ständerat die Schonzeit des Kormorans auf die Zeit vom 1. März bis 31. August verkürzen.

Nichts wissen wollte der Ständerat davon, den Berufsfischern ihre Schäden an den Fanggeräten zu ersetzen.

Dies seien lediglich normale Berufsrisiken, hiess es. Mit der Entschädigung schaffe man bloss ein ungewünschtes Präjudiz.

Der Ständerat will aber den Fischern dennoch entgegenkommen: Sie sollen künftig die Kormorane mit Schüssen vergrämen dürfen.

Wegen den durch den Ständerat vorgenommenen Änderungen am Motionstext muss die Vorlage zurück in den Nationalrat.

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