Theater um direktdemokratisches Lehrstück
Politpoker in der Stadt Bern: Einerseits ist man dort stolz, dass das Stimmvolk über das Budget jeder der fünf grossen Kulturinstitutionen einzeln befinden kann. Doch was geschieht, wenn das Volk ganz anders abstimmt, als die Stadtväter dies erwarten?
In vielen Ländern gilt die in der Schweiz praktizierte direkte Demokratie als höchst erstrebenswert. Denn vielerorts wählt das Stimmvolk einfach seine Vertreterinnen und Vertreter, die in der kommenden Legislaturperiode die Geschicke des Landes oder der Stadt bestimmen.
In der Schweiz hingegen werden Stimmbürgerinnen und -bürger auch zu einzelnen Gesetzen oder politischen Geschäften an der Urne befragt.
Manchmal treibt aber auch die direkte Demokratie eigenartige Blüten: Die Volksabstimmung vom 15. Mai zur Finanzierung der grossen Kulturinstitutionen in der Stadt Bern wirkt auf den ersten Blick wie ein Musterbeispiel demokratischer Staatsführung.
Kulturmillionen
Im Stadtberner Finanztopf warten rund 22,5 Millionen Franken auf ihre Verteilung. Ein hoher Betrag, meint manch einer. Aber damit sollen das Zentrum Paul Klee, das Kunstmuseum, das Historische Museum, das Kulturzentrum Dampfzentrale und mit dem Löwenanteil von 14,5 Mio. Fr. die aus Theater und Symphonieorchester neu gebildete Institution Konzert Theater Bern mitfinanziert werden.
Die Befürworter dieser Vorlagen sind überzeugt, dass die vorgesehenen Gelder gut angelegt wären. Sie weisen gerne auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der Kulturinstitutionen hin. Einerseits ermöglichen diese Berns Gewerbe ein hübsches Einkommen, andererseits hängen an den Kulturinstitutionen rund 700 Jobs.
Hat das Stimmvolk immer Recht?
Vor allem rechtsbürgerliche Kreise befürworten, dass nicht über den gesamten Kulturtopf abgestimmt werden kann, sondern über jede Institution einzeln. Schliesslich habe das Stimmvolk immer recht, heisst es gerne.
Aus Kulturkreisen kommt hingegen die Befürchtung, an der Abstimmung werde die Beliebtheit der einzelnen Institutionen erkoren. Was einem nicht gefalle, könnte man wegkippen.
Christian Pauli, Präsident von Bekult, dem Dachverband der Berner Kulturveranstalter, empfindet die Abstimmung als «politisch falsch». Für ihn besteht die städtische Kulturstrategie in einem Gesamtangebot, welches verschiedene Kultursparten beinhalte.
Die Stadt hätte sich verpflichtet, sowohl die etablierten Kulturhäuser wie die freie Szene zu berücksichtigen, so Pauli in der Berner Zeitung. Aus diesem Grund hätten alle Kulturkredite als Gesamtpaket vors Stimmvolk kommen sollen. Er befürchtet nun, dass «populistische Reflexe» Aufwind erhalten könnten.
Zudem könnte versucht werden, einzelnen Institutionen mal einen «Denkzettel» zu verpassen oder man könne auch sein persönliches Desinteresse manifestieren.
«Wir hätten ein Riesenproblem»
Auf jeden Fall sind die betroffenen Kulturinstitutionen nun gezwungen, einen Abstimmungskampf zu führen. Aber vielleicht ist es ganz gut, dass sich die Institutionen für die städtische Unterstützung mal kräftig ins Zeug legen müssen, hört man auf der anderen Seite.
Was aber geschieht, wenn tatsächlich einer oder mehrere Subventionsverträge vom Berner Stimmvolk bachab geschickt werden sollten? Müsste man die betroffene Institution dann schliessen?
Ein solches Szenario wagt man sich in den politischen Gremien gar nicht vorzustellen. Der Kantonalberner Erziehungs- und Kulturdirektor Bernhard Pulver meinte dazu: «Wir hätten ein Riesenproblem.»
Nichts ist unmöglich
Dass eine solche Vorstellung nicht einfach ins Reich der Utopie verwiesen werden kann, zeigt das Beispiel Theater Basel: Diesem sind im Februar dieses Jahres vom basellandschaftlichen Stimmvolk zusätzliche Subventionen verweigert worden. Zur Sicherung des Überlebens der Institution sprach die Regierung von Basel Stadt einen Zusatzkredit in der Höhe von 1,5 Mio. Franken.
Für Bern kann oder will sich Stadtpräsident Alexander Tschäppät gar keine Gedanken für ein Scheitern einer oder mehrerer der fünf Vorlagen an der Urne machen. «Wir wissen nicht, wie es dann weiterginge. Aber da hirne ich gar nicht daran herum. Weil ich von einem Ja ausgehe. Darum gibt es auch keinen Plan B.»
Tschäppät meinte im Berner Bund weiter, ein auslaufender Subventionsvertrag könnte, wenn nötig, um ein Jahr verlängert werden, einfach ohne Teuerungsausgleich.
Grounding?
Dies gelte jedoch nicht bei den Verträgen für das neue Konzert Theater Bern, da die alten Kontrakte vom Kanton gekündigt worden seien. Sollte der Subventionsvertrag Konzert Theater am 15. Mai tatsächlich scheitern, wäre damit auch die Fusion von Symphonieorchester und Theater wahrscheinlich für längere Zeit vom Tisch, glaubt Tschäppät.
Wäre der reguläre Theater- und Orchesterbetrieb ohne reguläres Budget möglich oder stünde das Publikum ab 1. Juli vor verschlossenen Türen? Niemand kann vorhersagen, wie es weitergehen würde. Die Behörden lassen aber verlauten, dass man sich dafür einsetzen würde, ein komplettes Grounding zu verhindern.
Konzert Theater Bern, Historisches Museum, Kunstmuseum Bern, Zentrum Paul Klee und Dampfzentrale, die fünf grössten Kulturinstitutionen der Stadt Bern, werden von Stadt, Kanton und Regionsgemeinden auf der Grundlage von 4-Jahres-Verträgen subventioniert.
Ende 2011 laufen die gegenwärtigen Verträge ab. Die Subvention soll bei den neuen Verträgen real beibehalten werden. Es ist eine Teuerungsanpassung von 2,5% vorgesehen.
Das Stadtberner Stimmvolk kann am 15. Mai den Vertrag für jede einzelne Institution annehmen oder ablehnen.
Die Stadt Bern muss ihrem Ruf als Bundes- und Kulturstadt weiterhin gerecht werden. Die Höhe der Kultursubventionen für die fünf Institutionen wird insgesamt nicht erhöht. Die neuen Leistungsverträge sind transparenter formuliert.
Ja-Parolen der Parteien: Ja zu allen fünf Kulturkrediten sagen: SP, GFL, GB, BDP, CVP, EVP, GPB-DA und PDA.
Die Stadt habe den Kulturinstitutionen bei der Aushandlung der Leistungsverträge zu wenige Vorgaben gemacht. Einige Parteien bekämpfen – aus unterschiedlichen Motiven – die Kredite für diese einzelnen Institutionen.
Nein-Parolen der Parteien: SVP: Nein zum Zentrum Paul Klee und zur Dampfzentrale.
GLP: Nein zu Konzert Theater Bern.
EDU: Nein zur Dampfzentrale.
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