Umstrittene Beobachter bei Zwangsausschaffung
Ab 2011 müssen die Sonderflüge zur Rückschaffung abgewiesener Asylbewerber von neutralen Beobachtern begleitet werden. Das verlangt eine Weiterentwicklung des Schengen-Abkommens. Das Rote Kreuz lehnt es ab, Beobachter zu stellen.
«Wir sind in die weltweite Rotkreuz-Bewegung eingebettet. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat die klare Haltung, dass eine nationale Gesellschaft diese Aufgabe nicht übernehmen sollte», sagt Beat Wagner, Mediensprecher des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK), gegenüber swissinfo.ch.Weltweit stelle in einem einzigen Land das Rote Kreuz solche Beobachter, in Luxemburg.
«Wenn wir Beobachter stellen würden, könnte dies die Neutralität und die Unabhängigkeit der ganzen Rotkreuz-Bewegung in der Welt gefährden. Auch die Sicherheit könnte gefährdet werden», so Wagner.
«Zudem haben wir keine Kontrolle darüber, was mit den Ausgeschafften in ihren Heimatländern passieren wird. Auch deshalb können wir diese Verantwortung nicht übernehmen.»
Aus diesen Gründen hat das SRK dem Bundesamt für Migration (BFM) eine Absage erteilt. «Ich bedaure diese Entscheidung, aber sie ist keine Überraschung», sagt BFM-Direktor Alard du Bois-Reymond. «Es hätte mich sehr gefreut, wenn die Organisation den Mut aufgebracht hätte, die Aufgabe zu übernehmen.»
Er begreife aber die ablehnende Haltung angesichts der «politisch aufgeladenen Situation». Das BFM werde sich nun an andere Nichtregierungs-Organisationen (NGO) wenden.
«Es muss aber nicht zwingend eine Nichtregierungs-Organisation sein. Wichtig ist, dass die Institution von den Vollzugsbehörden unabhängig ist», präzisiert Marie Avet vom BFM gegenüber swissinfo.ch.
Das BFM sei «mit verschiedenen Organisationen in Kontakt», so Avet. Welche Organisationen das sind, will das BFM zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Ethische Fragen
«Wir haben das Problem der Begleitpersonen mit dem Bundesamt für Migration bereits diskutiert. Für uns ist es organisatorisch und materiell unmöglich», sagt Jean-Pierre Restellini, der Präsident der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter, im Gespräch mit swissinfo.ch.
«Unsere Kommission besteht aus lediglich 12 Personen. Schon deshalb können wir diese Aufgabe nicht übernehmen», so Restellini. Dazu komme die Frage, «ob diese Flüge überhaupt vernünftig und für die abgewiesenen Asylbewerber zumutbar» seien.
«An sich ist das eine schlechte Behandlung. Es ist erniedrigend, unter den Augen eines Polizisten auf die Toilette zu gehen.»
Die Kommission setzt sich aus Ärztinnen und Ärzten und aus Juristen zusammen. «Es gibt auch Ärzte, die sagen, solche Flüge zur Zwangsausschaffung seien menschenunwürdig und diese deshalb ablehnen», sagt der Arzt Restellini und verweist auf die Kosten der Inhaftierung und die anschliessenden Sonderflüge für die Rückschaffung, auf denen die Abgewiesenen gefesselt und polizeilich bewacht sind.
Verweigerte Landeerlaubnis
Die Flüge verlaufen zudem regelmässig erfolglos, weil das Zielland die Landeerlaubnis verweigert und die Maschine deshalb in die Schweiz zurückkehren muss.
«Die Frage ist, ob es nicht klüger wäre, eine andere Lösung zu finden. Vielleicht wäre es besser, in den Herkunftsländern sehr attraktive Bedingungen zu schaffen, damit die Leute gar nicht erst auf die Idee kommen, zu uns zu kommen. Ich weiss, das ist leicht gesagt, aber es ist sehr schwierig, das umzusetzen», sagt Restellini.
Eine Möglichkeit, die der Kommissionspräsident nicht ausschliessen will, ist die, dass die Kommission zur Verhütung von Folter die Aufgabe übernimmt, die neutralen Beobachter zu «nominieren, auszubilden und zu überwachen».
Diese Lösung würde allerdings voraussetzen, dass eine Kommissionsmehrheit mit dieser Lösung einverstanden wäre, was Restellini bezweifelt. «Wir haben vom BFM noch kein offizielles Gesuch erhalten und deshalb das Problem noch nicht diskutiert.»
Neuerung ist eine Folge von Schengen
Zwangsausschaffungen sind politisch umstritten und sorgten in den vergangenen Jahren mehrmals für negative Schlagzeilen, so 1989, als der Palästinenser Khaled Abuzarifa auf dem Weg zum Flugzeug erstickte. Weil er sich geweigert hatte, das Flugzeug zu besteigen, hatte ihn die Polizei auf einen Rollstuhl gefesselt.
2001 starb der Nigerianer Samson Chukwu, als ihn eine Walliser Anti-Terror-Einheit für die Ausschaffung überwältigte und fesselte. Im März dieses Jahres starb ein Ausschaffungshäftling aus Nigeria auf dem Flughafengelände. Die Todesursache ist rechtlich noch nicht endgültig abgeklärt.
Die auf den 1. Januar anstehende Neuerung, wonach neutrale Beobachter die Sonderflüge begleiten müssen, ist allerdings keine Folge der Todesfälle. Sie ist eine Weiterentwicklung im Rahmen der Rückführungsrichtlinien des Schengen-Abkommens und wurde im Sommer 2010 vom Parlament gutgeheissen.
Illegal eingereiste Einwanderer und abgelehnte Asylbewerber müssen sieben bis 30 Tage Zeit für eine freiwillige Ausreise erhalten.
In Abschiebehaft dürfen sie nur dann genommen werden, wenn Fluchtgefahr besteht.
Die Haftdauer soll im Regelfall nicht mehr als sechs Monate betragen.
Eine Verlängerung um weitere zwölf Monate ist möglich, wenn sich «die Rückführung wegen mangelnder Kooperation» des Flüchtlings oder wegen Problemen bei der Feststellung seiner Nationalität verzögert.
Das revidierte Asylgesetz, das im September 2006 vom Schweizer Stimmvolk angenommen wurde, setzt die Sozialhilfe an abgewiesene Asylbewerber aus und verdoppelt die potentielle Inhaftierungszeit für Menschen, die auf ihre Zwangsausweisung warten, auf zwei Jahre.
Die Aufnahme wegen humanitärer Gründen wird ausgeschlossen.
Erleichtert wird der Familiennachzug und die Arbeitserlaubnis im Fall einer provisorischen Aufenthaltserlaubnis.
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