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Verkehr ganz ohne Subventionen

Öffentlicher Verkehr in der Schweiz: Den Touristen nur eine Freude, den Inländern auch eine Subventionslast. Keystone

Für die Finanzierung des öffentlichen und privaten Verkehrs greift die öffentliche Hand tief in den Geldbeutel. Resultat: Kaum jemand weiss, wie viel die Mobilität tatsächlich kostet. Verkehrsexperte Reiner Eichenberger rüttelt an den Finanzierungs-Tabus.

Im Ausland steht der öffentliche Verkehr der Schweiz hoch im Kurs. Er ist Teil des positiven Images des Landes, und wirkt als Gegenpool zum oft kritisierten Bankgeheimnis. Touristen richten ihre Uhren nach der sprichwörtlich pünktlichen Einfahrt der Züge, viele lassen deshalb gar ihr Auto zu Hause. Spektakuläre Strecken über imposante Viadukte, durch pittoreske Landschaften mit Bergen und Seen,  in lichten Panorama- und gepflegten Speisewagenprägen das Image.

Doch wer bezahlt das alles? Die Einnahmen aus dem Fahrkarten-Ververkauf machen nur einen Teil der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs (öV) aus. Subventionen aus zahlreichen Steuern tragen die andere Hälfte dazu bei, verwischen dabei jedoch die Kostentransparenz. Deshalb werde in den nächsten zwanzig Jahren die völlige Umstellung der Preispolitikbei Verkehrsdienstleistungen ein zentrales Thema der Politik sein, sagt Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger voraus.

Eichenberger glaubt nicht, dass der Verkehr, auch der öffentliche, überhaupt noch subventioniert werden soll:: «Der Verkehr ist ein Gut wie jedes andere auch», sagt er. «Volkswirtschaftlich zwar wichtig, mehr aber nicht.» Um dies zu illustrieren, vergleicht er den Verkehr mit der Telekommunikation. «Bei mobilen Telefonsystemen mit ihren Netzwerken, die wie der Verkehr riesige Investitionen bedingen, wird es als selbstverständlich erachtet, dass die Kunden die gesamten Kosten tragen. Einerseits über das Abonnement und andererseits über die Sprechgebühren.»

Ja, die Telekom-Anbieter würden sogar noch massiv Steuern zahlen. Und wenn man die Bevölkerung frage, sagt Eichenberger, was für sie wichtiger sei, ob öV- oder Handynetz-Anschluss, liege die Antwort auf der Hand.

Regulierung statt Subvention

Traditionellerweise wird die Subventionierung des öV mit dem so genannten Marktversagen begründet: Sich selbst überlassen, würde sich das Verkehrsangebot nicht richtig entwickeln. Eichenberger lässt diesen Grund nicht gelten: «Die richtige Verkehrsregulierung lautet: Jeder soll selbst bezahlen.» Auch die Automobilisten würden für die ungewollten Nebeneffekte, die sie mitverursachen, bezahlen.

Diese Kosten betragen beim Privatverkehr rund 8 und beim öV rund 7 Mrd. Franken. Würde man diese Subventionen streichen, liesse sich für die öffentliche Hand rund 15 Milliarden einsparen – eine Summe, die beinahe schon den Gesamteinnahmen der Mehrwertsteuer entspreche, und sogar höher liege  als die Kosten für die Landwirtschaft, die Landesverteidigung und die Universitäten zusammen.

«Mit den 15 Mrd. liessen sich Projekte umsetzen, die unvergleichlich wichtiger sind als die Subventionierung des Verkehrs, zum Beispiel massive Steuersenkungen oder eine Verbesserung der Bildung.»

Streit um den Effekt von Tariferhöhungen

«Braucht es denn wirklich all die seltsam leeren Ortsbusse, gibt es da keine Alternativen?», fragt sich Eichenberger. Heute gehe der Sturm bereits los, wenn die SBB ankünde, die Bahnpreise um 3% zu erhöhen. Es werde gedroht: Dann fahren wir gar nicht mehr mit dem Zug!

«Dann sollen die Leute doch nicht mehr im Zug fahren – und froh sein, nicht noch für die letzten zwanzig Jahre Nachrechnungen zu erhalten!», sagt er. Denn diese Zugfahrenden hätten in dieser Zeit dauernd etwas getan, was volkswirtschaftlich mehr Kosten verursacht als Nutzen gebracht habe.

Müssten die öV-Nutzer sämtliche Verkehrskosten bezahlen, würde auf längere Frist die SBB effizient, und die Bevölkerung würde ihre Wohn- viel eher mit ihren Arbeitsorten abstimmen, ist Eichenberger überzeugt. Auch der Privatverkehr würde effizienter werden und dem intermodalen Wettbewerb (Konkurrenz Schiene-Strasse) könnte man freien Lauf lassen.

«Das wäre dann zwar nicht die beste aller Welten, aber zumindest eine normale.»

Pendlerfeindlich ist siedlungsfreundlich

Auf die Pendlerfeindlichkeit seiner Lösung angesprochen, sagt Eichenberger: «Bis 2030, das kann ich garantieren, wird die Siedlungsstruktur der Schweiz ohnehin umgebaut werden. Mit einem Bevölkerungszuwachs von 1% pro Jahr ändert sich zwangsläufig Einiges.» Die Frage sei nur, ob man diese Entwicklung in vernünftige Bahnen lenken werde oder nicht: «Werden die Preise für den Verkehr nicht einigermassen kostengerecht festgelegt, ergibt sich daraus eine völlig verrückte Siedlungsstruktur.»

Würden die Mitarbeitenden 10000 statt 5000 Franken für das Generalabonnement zahlen müssen, würde man in vielen Unternehmen beginnen, anders über Home-Work zu denken und die Angestellten weniger pendeln lassen.

Strassengebühren, Maut, Road Pricing

Auch im Strassenbereich sehe sich die Politik vor wichtige Fragen gestellt, zum Beispiel bei der Reduktion der Staus respektive beim Managen der Staukosten. Laut Lehrbuch lasse sich dies leicht über den Preis regeln. Bei den Stimmbürgern sei Road-Pricing allerdings nocht unbeliebt. Es werde als «Rückfall ins Mittelalter» erachtet.

Aber Strassengebühren (Vignetten, Maut oder Road Pricing) hätten eine stark verkehrslenkende Wirkung, so Eichenberger, sofern jede einzelne Fahrt separat bezahlt werden müsse. Das sehe man im Fall von London. Werde die Vignette jedoch wie in der Schweiz im Jahresabonnement bezahlt, verliere sie ihre lenkende Wirkung.

Eichenberger hofft, dass es in der Schweiz zu einer teureren Vignette kommt. Und dass dann aus der heute noch fixen Gebühr eine effiziente gemacht werde, indem man ein Preissystem einbaue.

Nur ein Teil der Einnahmen stammen aus dem Personenverkehr-Ticketverkauf.

Dazu kommen die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die Mineralölsteuer, die Einnahmen aus dem öV-Güterverkehr, allgemeine Steuermittel des Bundes, Mehrwertsteuerbeiträge des Bundes, allgemeine Mittel der Kantone, Städte und Gemeinden.

Gebraucht wird das Geld für die Infrastruktur FinöV (Grossprojekte), für die SBB- und Schienen-Infrastruktur, für die Infrastruktur des öV der Agglomerationen, der Anschlussgeleise und des Schienen-Güterverkehrs, für den Betrieb des Regionalverkehrs (Bus, Bahn, Schiff, Seilbahn) und des Schienengüterverkehrs und des Autoverlads.

In der Schweiz nutzen Personen- und Güterverkehr das gleiche Schienennetz.

Dies stellt eine hohe Belastung dar und führt auf Grund der hohen Zugsfrequenzen zu Engpässen.

Solche tauchen namentlich zwischen den grossen Zentren Bern, Basel, Zürich und in den Agglomerationen auf, vor allem im Grossraum Zürich sowie auf den Strecken Olten-Zürich-Winterthur, Lausanne-Genf und sowie den Zufahrten der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale.

In den grossen Agglomerationen und auf den Hauptstrecken fahren heute so viele Züge, dass kaum noch ein zusätzlicher dazwischen Platz hat.

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